Worauf sich Lieferanten einstellen müssen

Ist die europäische Union nun Realität oder nicht? Die Erfahrungen der Autoren zeigen: Beim Versuch, für Waren oder Dienstleistungen einen europäischen Anbieter auszumachen, gestaltet sich oft schon die Identifikation des Ansprechpartners schwierig. Zur echten Herausforderung wird die Aufgabe, im Rahmen einer Ausschreibung mehrere Anbieter mit einer vergleichbaren Leistung auf vergleichbarem Niveau zu finden.

Die Global Player der meisten Branchen haben die Vorteile grenzübergreifender Beschaffungsvorgänge bereits seit langem erkannt: Durch Bündelung der Einkaufsmacht gegenüber ihren Zulieferern, Reduzierung der Anzahl interner Ansprechpartner und Standardisierung der Anforderungen ihrer operativ tätigen Landesgesellschaften versuchen sie meist erfolgreich an Stärke gegenüber ihren Zulieferern zu gewinnen und kön-nen in der Regel Kostenreduktionen zum Beispiel durch Beschaffungspreisverbesserungen und niedrigere Prozesskosten realisieren.

Was die großen Einzelhändler, allen voran Wal-Mart oder Metro, schon seit langem praktizieren, ist auch für Global Player anderer Branchen nicht neu. Automobilkonzerne wie DaimlerChrysler oder Logistiker wie DHL zeugen davon. Doch auch eher mittelständisch geprägte Unternehmen, deren internationale Aktivitäten sich zum Teil auf Regionen wie Europa beschränken, erkennen die Zeichen der Zeit und nutzen dieses Instrument zur Optimierung ihrer Wettbewerbsposition.

Gesamtes Einkaufsvolumen im Fokus

Die Konsolidierung erstreckt sich dabei zunehmend auch auf Produkte und Dienstleistungen mit Commodity-Charakter und relativ niedrigen Anteilen an den Gesamtkosten – also jenen, die weder strategischen Charakter noch bedeutendes Volumen (zum Beispiel klassische C-Artikel) haben und deshalb bisher bei entsprechenden Analysen und Optimierungsprojekten durchs Raster fielen. Diese Produkte und Dienste werden heute zumeist noch lokal oder sogar standortbezogen beschafft, geraten angesichts neuer Möglichkeiten durch e-Procurement und fortschreitendem Rationalisierungszwang durch Globalisierung und Kostendruck jedoch ebenfalls ins Visier der Kostensenker.

Typische Produkte und Dienstleistungen, für die im Regelfall die oben genannten Feststellungen zutreffen, sind:

  • Festnetztelefonie
  • Mobilfunk
  • Firmenwagen
  • Druck-/Fax-/Kopierbetrieb
  • IT-Betrieb (PC/Server/Netzwerk/Rechenzentren)
  • Büroartikel
  • Dienstbekleidung
  • Transportdienstleistungen

Der Charakter der an die Zulieferer herangetragenen Anfragen verändert sich dabei von reinen Einkaufs- und Beschaffungsanfragen zu integrierten Lösungskonzepten, die außer der Beschaffung des eigentlichen Produktes auch Service, Beratung, Support/Betrieb und Verbrauchsmaterial bis hin zur Rücknahme der Produkte am Ende des Lebenszyklus beinhalten (siehe Kasten).

