Zeitungen melden Weltrekord – Print ist immer noch deutlich stärker als Digital

Mehr als 2,5 Milliarden Menschen lesen gedruckte Zeitungen, über 600 Millionen die digitalen Ausgaben. Das ist Weltrekord: Noch nie war die Reichweite der Zeitungen so hoch wie jetzt. Der Printabsatz geht zwar zurück, die Reichweite steigt, das Geschäftsmodell verändert sich. So liefert der Jahresbericht „World Press Trends“ des Zeitungweltverbands WAN-IFRA auch Zeugnis über die anstrengende Aufgabe, den wirtschaftlichen Übergang vom Print- zum digitalen Geschäft zu meistern.

Von Roland Karle

Demnach informiert sich weltweit mehr als die Hälfte der Erwachsenen aus Zeitungen: Über 2,5 Milliarden Menschen lesen Print- und mehr als 600 Millionen Digitalausgaben. Das sind zusammen mehr Personen, als es weltweit Internetnutzer gibt. Das geht aus dem gerade veröffentlichten Jahresbericht „World Press Trends“ des Zeitungweltverbands WAN-IFRA für 2011 hervor. Darin sind Auflagen aus mehr als 150 Ländern und die Entwicklung von Werbeeinnahmen in mehr als 90 Ländern aufgelistet. Das Werk repräsentiert über 90 Prozent des weltweiten Branchenumsatzes.
Dass angesichts der Studie Blogger und Verlagskritiker im Netz nur allzu gerne der Tagespresse das Sterbeglöckchen läuten, mutet angesichts solcher Zahlen seltsam an.

„Zeitungen sind allgegenwärtig und ein fester Bestandteil unserer Gesellschaft. Unsere Branche ist mächtiger als viele vermuten“, sagt denn auch Larry Kilman, stellvertretender CEO von WAN-IFRA. In Zahlen: Die Auflagen kostenpflichtiger Zeitungen weltweit sind vergangenes Jahr gegenüber 2010 um 1,1 Prozent auf 512 Millionen Exemplare gestiegen – die regionalen Unterschiede sind jedoch teilweise erheblich. Die Reichweite, also die Menge der Leser, hat seit 2007 um 4,2 Prozent zugenommen.

Die Leser sind nicht das Problem

Zugleich erkennen Verlagsmanager, dass es nicht folgenlos bleibt, wenn sich die Medien und ihr Konsum wandeln. Die Erfolge von gestern und heute sind kein Schutz für die Zukunft – und schon gar keine Antwort auf Fragen, wie es weitergehen soll. „Die Zeitungen müssen sich verändern, wenn sie ihre traditionelle Rolle als Hüterin der Werte unserer Gesellschaft weiterhin ausfüllen und glaubwürdige Nachrichten und Informationen liefern wollen“, sagt Kilman. Das Problem liege nicht bei den Lesern. „Wir haben Leser. Die Herausforderung ist eher wirtschaftlicher Art. Wir müssen erfolgreiche Geschäftsmodelle für das Digitalzeitalter entwickeln”, betont Kilman. „Bild“ lässt grüßen.

Was die Studie des Weltverbands deutlich macht: Bekannte Medienmarken genießen auch im Internet hohe Akzeptanz und gewinnen Publikum. Mit steigender Tendenz: Der Anteil der weltweiten Internetnutzer, die Onlineausgaben von Zeitungen lesen, hat binnen eines Jahres von 34 auf über 40 Prozent zugelegt. Hoher Traffic ist freilich nicht gleichbedeutend mit regelmäßig hoher Frequenz. So besuchen rund 70 Prozent der Online-User in den USA die Websites der Zeitungen, allerdings nur 17 Prozent täglich.

Die These, dass die Reichweite der gedruckten Zeitungen durch steigenden Digitalkonsum sinkt, lässt sich durch die jüngsten Befunde nicht erhärten. So gehören Südkorea und Hongkong mittlerweile zu den zehn Ländern, die die höchste Zeitungsleser-Einwohner-Quote aufweisen. Gerade Südkoreaner sind im Internet so schnell unterwegs und so digital ausgerichtet wie kaum ein anderes Volk (siehe Absatzwirtschaft 9/2012, Seite 84-87). Laut WAN-IFRA rangieren die Länder mit den höchsten Zeitungsleserzahlen zugleich unter den Nationen mit dem höchsten Breitbandverbreitungsgrad.

Gratiszeitungen funktionieren
in etlichen Märkten

In Asien genießen Zeitungen einen hohen Stellenwert. Dort wird ein Drittel der weltweiten Auflage verkauft. Der Absatz ist in den vergangenen fünf Jahren um 16 Prozent gestiegen, während er in Westeuropa und Nordamerika um 17 Prozent gesunken ist. Erstaunlich im Vergleich zu Deutschland, dass Gratiszeitungen in vielen Märkten durchaus funktionieren. Weltweit wurden im vergangenen Jahr 36 Millionen Exemplare verteilt. Vor allem bei jungen Lesern kommt die Kostenloslektüre an. Die Reichweite (Leser pro Exemplar) ist etwa so hoch wie bei zahlungspflichtigen Zeitungen – und die Gratistitel erzielen ähnlich hohe Werbeeinnahmen.

Was für den deutschen Markt gilt, gilt auch weltweit: Für die Verlage sind die gedruckten Zeitungen noch immer die Haupteinnahmequelle. Von den insgesamt 200 Milliarden US-Dollar, die die Zeitungshäuser zwischen Augsburg und Alabama erwirtschaften, stammt knapp die Hälfte aus dem Vertrieb. Das Anzeigengeschäft brachte zuletzt 76 Milliarden Dollar, die einem Fünftel des gesamten globalen Werbemarkts entsprechen. Wie stark die einst dominierende Erlössäule bröckelt, zeigt ein Vergleich mit 2007: Damals spülte Werbung noch 128 Milliarden Dollar in die Verlagskassen.

Zeitungskrise in Amerika
macht sich bemerkbar

Die Zeitungskrise in Nordamerika schlägt sich in den Zahlen deutlich nieder. 72 Prozent der weltweiten Einbußen im Anzeigenmarkt gehen auf die Blätter in dieser Region zurück. Hingegen haben sich die Einnahmenverluste aus Zeitungswerbung in Westeuropa in den letzten Jahren abgeschwächt. Vom insgesamt kräftig gestiegenen Online-Werbemarkt – weltweit kletterte der Umsatz in den zurückliegenden vier Jahren von 42 auf 76 Milliarden Dollar – profitieren die Zeitungen bislang kaum. Laut WAN-IFRA-Daten landen nur 2,2 Prozent davon bei den digitalen Printablegern.

Unterm Strich konnten die Einbußen im Anzeigengeschäft nicht durch die Einnahmen aus der Internetwerbung ausgeglichen werden. Dabei korreliert der Rückgang mit der geringeren Intensität beim Lesen von Onlinenachrichten. In der Studie heißt es: „Die Leser digitaler Nachrichten verbringen weniger Zeit und besuchen weniger Seiten auf den digitalen Plattformen als beim Lesen von Printprodukten. Diese geringe Intensität spiegelt sich bei den Zeitungen im Anteil der Einnahmen aus deren Digitalgeschäft wider.“
Verlagsmanager und Chefredakteure sind also gefordert. Zeitungsexperte Kilman ist überzeugt: „In diesem Bereich können Verlage den Grundstein für zunehmende Einnahmen aus dem Digitalgeschäft legen, indem sie Wege finden, die Intensität der Nutzererfahrung zu erhöhen. Das ist eine Grundvoraussetzung für steigende Einnahmen.“