Analyse-Ansätze für den Mittelstand

Wie sehen die eBusiness-Potentiale für mittelständische Unternehmen entlang der Wertschöpfungskette konkret aus? Thomas Braun und Hartmut Giesen skizzieren die Ausgangspunkte von entsprechenden Analysen in den einzelnen Segmenten und der Wertschöpfungskette als Ganzes.

Die Realisierung von eCommerce in Eingangslogistik und Beschaffung bringt Unternehmen erhebliche Kostenvorteile. Diese setzen sich zusammen aus reduzierten Aufwendungen für die Lagerung und die Senkung von Prozesskosten bei der Beschaffung.
Jede Bestellung, nahezu unabhängig von ihrem tatsächlichen Wert, kostet den Besteller zwischen 100 DM und 250 DM. Dies bedeutet konkret, dass die Beschaffungskosten z. B. eines Bleistiftes seinen eigentlichen Preis je nach Bestellvolumen um das Vielfache übersteigen können. Die Online-Beschaffung von C-Gütern – also Bürobedarf, Verbrauchsgüter und alle hochstandardisierten Produkte (Schrauben, Werkzeuge usw.) – kann diese Kosten auf ein Minimum senken. Und C-Güter machen immerhin 70 bis 80 Prozent der zu beschaffenden Produktionsmittel aus.
Für diese Art der Beschaffung gibt es inzwischen genügend vertikale und horizontalen Marktplätze, die die Bedürfnisse fast jedes Unternehmens per Internet-Einkauf befriedigen. Neben der Senkung von Prozesskosten eröffnen funktionierende Markplätze Einsparpotentiale durch Preistransparenz. Da alle Angebote unmittelbar vergleichbar sind, lassen sich nach einzelnen Untersuchungen selbst dann die Preis noch um 10% senken, wenn sie offline schon als ausgereizt gelten.

Noch weitere Einsparpotentiale ergeben sich, wenn die IT-Systeme des eigenen Unternehmens mit denen der Lieferanten über die Plattform Internet gekoppelt werden. Vor allem die großen Automobilhersteller sind in diese Richtung schon aktiv geworden. Sie richten für sich und ihre Zulieferer eigene Plattformen ein, die sie entweder alleine oder gemeinsam mit anderen Branchenunternehmen betreiben. Ein Beispiel dafür ist z. B. Covisint. Mit diesem elektronischen Marktplatz wollen die Konzerne Ford, General Motors, DaimlerChrysler und Renault/Nissan ihre Beschaffung bündeln und ihre Zulieferer über eine einheitliche Plattform koordinieren.
Ziel dieser Kopplung ist die Anlieferung von Gütern ohne Lagerung direkt in die Produktion (just-in-time) bis hin zur Realisierung eines Build-to-Order-Prozesses. Mit letzterem ist gemeint, dass Zulieferer direkt am Auftragssystem ihrer Abnehmer „hängen“ und automatisch entsprechend der eingehenden Aufträge die nötigen Güter liefern. Was zuvor nur mit großem Aufwand möglich war, wird jetzt mit dem Internet als „Scharnier“ auch mittelständischen Unternehmen möglich.

Operationen (Produktion bzw. Dienstleistungserstellung)
Auch in der Produktion schlummern Potentiale, die durch das Internet erschließbar werden. Theoretisch lassen sich heute die meisten Maschinen per Browser steuern, überwachen und warten. Selbst ein einzelner Sensor/Aktor kann über einen kleinen Webserver zum Teilnehmer im WorldWideWeb werden.
Dadurch ergeben sich eine Reihe von Optimierungsmöglichkeiten. Durch den Einzug des Internets in die Fabrikhalle beruht der Datenverkehr dort und in den Büros erstmals auf einer einheitlichen Plattform. Daten aus der Produktion stehen dem Management damit ohne große Schnittstellenprobleme in vollem Umfange zur Verfügung (I/O to CEO). Damit lässt sich das Zusammenspiel der Produktionssysteme besser synchronisieren, Schwächen in der Produktion schneller erkennen, Maschinen mit Standardbrowsern – auch aus der Ferne – vorbeugend warten, um nur einige Beispiele zu nennen.
Richtig interessant wird es, wenn die Produktionssysteme via Internet mit den Logistiksystemen kommunizieren. Dann kann z. B. der Flüssigkeitstank ab einer bestimmten Füllhöhe selbständig beim Lieferanten Nachschub ordern. Wenn entsprechende Verträge bereits bestehen, läuft der gesamte Prozess dann vollautomatisch ab.

