Apples Billig-iPhone – Fluch oder Segen?

Apple erhöhte seit der Einführung des ersten iPhones im Ein-Jahres-Takt die Qualität wie auch die Preise des Designer-Smartphones. Den Anfang machte das erste iPhone im Jahr 2007. Es folgten 2008 das iPhone 3G, 2009 das iPhone 3GS und 2010 das iPhone 4. Von diesen Modellen sind mittlerweile nur noch das iPhone 3GS zum Preis von 519 Euro (8 GB) und das iPhone 4 zum Preis von 629 Euro (16 GB) in deutschen Apple-Stores erhältlich. Es gibt jedoch Hinweise, dass Apple in den nächsten Wochen nicht nur ein verbessertes iPhone-Modell (iPhone 5), sondern auch ein zweites neues Modell launchen wird. Bei Letzterem soll es sich – im Gegensatz zur gewohnten Strategie – um eine in Qualität und vor allem im Preis verminderte Variante des iPhone 4 handeln.

Ein vertikal nach unten gedehntes iPhone-Modell wäre etwas vollkommen Neues in der bisher angewandten Premiummarkenstrategie des iPhones. Ist doch die Rede dabei nicht von irgendeiner Smartphone-Marke. Bei Apple kann man oft nicht mehr von Kunden, sondern vielmehr von Fans sprechen. Eine solche Kultmarke ist ein Stück Lebensgefühl, ein Stück Philosophie. Klar, kann man mit einem iPhone telefonieren und im Internet surfen, aber es kommt vielmehr auf das WIE an. Es macht Spaß, ein iPhone zu benutzen. Die Handhabung ist intuitiv, einfach, überrascht mit kreativen Effekten und man kann sich stundenlang damit beschäftigen. Zudem ist man als iPhone-Besitzer nicht irgendein Smartphone-Besitzer. Nein, man ist wer und gehört zum Club der coolen und trendigen Leute. Ein iPhone ist ein modernes Statussymbol. Es liegt schon fast in der Natur des iPhones, dass es immer besser, schneller, teurer wird. Und jetzt auf einmal soll es schlechter, langsamer, billiger werden?

Warum? Diese Frage ist einfach zu beantworten. Ein iPhone, welches im Vergleich zur Konkurrenz in Preis und Leistung eine Position in der Mitte einnimmt, bietet enorme Wachstumschancen für Apple. Durch einen niedrigeren Preis könnte Apple die breite Masse an durchschnittlich verdienenden Käufern und auch vermehrt Kunden in asiatischen Märkten ansprechen, welche über ein enormes Wachstumspotenzial verfügen. Marktanteile insbesondere in den Wachstumsmärkten könnten gewonnen und der Umsatz erhöht werden. Der enorme Wert der Marke iPhone könnte vollkommen ausgeschöpft werden. Viele potenzielle Kunden, die gerne ein iPhone hätten, es sich aber nicht leisten konnten, könnten zum Zuge kommen.

Allerdings birgt diese Strategie auch enorme Risiken, gerade für eine so starke und besondere Marke wie iPhone. Eine große Gefahr bei vertikalen Markendehnungen ist die Verwässerung des Images der Ursprungsmarke iPhone. Der mögliche Preis für voraussichtlich höhere Marktanteile und mehr Absatz ist die Exklusivität des Clubs der iPhone-Besitzer. Je mehr Leute in den Club gelassen werden, desto mehr verschwinden der exklusive Charakter und das Gefühl, sich durch ein iPhone von der Masse zu distanzieren. Wenn Hinz und Kunz ein iPhone besitzt, ist ein iPhone nicht länger ein Statussymbol. Etwas was jeder hat, verliert seinen Reiz. Durch eine nach unten gedehnte Version des iPhones besteht die Gefahr, dass sich auch die Qualitätswahrnehmung und das Image der teureren iPhone-Modelle verschlechtern. Gerade wenn Preis und Qualität um ein höheres Maß nach unten gedehnt wird, ist die Wahrscheinlichkeit hierfür besonders groß. Im „worst case“ könnte Apple sein sorgfältig aufgebautes Markenimage enorm beschädigen.

Ein weiteres Risiko einer vertikalen Markendehnung nach unten ist die Kannibalisierung der eigenen Marke. Im Fall, dass ein iPhone 4 auch in abgespeckter Version zu einem günstigeren Preis auf dem Markt eingeführt wird, könnten potenzielle iPhone-Kunden die Billigvariante der bisherigen Varianten im Premiumsegment vorziehen. Da vermutlich die Gewinnmarge bei der Billigversion des iPhone 4 knapper berechnet sein wird als bei den bisherigen iPhone-Modellen, könnte sich Apple hier leicht ins eigene Fleisch schneiden.

