Wer das Gold hält, bestimmt die Regeln

Sagt der Volksmund. Unternehmen, die in diesem Sinne ihre Vertriebsorganisation optimieren, finden jedoch nur selten systematische Ansätze. Forscher an der Universität St. Gallen entwickeln eine Formel, nach der Hersteller und Vertriebspartner erfolgreich zusammenarbeiten.

von Dr. Christian Schmitz und Dr. Michael Reinhold

Für die internationale Führung im Stammhaus ist es ein wichtiges Element, den Blickwinkel der Vertriebspartner zu kennen: Gelingt es internationalen Industriegüterherstellern, die marktgetriebenen Interessen lokaler Vertriebspartner zu erfassen, zu interpretieren und angemessen zu berücksichtigen, schaffen sie die Voraussetzung dafür, dass sie Marketingkonzepte vor Ort wirkungsvoll unterstützen und umsetzen. Allein die Tatsache, dass die hohen Personalkosten im Vertrieb, machen deutlich, dass sich Anstrengungen zur reibungsarmen, effizienten Zusammenarbeit zwischen Herstellerunternehmen und Vertriebsorganisation lohnen.

Das Institut für Marketing und Handel hat sich deshalb in einem dreijährigen Forschungsprojekt mit der Zusammenarbeit zwischen Herstellern und Vertriebspartnern beschäftigt. Die Schlussfolgerungen, die sich aus den Untersuchungsergebnissen für die Vertriebspraxis ergeben, bringen zehn goldene Regeln für die unternehmerische Praxis auf den Punkt. Sie lassen sich in der Praxis nutzenstiftend umsetzen.

Zehn goldene Regeln verbessern das Zusammenspiel von Industriegüterhersteller und Vertriebspartner

1. Potenziale des dezentralen Blickwinkels erkennen. In der Unternehmenszentrale werden die Bedeutung des dezentralen Blickwinkels und die Potenziale, die sich durch eine bessere Zusammenarbeit ergeben, vielfach unterschätzt. Durch Unzufriedenheit der Vertriebspartner in der Zusammenarbeit kommt es zu Umsatzausfällen und zusätzlichen Kosten. Deshalb raten wir:

  • Nehmen Sie Unzufriedenheit und Konflikte in der Zusammenarbeit ernst und berücksichtigen Sie diese in Ihren Entscheidungen!

2. Hindernisse bei der Einschätzung der lokalen Situation abbauen. Internationale Vertriebspartner beschreiben ihre lokale Situation häufig als ausgesprochen komplex und einzigartig. In der Untersuchung des Instituts für Marketing und Handel konnte gezeigt werden, dass die Einschätzung der lokalen Situation bei Herstellern und Vertriebspartnern systematischen Verzerrungen unterliegt. Während Hersteller dazu neigen, die Gründe für lokalen Misserfolg in der Person des Vertriebsverantwortlichen zu suchen, besteht bei Vertriebspartnern die Tendenz, den Einfluss der externen Situation zu überschätzen und die eigene Leistung besser darzustellen, als sie eigentlich ist. Wenn beispielsweise die dauernde, unterdurchschnittliche Leistung der US-Niederlassung durch deren Leiter mit der Aussage „ill-suited products for the American market“ beschönigt wird, gilt es, sich selbst vor Ort bei den Kunden zu informieren. Wir empfehlen:

  • Unternehmen Sie Anstrengungen, um die Vertriebspartner und sich selbst möglichst gut über lokale Gegebenheiten zu informieren! Akzeptieren sie keine Ausreden und seien Sie selbstkritisch!

3. Konditionenpolitik ist nur eine von sieben Stossrichtungen. Bei Herstellern herrscht häufig die Annahme vor, Konflikte und Unzufriedenheit in der Zusammenarbeit seien vornehmlich durch die finanzielle Konditionenpolitik bestimmt, die auf systemimmanente Interessenunterschiede zurückzuführen ist und damit nicht auflösbar sei. Die Forschungsergebnisse belehren allerdings eines Besseren: Die lokale Zufriedenheit betrifft insgesamt sieben inhaltliche Dimensionen, anhand derer die Vertriebspartner die Leistung des Herstellers in der Zusammenarbeit beurteilen. Dazu gehören neben der „Konditionenpolitik“ auch die „Produkt- und Leistungspolitik“, die „Zuverlässigkeit bei Abwicklung und Lieferung“, der „Marketing- und Verkaufssupport“, die „soziale Interaktion“, der „Umgang mit lokaler Kultur und Werten“ sowie das „Informations- und Kommunikationsverhalten“ des Herstellers. Um geeignete Verbesserungsansätze aufzudecken, muss der Hersteller die Bereitschaft besitzen, sämtliche Leistungskategorien auf den Prüfstand zu stellen. Deshalb empfehlen wir:

  • Erkennen Sie die vielfältigen Ansatzpunkte, die Ihnen zur Verfügung stehen, um die Zusammenarbeit mit Ihren Vertriebspartnern zu verbessern! Zum Sicherstellen der lokalen Zufriedenheit gibt es mindestens sieben Stellhebel!