Im Dienstleistungssektor sind die eCommerce-Potentiale offensichtlicher und werden schon häufig ausgenutzt. Zunächst ist zu überprüfen, ob die angebotenen Dienstleistungen auch über das Internet zu erbringen sind. Bei allen Dienstleistungen, in die der Kunde als solcher nicht involviert ist bzw. keine physikalischen Verrichtungen nötig sind – dies ist z. B. bei den meisten Beratungen, bei Finanzdienstleistungen, Informationsdiensten oder im Handel der Fall – ist dies potentiell möglich. Bei allen anderen Dienstleistungsarten – Transport, Medizin, Pflege, Handwerk, Tourismus u. ä. – kann das Internet zumindest dazu genutzt werden, um die Prozesse zu optimieren. Hier geht es darum, das Internet als Plattform für eine IT-Infrastruktur zu nutzen, die ganz neue Möglichkeiten der Organisation eröffnet – von der virtuellen Kundenakte mit Workflowfunktionen ohne Medienbruch, über Web-gestützte Koordination von verteilt arbeitenden Teams bis zum effizienten Wissensmanagement.

Ausgangslogistik
Was zuvor bei der Eingangslogistik beschrieben wurde, gilt für die Ausgangslogistik mit umgekehrten Vorzeichen: Die Zulieferindustrie kann hier ihren Kunden einen Mehrwert liefern, indem sie die Möglichkeiten schafft, die jeweiligen IT-Systeme via Internet zu koppeln und damit die Lieferung von Baugruppen, Bauteilen, Systemprodukten oder Rohstoffen mit der Eingangslogistik und der Produktion des Kunden zu synchronisieren. Einige große Unternehmen, Cisco zum Beispiel, verlangen von ihren Zulieferern inzwischen diese Art des eCommerces. Diesem Wunsch nicht nachzukommen, heißt dann in der Regel, aus dem Geschäft zu sein.
Auch für das eigene Unternehmen ergeben sich wieder Einsparpotentiale. Denn genauso, wie bei der Eingangslogistik lassen sich hier Lagerkosten senken, wenn die Erzeugnisse von der Produktion direkt an die Kunden ausgeliefert werden.

Marketing und Vertrieb
Hier ergeben sich naturgemäß die größten Möglichkeiten des eCommerces, deshalb ist diesem Punkt ein eigener Artikel gewidmet.

Service
Im Service lassen sich durch eBusiness sowohl Mehrwerte für den Kunden generieren, als auch wiederum Kosten einsparen. Mit Softwarelösungen wie eService von Magic Software Enterprises lässt sich der komplette Service von Unternehmen Web-basiert organisieren.
Für den Kunden bedeutet dies, dass sich ihm verschiedene Möglichkeiten der Kontaktaufnahme bieten. Vom Telefon, über Call-Back-Buttons bis zur E-Mail wird seine Anfrage immer automatisch an den zuständigen Experten weitergeleitet. Unabhängig von Geschäftszeiten stehen ihm alle wichtigen Standardinformationen (Fehlerdatenbänke, Manuals, Schaltpläne, usw.), die ansonsten Fax- und Telefonverkehr erforderten hätten, zu Verfügung.
Web-basierter Service entlastet gleichzeitig die anbietenden Unternehmen. Mit der Veröffentlichung von Standardinfos werden mehr Ressourcen für die persönliche Betreuung der Kunden frei, während der Aufwand für Standardanfragen gleichzeitig sinkt.

Die horizontalen Aktivitäten:
General Management, Personalmanagement, Technologie- und Informationsmanagement

Schon um auf einer einheitlichen Plattform zu arbeiten, empfiehlt es sich, auf den übergreifenden Ebenen auch auf Web-Basis zu arbeiten. Abgesehen davon bringt der Einsatz von Internettechnologie hier Kosteneinsparungen, weil die Internet-Technologie insgesamt preiswerter ist, als etwa klassische Client/Server-Systeme.
Auch Themen wie Dokumentenmanagement oder Organisation von Arbeit in crossfunktionalen, geographisch verteilten Teams können Unternehmen mit eBusiness-Konzept voran bringen und sich so Wettbewerbsvorteile verschaffen. Ganz aktuell auf diesem Gebiet ist zur Zeit das Thema Wissensmanagement, für das sich die Internettechnologie mit der Möglichkeit, Dokumente einfach weltweit zugänglich zu machen, als eine ideale Basis herausstellt.

