Wie Sprachcomputer auditive Markenerlebnisse schaffen

Sprachanwendungen und Spracherkennungssysteme haben einen gewaltigen Sprung nach vorne gemacht. Telefonische Dialoge mit Sprachcomputerm müssen nicht mehr zur einsilbigen Kommunikation geraten - im Gegenteil, sie können dem Marketing sogar mittlerweile nützlich werden.

Profis der Radiowerbung wissen: Sprache ist das natürliche Interaktionsmedium des Menschen. Sprache erzeugt Emotionen, sie wirkt auch unterbewusst und ermöglicht die Abbildung komplexer Entscheidungsstrukturen. Aber wie können in diesem Zusammenhang Sprachcomputer wirklich helfen? Und lassen sich Gesprächspartner darauf ein? Fest steht: Das Erkennen, Verstehen und Verarbeiten menschlicher Äußerungen, also die Spracherkennung und das synthetische Erzeugen von Antworten in überzeugender, natürlicher Qualität (die Sprachsynthese), sind technisch ausgereift und umsetzbar.

Die Zeiten langweiliger Tastatur- und Sprechbefehle sind vorbei. So stellte die „Wirtschaftswoche“ in ihrer Ausgabe 10/2004 fest: „Sprachanwendungen verfügen heute über robuste Spracherkennung, die auch Genuschel oder Dialekte versteht.“ Die Sprachausgabe ist mittlerweile zu einem eigenen Medium geworden. Ausgeklügelte Audiowelten machen den so genannten Voice-Kanal zu einem Dienst mit hohem Erlebniswert und echtem Unterhaltungscharakter. So nutzte der 1. FC Köln in einer zeitlich begrenzten Aktion ein von Voice-Objects entwickeltes sprachgesteuertes Gewinnspiel mit der Stimme von Lukas Podolski. Ziel war die Emotionalisierung der Marke „1. FC Köln“ und die Generierung von Kundenprofilen und Kundenbindung.

Der Erfolg des Dienstes hat verschiedene Ursachen: Podolski hat einfallsreiche Ansagetexte aufgesprochen, die gute, aber auch kritische Dialoge zwischen Fans und Star ermöglichten, der Dienst wirkte lebendig, und das einfach aufgebaute Gewinnspiel sorgte dafür, dass die allermeisten Anrufer auf den Gewinn, ein Abendessen mit Lukas Podolski, hoffen durften. Obwohl die Nummer des „Poldi-Phons“ nur auf den Tablettauflagen der Kölner Mc Donald’s-Restaurants beworben wurde, hinterließen einige Tausend FC-Köln-Fans ihre Kontaktdaten und legten mit dem guten Gefühl auf, persönlich mit ihrem Star gesprochen zu haben.

Auch von wissenschaftlicher Seite kommt Schützenhilfe. In einer Fraunhofer-Studie 2003 schätzten 1000 befragte Endverbraucher Sprachanwendungen als einfach, schnell und bequem ein und sahen Unternehmen, die auf Sprachanwendungen setzen, als innovativ, zuverlässig und professionell an. Warum wird diese Technologie dann so selten zur Kampa-gnen-Kommunikation eingesetzt? Zumeist haben Anwender wie Nutzer noch die Sprachdialoge von veralteten Informationssystemen im Kopf, die zu allem Überfluss von Technikern gestaltet waren, die hinsichtlich der Navigation der alten Menülogik verhaftet sind, und damit eine nutzerzentrische Dialogführung verhindern. Heute lassen sich dagegen mehrere Kanäle vernetzen.

Bei dem ersten interaktiven „Voice Casting“ Deutschlands, einem von Scholz & Friends für RTL Radio, Lübbe Audio, McDonald’s und HLX.com entwickelten Radio-Telefon-Castingdienst, wurde sprachautomatisiert „die erotischste Stimme Berlins“ gesucht. Etwa 300 bis 400 Anrufer aus der Region nutzten den Service während der Laufzeit täglich und nahmen in verschiedenen Formen an dem Wettbewerb teil. In der Praxis konnten rund 90 Prozent der eingehenden Anrufe fallabschließend behandelt werden. Das System nutzte dabei erstmalig die Handy-Kurzwahl 2 24 56, die aus allen deutschen Mobilfunknetzen (T-Mobile, Vodafone, O2, E-Plus) gewählt werden kann, und schaffte mit dem zu honorierenden Dienst (69 Cent pro Minute) sogar ein interessantes Geschäftsmodell für die Betreiber. Die Attraktivität des Dienstes lag auch in seiner hohen Interaktivität begründet, die sich in Mitmach-, Mitwähl- und Communitymöglichkeiten ausdrückt sowie in der Verbindung der beiden Medien Radio und Telefon: Teilnehmer und Fans von Teilnehmern konnten sich beliebig oft und terminunabhängig in das radioähnliche Format einbringen.

Wer setzt Sprachanwendungen um?