Beispiel: Druck- und Kopiermaschinen
Ein praktisches Beispiel belegt, was Nachfrager Lieferanten heute abverlangen: Führende Büro-maschinen-anbieter sehen sich heute nicht nur mit der Anforderung konfrontiert, international lieferfähig zu sein, sie müssen auch auf Basis eines fixen Druckvolumens einen einheitlichen Preis je Druck-seite (sog. „Klickpreis“) anbieten. Die gesamte Bereit-stellung, Wartung und Unterhaltung der Geräte – einschließlich der Kosten für Verbrauchs-material bis hin zum Kopierpapier – geht mit Abschluss eines solchen Vertrages in die Ver-antwortung des Dienstleisters über, der gleich-zeitig auch das Risiko eines Geräteausfalls über-nimmt und schließlich – im Zweifelsfall über ent–sprechende Schnittstellenanpassungen – die Kompatibilität der von ihm eingesetzten Geräte mit dem vom Kunden vorgehaltenen Systemumfeld sicher-stellen muss. Die Herausforderung besteht darin, trotz meist höchst heterogener Strukturen der Kunden (unterschiedlich große Landesgesellschaften, Verbrauchsstrukturen, technische Anforderungen etc.) einen für alle Länder und Büros einheitlichen Preis anzubieten, der üblicherweise für mindestens drei Jahre festgeschrieben wird. Erschwert wird dies durch lokal verschiedene Lohnkosten und Servicelandschaften: Ein Anbieter für die Länder Deutschland und UK wird sich hier wahrscheinlich relativ leicht tun, während andere europäische Staaten wie Griechenland oder Norwegen in dieser Hinsicht „schwierig“ sind. Dem Kunden, der zum Beispiel im Rahmen einer europäischen Ausschreibung sein gesamtes Druck- und Kopierwesen auf ein verbrauchsorientiertes Dienstleistungskonzept mit fixen Preisen umstellen will, dürften diese Probleme egal sein. Seine Prioritäten liegen in der internationalen Abdeckung der angefragten Länder und der einheitlichen Erfüllung und Bepreisung seiner individuellen Bedürfnisse.

Um als Dienstleister internationale Verträge, die zudem hochgradig auf die individuellen Bedürfnisse des Kunden abgestimmt sein müssen, abschließen zu können, sind einige Voraussetzungen zu erfüllen. Die Berücksichtigung lokaler Rahmenbedingungen stellt dabei nur die Spitze des Eisbergs dar. Wie wir in zahlreichen Projekten feststellen konnten, verfügen die Anbieter nur in den wenigsten Fällen über entsprechende grenzüberschreitend organisierte Strukturen. Häufig handeln die einzelnen Landesgesellschaften für sich. Die Landesorganisation, in der der Kunde seinen Sitz hat, agiert in solchen Fällen manchmal als „Botschafter“ und versucht – teilweise auch mit entsprechendem Einsatz, ein für den Kunden interessantes Ange-bot zu erstellen; ein unstrukturierter, eher intuitiver Prozess, der sehr aufwändig und wenig erfolgversprechend ist. Auch bei vermeintlich „großen“ Anbietern ist ein Key-Account-Management auf internationaler Ebene oft nicht vorhanden oder nur auf bestimmte Kunden fokussiert. Kaum ein Anbieter ist in der Lage, ein wirklich internationales Angebot zu erstellen, in dem

  • grenzüberschreitend einheitliche Dienstleistungen definiert,
  • Serviceumfänge international standardisiert,
  • Preise harmonisiert und
  • zentrale Ansprechpartner definiert

sind.

Oft fehlen schon elementare Voraussetzungen wie definierte Ansprechpartner/Verantwortliche für internationale Anfragen, die durchgängige zeitnahe Information aller betroffenen Landesgesellschaften oder vergleichbare Sortimente. Spätestens bei dem Versuch einen international durchgängigen einheitlichen Preis für ein- und dieselbe Leistung anzubieten, sind die meisten der selbst ernannten globalen Firmen überfordert. Einige Anbieter ver-lieren – obwohl sie in den angefragten Ländern formal vertreten sind – dadurch potenzielles Geschäft, dass einzelne Landesorganisationen kein Angebot abgeben wollen oder es zu spät bearbeiten. Projekterfahrungen haben gezeigt, dass über die Hälfte der potenziell in Frage kommenden Anbieter nicht in der Lage waren, fristgerecht ein internationales Angebot abzugeben, obwohl sie in den gefragten Ländern vertreten waren.

