Arbeiten im Marketing nur trickreiche Betrüger?

Mit Erscheinen der deutschsprachigen Ausgabe des Buches „Brandwashed – Was du kaufst, bestimmen die anderen“ von Martin Lindstrom, einem der gefeiertsten Marketing-Gurus weltweit, gewinnt in diesen Tagen wieder die These vom willenlosen Konsumenten die Oberhand. Der Grundtenor zahlreicher Artikel ist: Der Konsument wird durch trickreiches Marketing beeinflusst, bestimmte Produkte zu kaufen. Das hieße, dass Marketingabteilungen die Bedürfnisse der Menschen steuern könnten. Über diese Botschaft könnte das Marketing jubeln, denn das hieße, es hätte Macht über die Menschen. Der Haken: Soziologisch gesehen können weder Medien Meinungen machen, wie es auch der Bild häufig unterstellt wird, noch können Unternehmen Menschen dazu bringen, ihre Produkte zu kaufen.

Von Christian Thunig

Große Kommunikationsanstrengungen (Kampagnen) oder Medien können Strömungen lediglich verstärken. Denn alles, was ausbricht in der politischen wie in der wirtschaftlichen Sphäre, ist in der Gesellschaft angelegt. Marketing ist deshalb eine so schwierige Disziplin, weil man die Ziele der Menschen erst einmal verstehen muss. Quelle, Grundig oder AEG hätten doch nur die Konsumenten beeinflussen müssen, dann wären sie nie in Turbulenzen gekommen. Oder haben diese Unternehmen nichts von den großen Marketingtricks gewusst? Das ist unwahrscheinlich, denn Lindströms Buch ist im Grunde ein alter Hut: In den 1950er Jahren gab es bereits das Werk „Die geheimen Verführer“, eine Art Sachbuch zum Thema Werbung, das der US-amerikanische Konsumkritiker Vance Packard veröffentlichte. Nein, es ist umgekehrt: Bedürfnisse sind da, müssen aber erkannt werden.

Marketingprofessor Klaus Backhaus aus Münster spricht in diesem Zusammenhang auch gerne „vom Abgreifen der Zahlungsbereitschaften“. Das heißt, dass selbst Preise nicht wahllos gesetzt werden können. Die Preisschwelle ist im Markt vorhanden, nur eben nicht sichtbar. Sie muss in mühevoller Kleinarbeit (Conjointanalyse) von Marketingabteilungen freigelegt werden – genau wie die Bedürfnisse. Wenn also Unternehmen mit ihren so genannten „Marketingtricks“ zitiert werden, sind es mithin diejenigen, die nachweisbar erfolgreich ihre Kunden verstanden haben. Apple, BMW, Ferrero, Adidas oder Abercrombie & Fitch treffen die impliziten Ziele der Seele – oder eben nicht. Opel kann sich noch so sehr mühen – das Unternehmen baut keine Statussymbole und wird auch keine beliebige Menge an Kunden überreden können, seine Vehikel zu kaufen, damit der Marktanteil nennenswert steigt. Aber auch Opelkäufer haben implizite Ziele: Sie wollen ein preiswertes, zuverlässiges und qualitativ durchaus gutes Produkt erstehen.

Dass kleine Mädchen gepolsterte Bikinioberteile kaufen oder durch die Eltern kaufen lassen, wie Handelsblatt-Online in einem Artikel aufgreift, liegt nicht am Handel oder der Industrie, sondern steckt in der Gesellschaft. Denn heute werden Kinder tendenziell eher wie Erwachsene behandelt. Die häufig gescholtene Nahrungsmittelindustrie kämpft natürlich nicht (mehr) mit dem Hunger der Konsumenten, sondern muss mit Zusatzversprechen arbeiten. Aber auch diese sind orientiert an Wünschen der Menschen, ob es um gute Verdauung oder die Belohnung mit Süßem geht. Ist das perfides Marketing, wie Foodwatch verlauten lässt? Eine Sprecherin von Foodwatch lässt sich sogar zitieren mit: „Die Industrie will Kinder so früh wie möglich auf ungesundes Junkfood programmieren.“ Das klingt nach Verschwörungstheorie, als ob alle Ernährungsunternehmen gemeinsam an einem Plan arbeiten würden, Kinder unter ihre Kontrolle zu bringen. Sie kennen lediglich die Wünsche der Kinder, die gerne Süßes mögen. Verantwortlich dafür, dass sich die Kinder ausgewogen ernähren, sind letztlich die Eltern, die übrigens auch gerne naschen.

Gegenprobe: Warum funktioniert Werbung so häufig nicht? Legt man die Ausgangsthese zugrunde, dürfte Kommunikation nicht so oft versagen. „Offensichtlich gelingt es nicht, den Kunden auf hinterhältige Art und Weise zum Kauf zu bewegen. Denn wir kaufen ja nun nicht von jedem Unternehmen alle Waren, sondern wählen aus, das heißt, der Konsument ist aktiver Entscheider“, konstatiert Dirk Held, Geschäftsführender Gesellschafter der Decode Marketingberatung. Und weiter: „Dabei ist er sicherlich nicht reflektiert in der Entscheidungsfindung, aber sicher auch keine Reiz-Reaktions-Maschine, sondern er verarbeitet die Informationen. Das heißt, er ist aktiv und nicht passiv ausgeliefert.“

Gute Produkte belohnen die Menschen, erfüllen Ziele, die teilweise tief verankert sind. Insofern kaufen wir nichts, was wir nicht wollen. Dass vereinzelt Vertreter von Finanzprodukten Konsumenten über den Tisch ziehen, Drückerkolonnen Zeitschriften verkaufen, Kaffeefahrten Katerstimmung hinterlassen, dubiose Briefkastenfirmen nicht erreichbar sind, im Internet merkwürdige Geschäftspraktiken anzutreffen sind oder Strukturvertriebe vermeintliche Existenzgründer ins Elend stürzen, ist Betrug und hat nichts mit Marketing zu tun.

Marketing darf natürlich nicht alles. Insofern lässt sich hier derzeit die Nahrungsmittelindustrie in die Pflicht nehmen. Und auch das Thema Datenschutz wird zu Recht heiß diskutiert. Der schwunghafte Handel mit Daten ist gefährlich – allerdings die eigene Zur-Schau-Stellung im Internet mitunter auch.

Meist lautet das letzte Argument in der Diskussion um trickreiches Marketing, dass wir Dinge kaufen, die wir gar nicht brauchen. Das allerdings ist interessant. Wir könnten wieder zurück in die Höhle. Aber: Wer will das wirklich …?