Zufrieden ist nicht genug

Keiner noch so aufwendigen Werbebotschaft schenken Kunden beim Einkauf so viel Vertrauen wie den persönlichen Empfehlungen von Bekannten oder Kollegen, erst recht in Zeiten des Social Web. Gelingt es also einem Anbieter, zufriedene Kunden zu Botschaftern seines Produkts oder Unternehmens zu machen, dann hat er damit sozusagen den Marketing-Jackpot geknackt. Patrick Eberwein, Senior Consultant bei der Unternehmensberatung Detecon International GmbH in der Competence Practice Organization in Bonn, erläutert, worauf es beim Customer Experience Management (CEM) ankommt.

von Patrick Eberwein

Die Wahrscheinlichkeit, dass sich solche persönlichen Empfehlungen viral verselbstständigen, wird bereits vereinzelt systematisch gemessen, etwa mit dem „Net Promoter Score“ (NPS), entwickelt bereits 2003 von Fred Reichheld, der von nahezu allen großen Wirtschaftsmagazinen als einer der weltweit führenden Unternehmensberater gelobt wird. Mehrere Tausend Unternehmen haben die Methode inzwischen angewandt und dabei weiter verfeinert. Für den NPS wird in einer repräsentativen Gruppe die Differenz aus Befürwortern und Kritikern gemessenen. Einen direkten Zusammenhang zwischen diesem Wert und dem Unternehmenswachstum haben die NPS-Erfinder für mehr als 30 Branchen nachgewiesen. Wobei es natürlich über das Benchmarking hinaus vielmehr um die Frage gehen muss, wie man solche persönlichen Empfehlungen fördern kann, also wie sich positive Kundenerfahrungen sozusagen „kultivieren“ lassen, beziehungsweise umgekehrt welche bestehenden Rahmenbedingungen dies eventuell sogar verhindern.

Emotionale Bindung zwischen Kunde und Produkt

Das professionelle, nachhaltige Management von Kundenerlebnissen (auf Englisch „Customer Experience Management“, kurz CEM) ist in jüngster Zeit zu einem der vielversprechendsten Marketingansätze avanciert. Mit bloßer Demonstration von Kundenzufriedenheit, etwa in Form werblicher „Testimonials“ hat dies allerdings nur wenig zu tun. Ziel ist vielmehr eine Loyalität, ja eine emotionale Bindung zwischen dem Anwender und dem Produkt beziehungsweise der Marke oder dem Anbieter, die sich langfristig auszahlt, da „treue“ Kunden nachweislich weniger preissensibel sowie weniger anfällig gegenüber Konkurrenzangeboten sind und zudem auch Fehler verzeihen.

Im Vergleich zum klassischen „Customer Relationship Management“ (CRM), das sich in erster Linie aus den eigenen Unternehmensprozessen heraus definiert, zielt CEM mehr auf eine emotionale Kundenbindung ab, und zwar durch Erhöhung der Loyalität und durch Übererfüllung von Kundenerwartungen. Dadurch dass sich das Unternehmen in die Lage versetzt, die Perspektive seiner Kunden (und auch Nicht-Kunden) einzunehmen, setzt CEM somit nicht nur auf Maßnahmen mit direkter Auswirkung auf Kaufbereitschaft, Umsatz oder Nutzungsintensität, sondern ganz gezielt auch auf die indirekten Effekte, wie etwa besagte Mund-zu-Mund-Propaganda.

Besonders großes Interesse am Thema „Customer Experience Management“ zeigen jene Unternehmen, deren Produkte sich in Preis und Leistung vergleichsweise wenig von denen ihrer Konkurrenz unterscheiden, wie etwa bei Telekommunikationsprodukten oder einer Versicherung. Je weniger Raum zur Differenzierung also das Produkt an und für sich gibt, desto mehr setzen Unternehmen auf das Kundenerlebnis als entscheidenden Wettbewerbsfaktor. Genau dieses Erlebnis wird maßgeblich davon bestimmt, ob der Anbieter im so genannten „Moment of Truth“ seine zuvor gemachten Versprechungen auch wirklich einhält – bei der Versicherung zum Beispiel könnte dies eine besonders unbürokratische und schnelle Abwicklung des Versicherungsfalls sein. Dies macht einen umso größeren Unterschied, seit spezielle Internet-Suchmaschinen und Produkttests für ein Höchstmaß an Markttransparenz gesorgt haben. Mit dieser nahezu lückenlosen Vergleichsmöglichkeit droht inzwischen die Stabilität vieler Kundenbeziehungen zu erodieren.

