„App-Datenströme zu nutzen, ist für das Marketing spannend“

Einerseits beklagen viele, wie ungenügend Sprachdienste seien. Diese wirkten unpersönlich und würden Gelder letztlich nur auf Kosten der Kundenfreundlichkeit einsparen. Parallel zeigt die Praxis aber Beispiele für den gelungenen Einsatz von Sprachdialogsystemen, Sprachautomatisierung und Sprachsteuerung. Wie Unternehmen diese Systeme unter Marketinggesichtspunkten erfolgreich einsetzen können, erläutert Dr. Ingo Bors, Berater für Kundenservicemanagement, der auch als Produktmarketer in Technologieunternehmen wie Siemens, Genesys und Voiceobjects gearbeitet hat.

Herr Bors, welches Potenzial bergen Sprachdialogsysteme derzeit wirklich?

INGO BORS: Bei der Diskussion in Bezug auf Potenziale ist immer zu hinterfragen, welchen Zweck das Sprachdialogsystem erfüllen soll. In aller Regel geht es um erfolgreiches Kundenservicemanagement: Wenn es dem Kunden nützt, erhöhe ich seine Zufriedenheit und damit die Chance, weitere Umsatzpotenziale mit diesem Kunden zu erschließen. In diesem Kontext sind telefonbasierte Dialogsysteme erfolgreich, wenn der Anrufer einen Mehrwert erfährt: durch schnellere Abwicklung eines Prozesses (wie Kontostandabfrage, Lieferstatus, Kartensperre), sichere Abwicklung einer Transaktion (Stimmbiometrie) oder personalisierte Dienstleistungen über das Sprachsystem (Identifikation, Vorqualifikation). Hier verbirgt sich ihr größtes Potenzial. Oft vergessen wird allerdings, dass die angebotenen Sprachservices genau auf den Kundendialog abgestimmt sein müssen und ein angemessenes Aufwand-Nutzen-Verhältnis zeigen sollten. Während ein Service mit umfangreichen Auswahllisten im Internet gut funktioniert, ist dies im reinen Sprachdialog oft kontraproduktiv.

Welche Rolle werden die Sprachdialogsysteme innerhalb integrierter Dialogkonzepte spielen?

BORS: Das Sprachdialogsystem wird ein Kanal neben vielen bleiben – und der Kunde hat die Wahl, ob er diesen nutzt oder eine andere Art der Kommunikation. Dabei werden internetfähige Endgeräte immer mehr die mobile Interaktion übernehmen, die vor einigen Jahren fast ausschließlich im Bereich der Sprachdialogsysteme lag. Also müssen die Informationen nach wie vor konsistent auf allen Dialogkanälen zugänglich sein – über das Internet, das Smartphone, den persönlichen Kundenbetreuer und das Sprachdialogsystem. Am Ende verbleiben nur wenige reine Sprachdienste – für dedizierte Prozesse und sprachdialogaffine Kunden. Die Herausforderung ist eine intelligente Kopplung im Kundeninteraktionsprozess: Wenn der Kunde beispielsweise im Internet surft, wann nutze ich dann einen sprachbasierten Mechanismus als Ergänzung? Wann kopple ich beim Smartphone die sich immer mehr durchsetzende natürlich-sprachliche Erkennung mit visuellen Elementen? Im Buchungsprozess werden die Grunddaten (Flugreise von Frankfurt nach Dubai am 14. September) dann per Sprache eingegeben, die Auswahlliste per Datenlink zur Verfügung gestellt, und die Auswahl kann per Sprache oder Touch erfolgen.

Was sind Innovationen, mit denen sich werbungtreibende Unternehmen beschäftigen sollten?

BORS: Werbungtreibende sollten sich mit vier Innovationen auseinandersetzen. Erstens mit der Beratung über interaktive Videos. Im Versicherungsbereich wurde es bei der interaktiven Führung durch den Antragsprozess pilotiert: Der Kunde hat ein sprachgesteuertes Video über eine Flash Animation im Browser (Internet), nicht über ein Telefon oder ein Voice over Internet Protocol (VoiP). Das präsentierten die Gewinner des Live Contest 2009 auf den Voice Days plus und stellten damit einen Vorreiter in punkto Marktpotenzial, Innovationsgrad und Kundennutzen vor. Zweitens sollten sich Werbungtreibende mit interaktiven Filmen befassen: Jung von Matt stellte Ende vergangenen Jahres ein Konzept vor, einen Kinofilm direkt über das Telefon eines Zuschauers zu steuern – mit immer wieder ungewissem Ausgang… Was im Kino funktionierte, kann auch ins Fernsehen übertragen werden. Mal sehen, was hier der nächste Schritt sein wird. In jedem Fall ist es ein neues Tor für immense neue Möglichkeiten.