4. Unrealistischen Erwartungen gezielt entgegentreten. Die Unsicherheit des lokalen Umfelds, die Profitabilität des Herstellers und die Grösse der lokalen Vertriebsorganisation bestimmen die Situation vor Ort. Sie besitzen entscheidenden Einfluss auf die Bedürfnisse der Vertriebspartner und auf die daraus folgenden Erwartungen, die Vertriebspartner gegenüber dem Hersteller entwickeln. Um Unzufriedenheit zu verringern oder vorzubeugen, können Hersteller durch offene, frühzeitige Kommunikation und konsequentes Verhalten dazu beitragen, dass sich keine unrealistischen Erwartungen bilden. Zu etwaigen Enttäuschungen der Vertriebspartner im Markt dürfen keine zusätzlichen Enttäuschungen mit dem Herstellerunternehmen hinzukommen. Dafür ist die Vertriebsaufgabe zu anspruchsvoll. Unser Rat:

  • Kommunizieren Sie frühzeitig und offen, um falschen Erwartungen der Vertriebspartner gezielt entgegenzutreten!

5. Zufriedenheitswirkungen der strategischen Vertriebskonfiguration berücksichtigen. Vertriebspartner fordern vielfach von Herstellern, ihre lokale Situation bei der strategischen Vertriebskonfiguration zu berücksichtigen. Auch in der Literatur wird häufig vermutet, dass je nach lokaler Situation ein unterschiedliches Mass an Zentralisierung, Formalisierung, Ergebnis- und Prozessorientierung zu wählen ist. Die vom Institut für Marketing und Handel durchgeführte Untersuchung unter Schweizer Industriegüterherstellern widerlegt diese Annahme zumindest teilweise: Die Wahl der Konfigurationsalternativen hat zwar einen grundsätzlichen Einfluss auf die Zufriedenheit der Vertriebspartner. Doch dieser Einfluss unterscheidet sich in den meisten Fällen nicht von Situation zu Situation, sondern ist grundsätzlich gegeben. Die strategische Vertriebskonfiguration sollte sich deshalb nicht an der spezifischen lokalen Situation der Vertriebspartner orientieren. Allerdings müssen sich Hersteller stets darüber bewusst sein, dass die Zentralisierung, Formalisierung und Ergebnisorientierung Auswirkungen auf die Zufriedenheit besitzen. In der Berücksichtigung der Zufriedenheit bei der Auswahl und dem Einsatz der strategischen Alternativen der Vertriebskonfiguration liegt eine fünfte Empfehlung:

  • Seien Sie sich über die Zufriedenheitswirkungen strategischer Konfigurationsalternativen bewusst und treffen Sie strategische Konfigurationsentscheidungen weitgehend unabhängig von lokalen Situationen der Vertriebspartner!

6. Koordination und Unterstützung professionalisieren. Neben den Ansätzen der strategischen Konfiguration der Vertriebsorganisation stehen Herstellern zahlreiche operative Ansätze zur Verfügung, um ihre Aufgaben der Koordination und Unterstützung der Vertriebspartner zu professionalisieren. Stossrichtungen liegen dabei in zentralen und vertikalen Strukturen, in Ansätzen der Teamorganisation, der Kultur und sozialen Beziehungen, der Segmentierung und Differenzierung, in der Unterstützung durch zentrale Ressourcen sowie im Informationsmanagement. Die Fähigkeit des Herstellers, geeignete Lösungsansätze auszuwählen und für spezifische Problemstellungen anzupassen sowie schon vorhandene erfolgreiche Lösungen breit zu kommunizieren, stellt eine wichtige Herausforderung dar. Hierzu empfehlen wir:

  • Verstehen Sie sich als „internen Dienstleister“ und betreiben Sie ein aktives Qualitätsmanagement für Ihre internen Koordinations- und Unterstützungsleistungen.

7. Systematisches Projekt statt „Blitzaktionen“ zur Verbesserung starten. Für eine nachhaltige Verbesserung der Zusammenarbeit reicht die alleinige Kenntnis über mögliche Gestaltungsansätze nicht aus. Reaktive „Blitzaktionen“, wie hastig einberaumte Krisensitzungen, zur Befriedung einzelner Vertriebspartner, werden den Potenziale der Vertriebsorganisation nicht gerecht. Vielmehr muss ein systematisches Vorgehen entwickelt werden, um eine gründliche Diagnose der Zusammenarbeit zu ermöglichen und die Zusammenarbeit im Zeitablauf kontinuierlich zu verbessern. In einem vierstufigen Prozess sind Verbesserungspotenziale in der Zusammenarbeit zu identifizieren („Diagnose“), Massnahmen festzulegen („Planung“), Beteiligte in der Vertriebsorganisation zu informieren und mobilisieren („Umsetzung“) sowie Zeit- und Organisationsvergleiche durchzuführen. Wir empfehlen:

  • Starten Sie ein Projekt zur systematischen Verbesserung der Zusammenarbeit und benennen Sie Projektverantwortliche!

