Bahn frei! Südkorea erlaubt landesweit selbstfahrende Autos – lassen wir Deutschen die Innovationen an uns vorbeiziehen?

Weg von der Teststrecke, rein ins öffentlichen Verkehrsnetz – das gilt ab jetzt auch für die selbstfahrenden Autos von Samsung. Wo? In Südkorea – einem Land, das im vergangenen Jahr knapp 20 solcher Erlaubnisse erteilte. Und das, obwohl die Sicherheit von selbstfahrende Autos doch oft recht mangelhaft ist. Warum zeigt sich Südkorea so offen?
Statt wie zuvor nur bestimmte Strecken als Teststrecken auszuweisen, lässt Südkorea autonom fahrenden Autos jetzt in ganzem Land herumfahren

Samsungs Ambitionen, im Markt für selbstfahrende Autos Fuß zu fassen, sind nicht neu. Seit einigen Monaten testet der Konzern seine Technologie auf einer konzerneigenen Teststrecke. Wie ernst es dem südkoreanischen Konzern ist, zeigen seine Aktivitäten in Südkorea, wo Samsung jetzt die Zulassung für den Test selbstfahrender Auto erhalten hat. Mit eigenen Autos ist Samsung dabei nicht unterwegs, sondern nutzt umgebaute Fahrzeuge des – ebenfalls südkoreanischen – Herstellers Hyundai. Seit Februar vergangenen Jahres hat Südkorea bereits 20 solcher Zulassungen erteilt.

Samsung: Vom Panzer- zum Autobauer

Besonderen Fokus legt Samsung bei seiner Technologie auf die Wetterbedingungen. So sollen qualitativ hochwertige Sensoren und Computermodule, die auf Künstlicher Intelligenz und „deep-learning“ Technologien basieren, auch bei schwierigen Wetterverhältnissen funktionieren. Überraschend ist der Einstieg von Samsung in den hartumkämpften Markt selbstfahrender Autos nicht, schließlich ist der Konzern längst nicht mehr nur Elektronikartikelhersteller, sondern auch Panzer- und Schiffsbauer oder Betreiber von Freizeitparks und Hotels.

Südkorea macht „alles“ zur Teststrecke

Doch warum zeigt sich Südkorea so offen? „Offen ist relativ“, meint Professor Stefan Heinemann, Management-Experte unter anderem für Digitalisierung und Wirtschaftsethiker an der FOM Hochschule in Essen. „Richtig ist, dass das zuständige Ministerium MOLIT noch 2016 lediglich – oder immerhin – 375 Kilometer fest ausgewiesene Teststrecken für autonome Fahrapplikationen im Programm hatte. Dabei eine Autobahn, fünf Bundesstraßen und nur zwei städtische Gebiete. Der innenpolitische Druck – in Südkorea sind industrielle Innovationen traditionell eher geschätzt als kritisiert -, sowie der Wettbewerbsdruck vor allem aus China – Baic, Baidu & Co. – und den USA – Apple, Google, Tesla & Co.- haben dazu geführt, diese Genehmigungspraxis erheblich zu vereinfachen. Vom Verfahren aber vor allem auch von den Teststrecken.“ So habe Südkorea die Logik nun einfach umgedreht und alles zur Teststrecke ernannt – ausgenommen sind lediglich bestimmte gefährdete Bereiche, vor allem dort, wo besonders schutzbedürftige Personengruppen wie Kinder oder kranke Menschen an der Mobilität teilnehmen.

Haben die Südkoreaner keine Angst vor Sicherheitsmängeln?