Wie sehr Kundenbindung zu einem wettbewerbsentscheidenden Faktor geworden ist, zeigte beispielsweise 2009 eine Befragung von 890 Entscheidern durch die Strativity Group: Jene Unternehmen, die ihre Investitionen in CEM erhöht haben, verzeichnen auch eine Steigerung in der Kundenzufriedenheit. Gerade in gesättigten Märkten und Branchen mit überdurchschnittlich starker Konkurrenzsituation, wie etwa der Telekommunikation, den Finanzdienstleistungen oder der Automobilbranche, suchen Anbieter nach „authentischen Leistungsversprechen“, die den Kunden Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit garantieren oder zumindest suggerieren.

Loyalität zu Anbietern sinkt

Auch der fünfte „Walker Loyalty Report“ verdeutlichte 2011 den großen Nachholbedarf bei der Kundenbindung, hier insbesondere in US-amerikanischen IT-Unternehmen. Demnach sind die Loyalitäts-Werte der Firmen seit der letzten Studie (2008) sogar gesunken, und zwar von durchschnittlich 54% auf jetzt 43%. Vergleicht man unter den untersuchten Unternehmen jene mit besonders hohen und jene mit besonders niedrigen Loyalitätswerten, zeigt sich ein um 20% höheres Umsatzwachstum und eine ebenfalls um etwa 20% höhere Umsatzrendite über einen Drei-Jahres-Zeitraum.

Einer der Erfolgsfaktoren bei CEM ist die kontinuierliche Messung und Analyse der Maßnahmen, denn nur so lässt sich die Lücke zwischen Erwartungen und Erfahrungen des Kunden schließen. Eine genaue Bestandsaufnahme der Kundenerwartungen sowie der positiven und negativen Auswirkungen von Kundenerfahrungen auf Umsatz und Kosten ist deshalb eine Grundvoraussetzung dafür, spezielle positive Kundenerlebnisse gezielt herbeizuführen.

So genau wie möglich sollte der Anbieter versuchen, die Perspektiven seiner Kunden zu verstehen. Was heißt es also ganz konkret, Kunde meines eigenen Unternehmens zu sein? Welche ganz alltäglichen Erfahrungen mache ich also Kunde meines Unternehmens? Wie fühlt es sich an, wenn ich am Telefon in die Wartschleife geschickt oder mit einer schlecht übersetzten Bedienungsanleitung allein gelassen werde? Wie ist es, auf einen seit zwei Stunden überfälligen Rückruf des Kundendienstes zu warten? Oder eine Stunde später zu einem leeren Online-Warenkorb zurückzukommen? Und wie fühlt es sich stattdessen an, wenn sich der Anbieter an mich als Kunde erinnert, mir hilfreiche Vorschläge unterbreitet? Wenn alles genau so ist wie versprochen?

Ärgert sich zum Beispiel ein DSL-Kunde, weil er plötzlich nicht mehr ins Internet kommt, ist oft zunächst der Anbieter schuld, auch wenn der Fehler eigentlich in der Konfiguration des Endgeräts liegt und die Dienste des Anbieters einwandfrei funktionieren. Dass die Auswirkungen auf die Kundenzufriedenheit vielleicht trotzdem verheerend sein können, liegt daran, dass weniger die Leistung, sondern die wahrgenommene Leistung über die Zufriedenheit entscheidet. CEM-Aktivitäten setzen an diesen Punkten ein und würden nun darauf abzielen, diese fehlerhaften Dienstanforderungen frühzeitig / im Voraus zu identifizieren, zu analysieren und zu vermeiden sowie den Kundenbetreuer entsprechend darauf vorzubereiten, ihm den notwendigen Handlungsspielraum zu eröffnen, indem er auf Kundenbeschwerden auch wirklich kompetent reagieren kann – zum Beispiel mit einer Bereitstellung eines UMTS Sticks oder der kostenfreien Nutzung einer Datenoption im Mobilfunkvertag des Kunden, bis das eigentliche Problem behoben ist.