Ursachen sind überwiegend interner Natur

Die Ursachen für ein derartiges Versagen liegen nur zum Teil in den externen Rahmenbedingungen begründet: Natürlich existieren zum Beispiel innerhalb der EU trotz Harmonisierungsbestrebungen noch eine Reihe lokal unterschiedlicher gesetzlicher/steuerlicher Regelungen und Vorschriften, teilweise stellen auch einfach national unterschiedliche Gepflogenheiten beziehungsweise jahrelange gelebte Praxis eine Hürde dar. Zum größten Teil, das zeigen die Erfahrungen von Capgemini, liegen die Gründe jedoch in den Unternehmen selbst. Mögliche Ursachen für die fehlende Fähigkeit zur Abgabe eines in sich geschlossenen, internationalen Angebots können etwa sein:

  • Noch nicht abgeschlossene Integration von Zukäufen
  • Schleppende Harmonisierung von Abläufen
  • Mangelndes Problembewusstsein und Kenntnis der veränderten Wett-bewerbs-strukturen an der Basis
  • Fehlende oder ungeeignete interne Anreizsysteme bis hin zu Profit-Center-Struk-tu-ren, die nationale Egoismen belohnen
  • keine internationale Verkaufsorganisation mit entsprechenden Prozessen und Befugnissen
  • Fehlende oder unvorteilhafte Unternehmenskultur
  • Fehlende Harmonisierung der IT-Systeme

Potenzielle Handlungsfelder

Die aufgrund solcher Fehler naturgemäß zu erwartenden Kundenverluste sind nicht nur ärgerlich, sondern können auf Dauer angesichts der stetig zunehmenden Globalisierung des Handels unternehmenskritisch werden. Dabei liegen die Handlungsfelder klar auf der Hand. Diejenigen Wettbewerber, die sich bereits heute grenzüberschreitend organisiert haben,

  • verfügen über eine international standardisierte Produkt- und Dienstleistungspalette
  • haben Steuerungsmechanismen implementiert, die die interne Quersubventionierung schwächer aufgestellter Länder im Falle grenzüberschreitender Angebote ermöglichen und so an der Schnittstelle zum Kunden zu vergleichbaren, wettbewerbsfähigen Preisen führen
  • sorgen durch den Zukauf marktstarker Unternehmen und/oder das Eingehen dauerhafter Partnerschaften für eine möglichst lückenlose regionale Abdeckung, wobei sie aufgekaufte Unternehmen rasch integrieren und Partnernetzwerke durch professionell gestaltete Kooperationsverträge straff managen.

Wettbewerbslandschaft im Umbruch

Globalisierung und internationaler Wettbewerb werden auch in den nächsten Jahren dafür sorgen, dass sich die Situation der Zulieferer und Dienstleister weiter verschärfen wird. Global oder zumindest regional aufgestellte Unternehmen werden in diesem Umfeld profitieren, Unternehmen ohne entsprechend ausgerichtete Strukturen auf Dauer zu den Verlierern zählen. Kleinere Wettbewerber haben nur dann eine Chance zu überleben oder ihr Geschäft auszubauen, wenn sie es schaffen, über Kooperationsmodelle und Partnerstrukturen (Beispiel: IDS im speditionellen Bereich) eine ähnliche Harmonisierung zu erreichen und gleichzeitig durch eine höhere Flexibilität im Vergleich zu größeren Wettbewerbern zu überzeugen, die den Gesamtmarkt aus einer Hand bedienen können und sich so Wett-bewerbsvorteile sichern. Unternehmen, die sich nicht nur international nennen, sondern auch über effiziente Strukturen und Prozesse für das internationale Geschäft verfügen, sind immer noch die Ausnahme.

Die Wettbewerbslandschaft befindet sich jedoch im Umbruch. Strukturveränderungen sind in vollem Gange (Beispiel: EU-Gruppenfreistellungsverordnung im Fahrzeugbereich, bevor-stehende EU-Osterweiterung) und eine weitere Angleichung der Gesetzeslage und Recht-sprechung innerhalb Europas steht zu erwarten. Diejenigen Unternehmen, die rasch und konsequent handeln und sich auf die neuen Rahmenbedingungen einstellen, werden die Gewinner sein.

www.capgemini.com


Autoren: Jörg Baier und Wolfgang Vogt sind Mitarbeiter der Unternehmensberatung Capgemini. Nach seiner Tätigkeit für einen großen Versandhandels-konzern hat sich Jörg Baier auf den Bereich Supply Chain spezialisiert. Wolfgang Vogt ist nach beruflichen Stationen in Deutschland und der Türkei im Marketing eines großen deutschen Markenartiklers seit mehreren Jahren im Sektor Konsumgüter/Handel/Distribution von Capgemini tätig.

eingestellt am 24. Mai 2004