Drittens sind Mobile Apps und Soziale Netzwerken interessant: Der Markt wächst enorm, und Unternehmen versuchen immer gezielter, Teil dieser virtuellen Servicewelt zu werden. Welche Innovationen sich im Bereich sozialer Netzwerke durchsetzen werden, bleibt allerdings abzuwarten. Viertens ist die intelligente Nutzung der Datenströme wichtig, die über Apps abgewickelt werden. Dieser Bereich ist hoch spannend für das Marketing. Wenn ein Casting-Begeisterter immer einen bestimmten Kandidaten wählt, sorgt die App dynamisch dafür, dass diese gezielten Inhalte angefüttert werden. Dazu wird gleich das Click-Verhalten erfasst und ebenfalls ausgewertet. Der Kontakt zum Smartphone hat den Vorteil, dass es von Natur aus personalisiert ist – im Gegensatz zum Web.

Welche Contactcenter-Technologien bedienen sich Firmen international bereits, die auch für deutsche Branchenvertreter interessant wären?

BORS: International werden zunehmend leistungsfähige Plattformen als Software-as-a-Service (SaaS) genutzt. In aller Regel bringen diese Dienste klare Kostenvorteile. Hierzulande verhindern oftmals noch verschiedene Faktoren die Nutzung: Zum einen sind Anschaffungsprozesse und Organisationen auf den Betrieb hauseigener Systeme ausgelegt. Daher geht mit der Einführung ein konsequentes Change Management einher. Zum anderen möchten Unternehmen ihre Flexibilität nicht aufgeben, die sie im Betrieb eigener Systeme sehen. Das ist allerdings meist ein Trugschluss. Denn lange Releasezyklen, immer steigende Betriebskosten und komplexe Abhängigkeiten in den Prozessketten des Anforderungsmanagements führen zu einer Scheinflexibilität. Also gilt es, das „Outsourcing“ einzelner Komponenten der Kundeninteraktionstechnologien konsequent zu prüfen. Es ist durchaus ein wichtiger Bestandteil der Servicestrategie. Ansonsten finden sich in deutschen Contact Centern modernste Systeme, die keinen internationalen Vergleich zu scheuen brauchen. Die Frage lautet am Ende des Tages: Wie nutze ich diese mächtigen Technologien? Dazu gibt es immer wieder interessante Benchmarks, die es sich anzuschauen lohnt, wie z.B. den Smart Service Award, der dieses Jahr zum ersten Mal im Rahmen der Voice Days plus vergeben wird.

Wo wird das Angebot an Sprachdialogsystemen künftig überwiegen – im spezifischen oder im massentauglichen Bereich?

BORS: Im massentauglichen Bereich, also auf allgemeinen Dialogplattformen und in Hotlines, die im Dienst eines Unternehmens stehen, werden Sprachdialogsysteme aus meiner Sicht keine entscheidende Rolle spielen. Dafür wird sich der spezifische Einsatz, also bei der Steuerung des „erlebbaren“ Umfelds, im Dienst des Individuums, immer mehr durchsetzen. Wenn die Sprache das Mittel der Wahl ist (im Medizinsektor, bei Steuerungsfunktionen im Auto), der persönliche Komfort eine wichtige Rolle spielt (Unterhaltungsmedien, Entertainment allgemein), oder das Beherrschen der Technik gefühlt wird (Steuerungsdialoge mit Haushaltsgeräten und der Lichtanlage). Denn: Ist es nicht das Gefühl wiedererlangter Überlegenheit, einem iPhone die SMS zu diktieren und anschließend zu befehlen, diese an einen bestimmten Adressaten zu versenden, statt dies mit physischen Mitteln (Fingerdruck, „Touch“) zu erreichen?

Die Fragen stellte Martina Monsees.

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