Trotz der genannten Risiken haben für Apple allem Anschein nach die Chancen einer solchen Markendehnung überwogen. Um die Risiken der Imageverwässerung und der Kannibalisierung zu reduzieren, ist es ein cleverer Schachzug, das iPhone 5 gleichzeitig mit der Billigvariante des iPhone 4 auf den Markt zu bringen. Vor allem die sichtbare Abgrenzung durch Design, Branding, Funktionen und Markennamen des Billig-iPhone zu den Premium-iPhones – insbesondere dem iPhone 5 – ist von besonderer Bedeutung. Die Marke iPhone wird durch die beiden neuen Modelle in Qualität und Preis nicht nur nach unten, sondern auch nach oben gedehnt. Die Preisanker werden somit in beiden Richtungen neu festgelegt. Der Durchschnittspreis des Modellportfolios verändert sich bei weitem weniger als wenn die Marke nur nach unten gedehnt werden würde. Diese Strategie reduziert das Risiko der Markenverwässerung.

Die Hervorhebung der Unterschiede zwischen den einzelnen Modellen ist von hoher Bedeutung für die Marke Apple iPhone. Es ist sehr wichtig, dass in der Wahrnehmung des Kunden das iPhone 5 und 4 nicht in derselben Schublade wie die abgespeckte Variante des iPhone 4 gesteckt wird. Die Chancen stehen gut, dass Apple bei der richtigen Strategie die Abgrenzung vom „Low-cost iPhone“ zum iPhone 5 gut gelingen könnte. Besonders wichtig ist hierbei das für Außenstehende sofort erkennbare iPhone-Design und der Subbrandingzusatz „5“. Bedeutend schwieriger könnte sich hingegen diese Abgrenzung vom Billig-iPhone 4 zum „normal“ bepreisten iPhone 4 gestalten. Grund dafür ist, dass das Differenzierungspotenzial, welches man auf den ersten Blick erkennen kann, wie Design des Handys und Markenname, sowie die Preisdifferenz bedeutend geringer ist als beim iPhone 5.

Apple könnte diese Differenzierung enorm verstärken, indem es das Billig-iPhone 4 beispielsweise im Gegensatz zu allen anderen iPhone Modellen nur in einer bestimmten neuen Farbe anbieten würde. So könnte beispielsweise ein iPhone 4 oder 5 auf den ersten Blick von einem Billig-iPhone unterschieden werden. Auch die differenzierte Kommunikation der beiden Modelle spielt hierbei eine sehr wichtige Rolle. Apple sollte großen Wert darauf legen, für die verschiedenen Modelle eigene Images im Rahmen des übergeordneten iPhone-Image zu schaffen. Die verschiedenen Modelle sollten eigene „Geschmacksnoten“ bekommen. Dadurch könnte man den „iPhone-Club“ bildhaft gesprochen in verschiedene Bereiche aufteilen. Clubmitglied ist nicht gleich Clubmitglied. Im Club selbst wird noch einmal klar differenziert, ob man in die VIP-Launch darf oder nur einen Stehplatz bekommt. iPhone-Besitzer sollen sich immer noch besonders und exklusiv durch ihr iPhone fühlen und sich nicht mit Hinz und Kunz in Verbindung bringen. Nur so kann das exklusive Markenimage und der komparative Wettbewerbsvorteil des iPhone aufrecht erhalten werden.

Über die Autoren:
Univ.-Prof. Dr. Martin Fassnacht ist Inhaber des Lehrstuhls für BWL, insbesondere Marketing und Handel (Otto Beisheim-Stiftungslehrstuhl) an der WHU – Otto Beisheim School of Management
in Vallendar/Koblenz. Zudem ist er Sprecher der Marketing Group, wissenschaftlicher Direktor des Zentrums für Marktorientierte Unternehmensführung (ZMU), Vorsitzender des Beirats des Henkel Center for Consumer Goods (HCCG) sowie wissenschaftliches Mitglied des Beirats der Rundschau für den Lebensmittelhandel.

Dipl.-Kffr. Daniela M. Götz ist wissenschaftliche Assistentin sowie Doktorandin mit Schwerpunkt Preis- und Markenmanagement am Lehrstuhl von Univ.-Prof. Fassnacht und beschäftigt sich innerhalb ihrer Dissertation mit dem Thema „Vertikale Markendehnung“.