Das eUnternehmen
Schon bei der Skizzierung der Potentiale in den verschiedenen Segmenten der Wertschöpfungskette wurde deutlich, dass sich die größten Potentiale erschließen lassen, wenn man durch eBusiness-Konzepte die gesamte Kette integriert. Im Idealfall und Endzustand löst dann bereits das Eingehen einer Online-Bestellung am einen „Ende“ die Bestellung der nötigen Zuliefererzeugnisse und/oder Rohstoffe am anderen Ende aus.
Ist solch eine Durchgängigkeit für Daten erreicht, kann durch die Neugestaltung von Geschäftsprozessen der gesamte Workflow optimiert, Produktionszeiten verkürzt und Reaktionszeiten reduziert werden. Auch Massenprodukte lassen sich dann quasi auf Bestellung fertigen (Build-to-Order-Konzept, Mass-Customizing) zahlreiche, heute noch manuell ablaufenden, Vorgänge automatisieren.
Dem Management stehen auf Knopfdruck Daten zur Verfügung, die als Ganzes ein Echtzeitbild der Unternehmen zeichnen. So lassen sich nicht nur die aktuellen Prozesse optimal gestalten. Für die Planung bilden diese Daten eine solide Basis für exakte Prognosen, mit deren Hilfe das Management ein Unternehmen sehr genau auf die spezifischen Marktbedingungen hin auszurichten kann.
Es ist klar, dass dieser Grad der Integration nicht nur eine organisatorische Herausforderung ist. Für die meisten Unternehmen bedeutet dies, das sie auch ihre gesamte IT umgestalten müssen, um ihre operationalen Systeme hinreichend eng zu koppeln.
Das jeweils individuelle, virtuelle eUnternehmen eines gegebenen, konkreten Unternehmens, ist das, was im Artikel über die Schritte zu einer eBusiness-Strategie als die ideale Vision bezeichnete wurde. Die Verwirklichung dieser Vision sollte das Endziel aller eBusiness- und eCommerce-Aktivitäten eines Unternehmens sein.

Checkliste
eBusiness-Potenziale in der Wertschöpfungskette

Eingangslogistik und Beschaffung

  • Lohnt sich die Teilnahme an vertikalen Marktplätzen (branchenspezfische Güter)?
  • Lohnt sich die Teilnahme an horizontalen Marktplätzen (branchenunabhängige Güter)?
  • Sind Einsparmöglichkeiten durch Online-Beschaffung von C-Gütern überprüft worden?
  • Lassen sich Kosten durch elektronische Transaktionen mit Lieferanten einsparen?
  • Bei zahlreichen Lieferanten: Wurde die Möglichkeit einer übergreifenden eBusiness-Plattform für Lieferanten und Unternehmen überprüft (zur Bündelung von Nachfrage evt. sogar gemeinsam mit Konkurrenzunternehmen)?

Produktion

  • Ist die Produktion mit ihrem Automationsnetzwerk ohne Medienbrüche IT-technisch in die anderen Unternehmensbereiche integriert, um eine durchgängige Kommunikation zu gewährleisten?
  • Sind insbesondere Planungs- und Steuerungsebenen gekoppelt, um die Operationsabläufe zu optimieren?
  • Wo lassen sich preiswerte PC-Steuerungen mit der Möglichkeit der Internet-Vernetzung statt proprietärer Steuerungen einsetzen?
  • Werden Konzepte der vorbeugenden Wartung per Internet, Visualisierung via Browser usw. bereits genutzt oder sind sie in der Planung?

Dienstleistungen

  • Können Dienstleistungen wie z. B. Beratung, Finanzdienstleistungen, Handel – kurz alle Dienstleistungen, in die der Kunde als Objekt nicht involviert ist bzw. die keine physikalischen Verrichtungen erfordern – via Web geleistet oder besser erbracht werden?
  • Können eMail und andere Internetdienste als schnelle und effiziente Standardkommunikationsmittel Prozesse beschleunigen bzw. kostengünstiger machen?
  • Arbeiten geographisch verteilte Teams effizienter auf Webbasis zusammen ?
    Lassen sich Prozesse durch Web-basierten Workflow optimieren (Vorgangsbearbeitung per virtueller Akte, Dokumentenmanagement usw.)?
  • Ist es sinnvoll, Telearbeitsplätze über das Internet anzubinden?