Doch wenn jetzt „alles eine Teststrecke“ ist, heißt das auch, dass die Gefahr für Verkehrsunfälle auf den Straßen Seouls und Umgebung deutlich steigen könnte. Schließlich weisen selbstfahrende Autos oftmals noch erhebliche Sicherheitsmängel auf. Haben die südkoreanischen Experten und Behörden angesichts dieser Mängel keine Bedenken? Doch, meint Heinemann, es gebe sogar eine eigene Abteilung, die sich auf die – wenn es so kommen mag ab 2020 – faktischen Zulassungs-, Versicherungs- und weitere administrative Fragen vorbereitet. „Natürlich nehmen demnach auch die südkoreanischen Wissenschaftler, Experten sowie Behörden die Risiken seriös wahr. Aber das Klima ist offener für Zukunftsthemen, wenn es an den konkreten Regulierungsabbau geht – wobei es immer sinnvolle Regulierungen gibt und geben sollte“, sagt Heinemann. Zudem sei das Umfeld konzilianter: „Konzerne wie Samsung und Hyundai sind für die südkoreanische Wirtschaft prägend und Innovationen wie die Ankündigung von Samsung, bei schlechtem Wetter und gar Schnee mit dem eigenen autonomen Automobil sicher fahren zu können, erregen breites und meist positives Interesse“. Interessant: Laut einer aktuellen Studie von Deloitte haben zudem 81 Prozent der Südkoreaner durchaus Sicherheitsfragen zum Thema ‚autonomes Fahren‘ – ein fast zehn Prozent höherer Wert als hierzulande.

Hinkt Deutschland hinterher?

Auch im Silicon Valley war Ende April erstmals ein selbstfahrendes Auto gesichtet worden, das mit Technologie von Apple unterwegs war. Die deutsche Regierung erlaubt hingegen keine selbstfahrenden Autos im öffentlichen Verkehrsnetz – ein Grund dafür, warum es in Sachen selbstfahrenden Technologie so hinterherhinkt? Sollte sich Deutschland ebenfalls offener zeigen? Heinemann sieht die Antwort in einem Ja und Nein. Ja, Deutschland sollte offener sein, wenn es um die Finanzierung von Innovationen mit Mutkapital, um die staatlichen Rahmenbedingungen und industrielle Praxis gehe. Nein: aber weiterhin kleinschrittig und sorgfältig in der Abwägung von rechtlichen, ökonomischen und ethischen Konsequenzen solcher Entwicklungen sein. „Wichtig ist allerdings, dass wir nicht immer für jede relevante Diskussion gefühlte Ewigkeiten brauchen, sondern agil werden und ‚Fahrt aufnehmen‘ – auch in der breiteren gesellschaftlichen Diskussion“, so Heinemann.

Ökonomische Vorteile vs. ethische Bedenken – wer gewinnt die Oberhand?

Offensichtlich sind vor allem die gesellschaftlichen Mehrwerte, bedenkt man die Effizienz- und damit Nachhaltigkeitspotenziale im Energieverbrauch, individuelle oder geteilte Mobilität für immer ältere Menschen, sowie die gewonnene Zeit, die man sonst mit dem Fahren vergeude. Zudem könnten laut Heinemann neue Kompetenzbereiche entstehen, die zur Digitalisierung der Industrie sehr gut passen und für die deutsche Volkswirtschaft im globalen Wettbewerb notwendig sind. „Südkoreas Vorgehen gerade auch von ministerieller Seite zeigt auf, wie der Druck von außen auf Deutschland an dieser Stelle zunehmen wird“, meint Heinemann.

Neben den Vorteilen kämen aber auch viele rechtlichen Fragen zur Haftung beim oder berechtigt hohe Anforderungen hinsichtlich der technischen Ausgereiftheit, Sicherheit und Zuverlässigkeit auf Deutschland zu. „Eine gewisse informationelle Selbstbestimmungsgefährdung durch massives verkehrsmobiles Datenaufkommen ist ebenfalls kein Ammenmärchen. Und das die Digitalisierung im Automotive-Bereich mehr Jobs bringt als kostet halte ich für unzutreffend“. „Alte“ Wertschöpfungsanteile werden vollständig entfallen oder an Systeme delegiert. Am Ende könnten die deutschen Autobauer bessere Zulieferer für die eigentlichen innovationstreibenden Unternehmen werden. Neben rechtlichen und ökonomischen Fragen ist auch die ethische Dimension beachtlich: Wer ist denn moralisch verantwortlich wenn eine vollautonomes Automobil einen Schaden oder gar tödlichen Unfall verursacht? Wie kann „Verantwortung“ überhaupt in diesem Szenario gedacht werden? Solche Fragen sollten erst vollends geklärt sein, bevor selbstfahrende Autos in Deutschland unterwegs sind.