Werbung und Feminismus: „Sex sells“ funktioniert nicht mehr

Anlässlich des Weltfrauentags richten wir den Blick darauf, wie sich das Frauenbild in der Werbung verändert. Kann Werbung die Gleichheit der Geschlechter voranbringen? Und welchen Anteil tragen die sozialen Medien daran?

Von Gastautorin Louise Tullin, Director Marketing und Kommunikation EMEA bei Unruly

„I Will What I Want“, „Don’t Be Sorry“, „Inspire Her Mind“. Diese Claims aus aktuellen Kampagnen setzen nicht nur so unterschiedliche Produkte wie Sportartikel, Shampoo und Telekommunikationsmittel in Szene, sondern zeigen auch eine fundmentale Veränderung der Rolle der Frauen in der Werbung. Langsam aber sicher verändern sich die Geschlechterrollen, und die smartesten Marken führen das Feld an.

Zeiten ändern sich

Lange Zeit waren Werbung und Feminismus nicht gerade die besten Freunde. Werbung ist auch immer ein Spiegel der Gesellschaft, und man muss kein Soziologe sein um zu erkennen, dass die Branche noch vor nicht allzu langer Zeit ein vorwiegend konservatives, mitunter auch sexistisches und erniedrigendes Bild von Frauen gezeichnet hat. Der nonchalante Sexismus der 60er-Jahre-Anzeigen aus „Mad Men“ liegt zwar schon lange zurück, aber „Sex sells“ war auch danach ein zuverlässiger Begleiter durch die Werbejahre. Aber die Zeiten ändern sich, und folglich gehen auch die Kreationen neue Wege. Das Internet und die sozialen Medien haben einen nicht unbedeutenden Anteil daran. Ereignisse wie die zunächst auf Twitter geführte #Aufschrei-Debatte über Sexismus im Alltag, soziale Kampagnen wie #WomenNotObjects und öffentliche Debatten über die Gehälterunterschiede zwischen Männern und Frauen, Ehegattensplitting und die „Social Freezing“-Angebote von Firmen wie Facebook und Apple haben diesen Themen einen neuen Stellenwert eingeräumt. Immer mehr Marken gehen neue Wege und präsentieren einen frischen, natürlichen Feminismus.

Gesellschaftliche Nerven treffen

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Die Neuerfindung von Dove als Marke, die „wahre Schönheit“ feiert, war 2004 ein zukunftsweisender Relaunch, ein Schritt in eine völlig neue Richtung. Einer der späteren Spots aus dieser Markeninitiative, „Real Beauty Sketches“, war 2013 das meistgeteilte Werbevideo des Jahres und wurde zum Prüfstein für emotional involvierende Werbekreationen mit einem hohen konzeptionellen Anspruch. Die „Wahre Schönheit“-Kampagne traf einen gesellschaftlichen Nerv, den die Mainstream-Werbung bis dato ignoriert hatte. Seitdem die Dove-Kampagne im Social Web hohe Wellen schlug, wird eine neue Form der Weiblichkeit in der Werbung immer erfolgreicher.

Einige Marken versuchen, mit ihren Kampagnen speziell für junge Frauen Veränderungen herbei zu führen. Mädchen sind in besonders hohem Maße den Ideal- und Zerrbildern der Werbeindustrie ausgeliefert. Kampagnen wie #LikeAGirl von Always bieten diesen Erwartungen die Stirn und bringen die Erfahrungen, die Mädchen und junge Frauen mit Geschlechtervorurteilen gemacht haben, authentisch auf den Screen. Der enorme Erfolg der Always-Kampagne (sie wurde zum Super Bowl neu aufgelegt) setzt den Grundstein für weitere positive Botschaften an die Adresse junger Mädchen und Frauen.

Frauen und Sport

https://www.youtube.com/watch?v=CDM1FPFxbVk

Der vor zwei Wochen gelaunchte Spot des US-Sportbekleidungsherstellers Under Armour zeigt die US-Nationalmannschaft der Turnerinnen in Aktion – wo doch sonst muskelbepackte Männer die Sportswear-Kampagnen dominieren. Der Spot, der Teil der #RuleYourself-Kampagne ist, hat sich innerhalb kürzester Zeit zu einem Publikumsliebling entwickelt und bereits in der ersten Woche nach dem Launch über 60.000 Shares im Social Web erzielt. Mit schnellen Schnitten und einer motivierenden Ästhetik ist der Clip der aktuell jüngste in einer Reihe von Spots zum Thema Frauen und Sport, zu denen auch „Inner Thoughts“ von Nike und „This Girl Can“ von Sports England zählen.

Auch Mädchen mögen wissenschaftliche Themen

https://www.youtube.com/watch?v=5eJYW4ew5eg

Mit „Girls Do Science“ machte Microsoft 2015 auf die geringe Anzahl von Studienanfängerinnen in mathematischen und naturwissenschaftlichen Fächern aufmerksam. Und kürzlich wurde sogar die Barbiepuppe als Projektionsfläche für weibliche Imaginationskraft und Chancengleichheit neuerfunden.

Wir haben mit ziemlicher Sicherheit noch nicht den letzten Ausrutscher der Werbung erlebt, nicht den letzten Rückfall in gestrige Frauenbilder. Und ja, natürlich geht es in der Werbung in erster Linie um das Verkaufen von Produkten. Indem aber die Konsumenten ihre Views über die sozialen Medien austauschen, wird Werbung immer mehr Teil der Konversation. Für fortschrittliche Messages und Initiativen wurden Marken in den letzten Jahren mit einer Fülle an Online-Aufmerksamkeit belohnt. Und das kann im Prinzip nur eine gute Sache sein.

m_IMG_4209Zur Autorin: Louise Tullin ist als Director Marketing & Communications bei dem Social-Video-Vermarkter Unruly verantwortlich für die Entwicklung von internationalen Marketingstrategien im europäischen und asiatischen Raum. Zuvor war sie als Director Corporate Communications bei dem Sofwareunternehmen Acronis das jüngste weibliche Mitglied des globalen Managementteams.