Detecon-Untersuchungen zum Thema CEM haben eindeutig gezeigt, dass die Befähigung der eigenen Mitarbeiter zu den am häufigsten geforderten und wirksamsten CEM-Maßnahmen überhaupt zählt. Es ist erfolgsentscheidend, eine zumindest grundlegende Basisfreundlichkeit und Kundenorientierung sicherzustellen, etwa in Form eines authentischen Auftretens, einer fairen Beratung und kompetenten Auskunft oder einfach nur einer schnellen und unbürokratischen Unterstützung. Die hohe Bedeutung der eigenen Mitarbeiter als „Gesichter“ des Unternehmens gegenüber den Kunden, einschließlich der dafür erforderlichen Prozesse und Infrastrukturen sowie der Verlagerung von Entscheidungskompetenz an Mitarbeiter mit Kundenkontakt lassen sich unter dem Begriff „Mitarbeiter Enablement“ zusammenfassen.

Zufrieden, aber ohne tiefere Bindung

Wie eine Typologie des Marktforschungsunternehmens forum! zeigt, ist die bei weitem größte aller Kundengruppen jene mit zugleich überdurchschnittlicher Zufriedenheit und unterdurchschnittlicher emotionaler Bindung an das Unternehmen. In dieser Gruppe funktioniert sozusagen nur eine Seite der Kundenbeziehung, nämlich die rationale, durch die sich die Wechselbereitschaft der Kunden nicht wirksam verringern lässt. Erst wenn es gelingt, auch die emotionale Seite ins Spiel zu bringen, kann nachhaltig Loyalität entstehen.

Messbar und somit auch vergleichbar wird diese emotionale Kundenbindung durch einen von forum! entwickelten Index, der sich aus sechs Faktoren zusammensetzt: Bereitschaft zur Weiterempfehlung, Absicht zum Wiederkauf, Cross-Buying-Bereitschaft, Alleinstellungsanspruch, Vertrauen und Commitment. All diese Faktoren sind bei Unternehmen mit vergleichsweise kundenorientieren Mitarbeitern um 16 bis 21 Prozent stärker ausgeprägt als bei Unternehmen mit weniger kundenorientieren Mitarbeitern, wie eine Auswertung des jährlichen Wettbewerbs „Deutschlands Kundenchampions“ zeigt.

Zum Schwur kommt es in besagten „Moments of Truth“ (Augenblicken der Wahrheit): Vor allem Beschwerden sind solche Prüfsteine, da der Kunde hier vom Anbieter die Einlösung seiner Versprechen erwartet, wie etwa eine in der Werbung zugesagte schnelle Reaktionszeit des Kundendienstes. Spätestens beim Beschwerdemanagement zeigt sich also, wie gefestigt die Loyalität des Kunden wirklich ist.

Auch Marketing- und Kommunikationsstrategien sollten dies berücksichtigen, denn überschwängliche Produkt- oder Serviceversprechen müssen auch eingelöst werden, um Enttäuschungen zu vermeiden. Im Einklang mit CEM steht die Erfolgskommunikation also erst dann, wenn sie langfristig auf Glaubwürdigkeit und Transparenz setzt, anstatt nur kurzfristig den Verkauf anzukurbeln. Die ganzheitliche Innovationskommunikation geht sogar noch einen Schritt weiter und versucht, Kunden durch kommunikative Austauschprozesse bereits frühzeitig in die Produktentwicklung mit einzubinden, indem sowohl negative Produkterfahrungen als auch konstruktive Lösungsvorschläge in den Innovationsprozess einfließen (Stichworte sind hier „Open and User Innovation“ sowie das „Lead User“-Konzept).

Im Rahmen der 2010 durchgeführten Detecon-Studie hat Bill Price, Autor des Bestsellers „Best Service is no Service“ und ehemals Global Vice President von Amazon, die Herausforderung des strategischen Managements von Kundenerlebnissen auf den Punkt gebracht: „CEM is the art and science of figuring out what each customer wants and needs.“ Wenn es also gelingt, jeden einzelnen Kunden besser zu verstehen und mit diesem Wissen positive Erfahrungen herbeizuführen und Erwartungen zu übertreffen, dann kann aus einer zufriedenen Kundschaft eine Fangemeinde aus Markenbotschaftern werden.

Über den Autor: Patrick Eberwein ist bei der Unternehmensberatung Detecon International GmbH in der Competence Practice Organization in Bonn als Senior Consultant tätig. Nach seinem Studium der internationalen Betriebswirtschaftslehre mit dem Schwerpunkt Unternehmensberatung und Unternehmensentwicklung ist er seit Juli 2007 Mitglied des Global Competence Teams CRM der Detecon International GmbH. Er ist Experte für die Themen Lead- und Kontaktmanagement sowie Mitautor der Customer Experience Management Studie. Seine Branchenexpertise richtet sich auf die Bereiche Telekommunikation und Automotive.

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