Alle Marktakteure betrachten Versicherungsbetrug als Kavaliersdelikt

Wer bei Versicherungsunternehmen überhöhte Schadensmeldungen einreicht oder bewusst falsche Angaben macht, glaubt häufig nicht, dass er damit eine Straftat begeht. Auch die Versicherungsvermittler haken Betrugsversuche oft als Kavaliersdelikt ab, um keine Kunden zu verlieren. Und sogar die Versicherungsunternehmen selbst gehen erstaunlich kulant mit Betrugsrisiken um und halten sich bei Straftaten ihrer Kunden eher bedeckt, obwohl in der Summe hohe Schäden entstehen. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der Universität des Saarlandes zum „Management von Betrugsrisiken in Versicherungsunternehmen“.
Kind und älterer Mann mit Sparschwein.

Für ihre Doktorarbeit wertete die Betriebswirtin Jessica Knoll rund 400 Fragebögen aus, die sie an Versicherungsnehmer geschickt hatte, sowie über 100 Fragebögen, die Versicherungsvermittler von ihr erhalten hatten. „Rund 40 Prozent der Versicherungsnehmer waren der Meinung, dass fast jeder Kunde schon einmal seine Versicherung betrogen hat. Eine ähnlich hohe Zahl hat einen Versicherungsbetrug im engeren persönlichen Umfeld beobachtet und hält es für etwas Alltägliches“, sagt die Studienautorin. Anhand von Literaturrecherche fand sie zudem heraus, wie das Management von Versicherungsunternehmen mit dem Betrugsrisiko umgeht. „Nach Schätzungen der Versicherungswirtschaft muss die Branche jedes Jahr rund vier Milliarden Euro Verlust in Kauf nehmen aufgrund des betrügerischen Verhaltens ihrer Kunden“, lautet ein Ergebnis.

Das Unrechtsbewusstsein der angestellten oder selbstständig tätigen Versicherungsvermittler hält sich der Studie zufolge ebenfalls in Grenzen. „Bei meiner anonymen Umfrage sahen es mehr als die Hälfte der Vermittler nur als Kavaliersdelikt an, wenn man die Schilderung des Schadens so verändert, dass das Versicherungsunternehmen auf jeden Fall bezahlt“, stellte die Wissenschaftlerin fest. Immerhin betrachteten es mehr als 60 Prozent der Befragten als Straftat, wenn man Versicherungsnehmern empfiehlt, notwendige Angaben bewusst zu unterlassen. Die Mehrheit der Vermittler habe gemeint, dass ihre Versicherungsunternehmen den Betrug nicht aktiv fördern, aber auch nicht konsequent bekämpfen würden. Rund 90 Prozent der Befragten hätten angegeben, dass sie mit versuchten Fällen von Versicherungsbetrug in Berührung gekommen seien, der finanzielle Schaden hieraus für die betroffenen Versicherungsunternehmen aber nicht sehr hoch zu sein scheine, erläutert Knoll. Jedoch bewerteten die Vermittler den Versicherungsbetrug eher als Straftat und stuften nur die Fahrerflucht und Steuerhinterziehung als geringfügigere Delikte ein. Bei der Umfrage unter den Endkunden wurde hingegen der Versicherungsbetrug eindeutig als „Kavaliersdelikt“ eingestuft.

„Vor diesem Hintergrund verwundert es vielleicht nicht, dass ein Drittel der befragten Endkunden meint, eine Versicherung lohne sich nur, wenn auch mal ein Schaden eintritt. Und jeder achte glaubt, dass sich Versicherungen eine goldene Nase verdienen und es daher nicht ins Gewicht falle, wenn man sich als Kunde etwas von seiner Versicherungsprämie zurückholt“, stellt die Betriebswirtin fest. Zugleich gewann sie bei ihrer anonymen Befragung den Eindruck, dass die Versicherungsnehmer überschätzen, wie häufig Betrügereien tatsächlich aufgedeckt werden. Die Unternehmen selbst kehrten offenbar viele Betrugsfälle unter den Teppich und kündigten lieber den untreuen Kunden, bevor sie durch Strafanzeigen ein schlechtes Image bekämen. Knoll rät den Versicherungsunternehmen daher, ihre Mitarbeiter und Vermittler intensiver zu schulen und diese so stärker für mögliche Betrügereien zu sensibilisieren: „Es gibt viele Verdachtsmomente, über die Betrugsfälle frühzeitig erkannt und aufgedeckt werden könnten.“

Die Dissertation „Management von Betrugsrisiken in Versicherungsunternehmen“ ist im Nomos-Verlag veröffentlicht worden.