8. Massnahmen unternehmensspezifisch anpassen. Unterschiedliche Ausgangslagen stellen an Vertriebsverantwortliche unterschiedliche Anforderungen. Die Unternehmensgrösse und die damit verbundenen finanziellen Ressourcen ermöglichen und begrenzen auf unterschiedliche Weise den Handlungsspielraum. Damit wird deutlich, dass die Möglichkeit Zufriedenheit bei Vertriebspartnern herzustellen vom Geschick des Herstellers abhängt. Denn dieser muss in der Lage sein, geeignete Gestaltungsansätze auszuwählen und im Rahmen des gegebenen Spielraums anzupassen. Das persönliche Engagement von Vertriebsleitern in der Zentrale treibt Verbesserungen in der Zusammenarbeit entschieden voran. In der Zentrale muss die Bereitschaft bestehen, sich selbst und die eigenen Leistungen einer Beurteilung zu stellen. Diese achte Empfehlung ist gleichzeitig der erste Schritt für sämtliche Ansätze zur Verbesserung der internationalen Zusammenarbeit:

  • Suchen Sie nach spezifischen Lösungen für Ihre Vertriebsorganisation und prüfen Sie genau, welche Voraussetzungen in Ihrem Unternehmen gegeben sind! Der intensive Austausch mit Vertriebspartnern wird Ihnen bei der Entwicklung von Lösungsalternativen helfen.

9. Das Beziehungsmanagement als kritischen Erfolgsfaktor erkennen. Horst Lange-Prollius sagte einmal: „Beziehungen schaden nur demjenigen, der über keine verfügt.“ Dies gilt gleichermassen für Beziehungen zu Geschäftskunden wie zu den Vertriebspartnern. Der Vertrieb von erklärungsbedürftigen Industriegütern und industriellen Projekten ist eine sehr anspruchsvolle Tätigkeit. Nichts ist demotivierender für einen Verkäufer, wenn er für einen getätigten Abschluss getadelt wird. Gleiches gilt aber auch für den Vertriebsleiter im Herstellerunternehmen, wenn der Erfolg in einzelnen Organisationseinheiten lange Zeit ausbleibt. Daher befolgen Sie den Rat:

  • Nützen sie Ihre persönlichen Beziehungen zur Vertriebsorganisation, um deren Erfolge zu würdigen und zögern Sie nicht Ihre Unzufriedenheit mitzuteilen oder die Organisation gegebenenfalls neu zu konfigurieren; Sie können nur gewinnen!

10. Den Vertrieb als Kernkompetenz und Nadelöhr würdigen. Der Vertrieb ist gleichzeitig Kernkompetenz und Nadelöhr. Eine gute Vertriebsorganisation ist die beste Schnittstelle zu den Märkten und Kunden. Ihre Wirksamkeit geprägt von grossem, über lange Zeit akkumuliertem Wissen über die lokale Märkte und Kundenbeziehungen sowie persönliche Netzwerke. Diese Kernkompetenz kann nicht von heute auf morgen ersetzt werden. Diese Schnittstelle ist gleichzeitig Nadelöhr, weil fast alle Informationen, Produkte und Dienstleistungen sowie finanziellen Transaktionen über sie abgewickelt werden. Die Leistungsfähigkeit der Vertriebsorganisation ist somit ein wichtiger Stellhebel für den Erfolg und den Ertrag eines Unternehmens. Unser Rat:

    Pflegen Sie Ihre Kernkompetenz und führen Sie aktiv Ihre Vertriebsorganisation, denn sonst nimmt die Konkurrenz Ihnen die Führung im Markt ab!

Fazit: Verfolgen Sie die zehn goldenen Regeln und erleben Sie den Sinn der alten Weisheit: „Whoever has the gold, makes the rules“.

Autoren:
Dr. Christian Schmitz ist Leiter des Kompetenzzentrums für Business-to-Business Marketing am Institut für Marketing und Handel an der Universität St.Gallen. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören internationales Vertriebsmanagement, Vertriebsorganisation und Aussendienststeuerung, insbesondere Fragen der Verkaufsproduktivität.

Dr. Michael Reinhold ist Lehrbeauftragter für Marketing an der Universität St.Gallen und der ETH in Zürich sowie in der Führungskräfteweiterbildung. Als Leiter des Kompetenzzentrum Marketing für Messen und Events sowie Hightech Marketing am IMH-HSG forscht er zu Themen des B2B-Marketing, wie Nanomarketing®, Hightech Marketing, Marketing für Messen und Events, Marketing im Objektgeschäft und Vertriebsmanagement für Industriegüter.

eingestellt am 25. Juli 2006