Vorreiter des Einsatzes von Sprachanwendungen im Marketing sind unter anderem Agenturen wie BBDO Interone, Oysterbay, Scholz & Friends oder Zum Goldenen Hirschen. Sie stützen sich auf Beratungsleistungen und Services bei der Erstellung der Sprachkampagen von Anbietern wie Mobile You, Speak Up, Sikom, Softlab oder VoicInt. Die erforderliche Software stammt dabei von Anbietern wie Genesys, Siemens oder Voice-Objects. Mittlerweile gibt es auch alternative Mietlösungen bei T-Com oder Legion, die das Hosting inklusive Service-Rufnummern zur Verfügung stellen. Ähnliche Angebote machen Brunet oder auch Net Mobile für die Mobilfunknetze.

Aber auch handfesten Nutzen für die Markt- und Wählerforschung konnte der Voice-Kanal unter Beweis stellen. Zur Landtagswahl in Österreich im Mai 2003 wurde eine sprachbasierte Umfrage zum Wahlergebnis mit 3 000 Befragten durchgeführt. Mehr als 90 Prozent der Personen haben den Dialog mit der Sprachapplikation bis zum Ende durchgeführt. Im Durchschnitt dauerte ein solches Gespräch etwas mehr als zwei Minuten. Die Antworten ließen sich statistisch auswerten und dienten den Parteien vor der Wahl als aktuelles Stimmungsbild.

Das Marketing entdeckt den Sprachkanal
Spracherkennungssysteme vermögen innerhalb kurzer Zeit, viele – wenn auch vorbereitete – Dialoge zu führen, und lösen zumindest in Teilen das Problem der effektiven Kommunikation von Werbebotschaften. Denn mit den Wirkungsverlusten klassischer Massenkommunikation ist das Dialogmarketing immer weiter in den Blick von Marketers gerückt, wohl wissend, dass der Dialog in der Masse ganz eigene Abwicklungsprobleme mit sich bringt. Marketers entdecken daher zunehmend den Sprachkanal als attraktive, kostengünstige und mit wertvollen Mehrwerten ausstattbare neue Kommunikationsform. Untersuchungen zeigen sogar, dass die Nutzung von Sprachportalen im Self-Service großer Banken und Telekommunikationsunternehmen kaum alters- und bildungsmäßige Einschränkungen aufweist. Ältere Nutzer tun sich mit moderner Sprachtechnologie oft leichter als mit Online-Banking, wie die Postbank mit ihrer sprachgesteuerten „M-Banking“-Anwendung herausfand.

Marketingverantwortliche erwarten sich von auditiver Markenkommunikation zudem die Stimulierung eines bislang in weiten Teilen in der Werbung nicht genutzten Sinn des Menschen, wie ihn während des Börsenbooms die von Börsenguru Kostolany per Sprachautomat angesagten Börsenkurse ansprachen. Der Einsatz von Sprachcomputern im Marketing bietet zudem den Vorteil, dass der Service überall verfügbar ist, wo ein Telefon funktioniert, unabhängig von Endgerätefunktionen wie SMS, WAP oder I-Mode, aber sich auch mit den vorgenannten Medien verbinden lässt. Wie der Arcor-Händler, der im Rahmen einer Verkaufsförderungsaktion etwa 2 000 Kunden automatisch anrief und weiteren 3 000 eine SMS schickte. 200 Personen besuchten darauf hin seinen Arcor-Partnershop, um sich ein Präsent abzuholen und neue Verträge abzuschließen. Die verwendete Outbound-Anwendung erlaubte dem Händler, seine Kunden persönlich anzusprechen, ihnen gleichzeitig mit dem Geschenkanreiz einen hohen Mehrwert zu liefern und die Aktion mit SMS zu koppeln. Damit erreicht man gute Responsequoten wie in diesem Falle von gut sieben Prozent.

Die Voice-Community
Kein Kommunikationskanal ohne Community. Die Initiative Voice Business hat sich zum Ziel gesetzt, das Interesse der Öffentlichkeit auf technisch machbare und erfolgreiche Umsetzungen automatisierter Sprachanwendungen zu lenken. Aktuell hat die Initiative die mit 100 000 Euro dotierte „Best Voice Campaign“ ausgeschrieben. Die besten Konzepte für Sprachkampagnen im Marketing werden auf den Voice Days 2005 am 20. und 21. Oktober in Bonn prämiert und nachfolgend in der Umsetzung begleitet werden.
www.voiceday.de
www.voiceaward.de

Erfolgsfaktoren – Den Nutzer immer im Fokus
Aus allen bisherigen Beispielen lassen sich die wichtigsten Erfolgsfaktoren ablesen: Ein auditives Markenerlebnis entsteht nur dann, wenn die Persönlichkeit einer Marke sorgsam in den automatisierten Dialog der Anwendung integriert wird. Oftmals hapert es auch an einem kreativen Lösungsansatz, da Sprachanwendungen meist im Dialog zwischen Kundenser-vice-Verantwortlichen und IT-Management entwickelt werden, ohne dass das Marketing mit einbezogen wird. Nutzerzentrisches Dialogdesign soll sich daher immer an der Frage orientieren: „Wie wird der Anrufer mit seinen Bedürfnissen eingebunden?“