Ausgangslogistik

  • Erschließt die Teilnahme an vertikalen und/oder horizontalen Märkten neue Möglichkeiten oder erhält sie den derzeitigen Status?
  • Könnten Schlüsselkunden via eBusiness bedient werden, wenn sie es wünschten?
  • Lohnt es, falls noch nicht geschehen, Logistikdienstleister ins Unternehmens-Intranet/Internet zu integrieren (um eigene Prozesse zu optimieren oder Kunden immer über Stand der Auslieferungen via Web informieren zu können)?

Service

  • Setzt das Unternehmen webgestütze eService-Lösungen für Kundenkommunikation ein (häufige Fragen, eMail-Support, Fehler-Datenbank, usw.), um Kosten zu sparen und Leistungen zu optimieren?
  • Ist ein preiswerter, 24-stündiger Follow-the-Sun-Service sinnvoll und via Web realisierbar (Follow-the-Sun-Service heißt, dass der Service von Büros in verschiedenen Zeitzonen einheitlich über ein Website angeboten wird. Vorteil: Die Arbeit wird kostengünstig zur jeweiligen Tagzeit der Mitarbeiter geleistet)?
  • Können die eigenen Produkte aus der Ferne über das Internet vorbeugend gewartet werden, um ihre Verfügbarkeit zu erhöhen, den Einsatz von Kundendienstkräften zu reduzieren und Garantieleistungen zu minimieren?

Übergeordnete Aktivitäten

  • Siehe unter Operationen, Dienstleitungen, die meisten der dort erwähnte Punkte (Workflow, Teammanagement usw.) sollten auch hier hinterfragt werden.
  • Ist es von den Kosten und Möglichkeiten er sinnvoll, Internet- statt Client/Server-Technologie einzusetzen?
  • Ist überprüft worden, ob mit dem Interneteinsatz neue Formen des Knowledge Management möglich werden?
  • Ist das Topmanagement mit dem Internet vertraut?
  • Existieren Strategien, welche Rolle eBusiness im Unternehmen in den nächsten Jahren spielen wird (gibt es die Vision des eUnternehmens)?
  • Wird geprüft, ob die Internettechnologie die Basis einer Integration der Wertschöpfungskette sein kann und was dafür unternommen werden kann und muss?

Neue Produkte für neue Märkte

  • Können Sie Ihre Kernkompetenzen einsetzen, um spezifische Web-Angebote zu formen?
  • Besitzen Sie spezielles technisches Know-how, um spezifische Internet-Produkte entwickeln zu können (klassischerweise Internetsoftware und -hardware)?

Marketingmix

Price

  • Kalkulieren Sie Ihre Preise web-spezifisch?
  • Geben Sie eBusiness-Vorteile als Preissenkungen weiter?
  • Sind Ihre Preise im Vergleich zu den sichtbaren Preisen der Mitbewerber konkurrenzfähig?

Product

  • Prüfen Sie, ob Ihre Produkte über das Internet gesteuert, überwacht oder gewartet werden können: Wenn nein, dann werden Sie früher oder später Internet-Features für Ihre Produkte entwickeln müssen.
  • Prüfen Sie, ob mit ihren Produkten Internet-Dienste prinzipiell in Anspruch genommen werden können (Beispiele: Fernseher, Radios, Telefon, Uhren), auch wenn dies zur Zeit noch völlig utopisch erscheint (Beispiel: Brille). Wenn nicht, werden Sie früher oder später Internet-Zugang in ihre Produkte integrieren müssen.

Promotion
Prüfen Sie welche Online-Marketing-Tools zu Ihrer Marketing- und Marken-Strategie passen, dazu gehören:

  • Unternehmen und Produkte auf Website mit Nutzwert für Besucher (minimal)
  • Online-Advertising
  • eMail-Marketing
  • Newsletter
  • Online-PR
  • Suchmaschinen-Einträge
  • Sponsoring von Themensites

Place

  • Sind Ihre Produkte über das Internet verkäuflich?
  • Ist das Internet für Sie grundsätzlich ein geeigneter Vertriebskanal?
  • Welche sind die günstigsten „Handelsplätze“ (eigene Website, Online-Marktplatz) für ihre Produkte?