Viele telefonische Self-Services leiden noch an ungenügender Kampagnenintegration. Durch die fehlende Integration der Sprachanwendungen in den laufenden Kommuni-kations-Mix werden nicht alle Reichweitenpotenziale klassischer Medien ausgenutzt. Prof. Thomas Heilmann von Scholz & Friends sieht aber nach wie vor ein Akzeptanzproblem: „Der Erfolg von Sprachanwendungen wird noch begrenzt von der natürlichen Trägheit der Verbraucher. Über zehn Jahre nach der ersten nennenswerten Verfügbarkeit des Internets agieren immer noch erst rund 50 Prozent der Verbraucher tatsächlich im Internet.

Bis der Voice-Kanal von 50 Prozent der Bevölkerung akzeptiert und aktiv genutzt wird, wird auch noch einige Zeit vergehen.“ Auch die Entscheider legen nur langsam ihre Vorbehalte ab. Hersteller berichten aber, dass sich immer mehr Entscheider aktiv und konstruktiv mit den Möglichkeiten des Sprachkanals auseinander setzen, getrieben allerdings oft noch von den Notwendigkeiten der Serviceautomatisierung. In Ermangelung konkreter Kenntnisse der Ziele und Anforderungen der Markenkommunikation orientieren sich auch die Systemanbieter an der funktionalen Leistungsfähigkeit ihrer Software, oftmals fehlt es ihnen an der richtigen Ansprache, um Werbetreibende über den Nutzen des neuen Mediums aufzuklären.

Grenzen von Sprachdialogsystemen
Aus Marketingsicht stehen vor allem zwei Faktoren dem Erfolg einer Sprachanwendung entgegen. Zum einen muss eine Sprachanwendung, die zu Marketingzwecken eingesetzt werden soll, einen konkreten Mehrwert und einen Nutzen bieten, der nicht auf einem anderen bereits etablierten Kanal zur Verfügung steht. Ob Give-away, Gewinnmöglichkeit oder kurzer öffentlicher Ruhm – der Verbraucher beachtet den Telefonkanal nur, wenn er etwas bietet, das er in anderen Medien nicht bekommen kann. Mehr noch als in anderen Bereichen dürfen marketinggetriebene Anwendungen nicht zu komplex sein. Bei der Bankinganwendung, die manchmal der einzige Weg ist, Bankgeschäfte abzuwickeln, nehmen Kunden hohe Komplexität in Kauf. Dies gilt nicht für das Marketing. Hier erwarten die Verbraucher einfache und sehr zielführende Anwendungen mit klarem Mehrwert. Alle für das Marketing geplanten Anwendungen, die ein Kommunikationserlebnis mit „künstlicher Intelligenz“ schaffen wollen, sind zum Scheitern verurteilt.

Wichtig ist auch, dass Sprachanwendungen im Marketing mit weiteren Medien und Kanälen verzahnt werden, ohne diese jedoch eins zu eins abzubilden. Die Kunden erwarten vom Telefonkanal eigene Funktionalitäten oder Mehrwerte, die in inhaltlicher oder werblicher Verbindung zu den anderen Kanälen stehen. Es macht Sinn, Voice in Radio, SMS, E-Mail, Web oder auch Printmedien zu integrieren, wenn die speziellen Vorteile der einzelnen Kanäle jeweils zur Geltung kommen und zu einem harmonischen Marketingorchester vereinigt werden. Voice als Stand-alone-Lösung wird im Marketing keine Erfolge bringen. Im Outbound sind dem Einsatz von Sprachanwendungen dagegen eher Grenzen gesetzt. Zwar können Dienste wie Erinnerungsanrufe bei Kunden, die sich zuvor registriert haben, durchaus Mehrwert schaffen, aber generell sind hier neben rechtlichen Hürden auch eher Akzeptanzprobleme bei Kunden zu erwarten.

Kommunikations-tool mit Innovationspotential
Was also bringt die nähere Zukunft? Zunächst wird noch vieles ausprobiert werden müssen. Experten schätzen, dass erst zehn Prozent möglicher Anwendungsfelder bestimmt wurden. Insbesondere werden Customer-Relationship-Manage-ment-Maßnahmen noch enger mit Selbstbedienungsstrategien verknüpft werden müssen. Also ähnlich wie im Web bereits praktiziert, sollten auch bei den automatisierten Sprachapplikationen „Life-Support-Eskalationen“ eingebaut werden. Das heißt, Call-Agents sollten den Kunden in ungünstigen Gesprächsverläufen „retten“ können, damit nicht doch am Ende beim Nutzer der Eindruck entsteht, von einer Maschine nicht verstanden und abgefertigt zu werden. Das würde nämlich am Ende die Vorurteile oder Ablehnungen dieser Technologie nicht beseitigen können.

Autor:
Bernhard Steimel ist Geschäftsführer bei Mind Business Consultants.