Wenn das Auto direkt aus dem Computer kommt

Verkürzte Entwicklungs- und Produktionszeiten, Fehlerkorrektur vorab: In der digitalen Fabrik sollen Autos schneller, fehlerärmer und kostengünstiger auf den Markt kommen. Aber kann das pannenfrei funktionieren?

Der Legende nach hat Henry Ford, Gründer des Autoherstellers Ford und Verfechter der Fließbandproduktion Anfang des 20. Jahrhunderts gesagt: „Man kann das Ford-Modell T in jeder Farbe bekommen – vorausgesetzt, sie ist schwarz.“

Damit gibt sich natürlich längst kein Autokäufer mehr zufrieden. Der Wunsch nach Individualisierung ist so groß wie nie – verschiedenfarbige Innenausstattungen, Assistenzsysteme, Navigations- und Entertainmentsysteme erhöhen die Vielfalt und gleichzeitig die Komplexität für die Autohersteller.

Die stecken in einem Dilemma: Auf der einen Seite wollen sie möglichst vielen Kunden das personalisierte Auto bieten, gleichzeitig muss die Technik möglichst aktuell, die Entwicklung und Fertigung möglichst schnell, preisgünstig und qualitativ hochwertig sein. Und das Ganze soll auch noch möglichst fehlerfrei sein.

Wie bringen die Autohersteller all die teilweise widersprechenden Ziele unter einen Hut? Die Digitale Fabrik soll die Antwort sein. Der Begriff „Digitale Fabrik“ bezeichnet Planungsansätze, die darauf abzielen, bereits vor dem Aufbau einer Fabrik oder eines Produktionssystems ein möglichst realistisches Abbild des zukünftigen Produktionsablaufes im Computer zu schaffen. Das kann enorm viel Zeit sparen. Während Entwickler das Produkt digital konstruieren, entwerfen Planer schon parallel die Produktionsprozesse – eine reizvolle Idee.

Die Protagonisten der Digitalen Fabrik schwärmen davon, im virtuellen Raum fehlerfrei zu werden. In der Scheinwelt wollen sie Fehler erkennen, um sie in der Realität vermeiden zu können.

Praktisch alle Autohersteller arbeiten an dem Thema. Der Ingolstädter Autohersteller Audi wollte beispielsweise die Entwicklungs- und Lieferzeit für eine sogenannte Füge- und Schweißstation erheblich verkürzen. Dort werden Motorteile zusammengebaut, bei denen es auf höchste Präzision ankommt: Die Nockenwellenverstellung wird auf die Nockenwelle gefügt, mit Laser verschweißt, gebürstet und geölt. Die stabförmige Nockenwelle dient der Steuerung der Ventile im Motor, über die Luft und Treibstoff dosiert in den Motor und Abgase wieder hinaus gelangen.

Audi wollte die Inbetriebnahme der automatischen Anlage um mehrere Wochen verkürzen ohne die Qualität des Prozesses zu gefährden. Zusammen mit dem Maschinenbauspezialisten Emag Automation aus Heubach bei Schwäbisch Gmünd und den Software-Spezialisten Heitec aus Erlangen arbeiteten Ingenieure und Informatiker daran. Sie wussten schnell, wo einer der Knackpunkte lag: „Vor allem die Inbetriebnahme als Test für die Softwarequalität muss erheblich verkürzt, besser früher begonnen werden,“ sagt Roman Pieloth von Heitec.

Fehlerquelle Roboter

Denn der Prozess als solcher birgt viele Fehlerquellen: Ein Roboter holt die Nockenwellen zu der Maschine, dazu kommen die Versteller, die auf der Nockenwelle angebracht werden müssen. Danach übergibt der Roboter das Teil an die Schweißmaschine. Nach dem Schweißen nimmt der Roboter das Teil und bringt sie zum Bürsten und Ölen. Greift beispielsweise der Roboter einmal ins Leere, weil eine Nockenwelle falsch liegt, stockt die Produktion.

Den Software-Spezialisten gelang es, am Rechner viele „Was passiert wenn-Situationen“ im 3-D-Modell realitätsnah durchzuspielen und viele Fehler schon vorab zu erkennen. Die Korrektur am Computer spart hohe Kosten. Ende des vergangenen Jahres lief die Anlage: Die gesamte Entwicklungszeit war etwa 15 Prozent kürzer, das sind immerhin sechs Wochen.

Ein weiterer Vorteil der Digitalisierung: Mit dem 3-D-Modell lässt sich die Anlage problemlos erweitern oder ändern. Das war für Audi wichtig, da die Anlage für eine Produktionsstätte in China gedacht ist.

Im Produktprozess spielt die Simulation eine immer größere Rolle. Sie trägt entscheidend zur Kostenreduktion, zur Verkürzung der Produktentstehungszeiten sowie zur Steigerung der Produktqualität bei. Die Automobilindustrie setzt daher verstärkt auf Methoden und Technologien der virtuellen Produktentstehung.

Die Herausforderung: Die Simulation schafft zigtausende von Daten, die von einem Produktionsschritt zum nächsten sicher und vollständig weitergeleitet werden müssen: Roboter setzen beispielsweise 6000 Schweißpunkte an einer Autokarosse mit einer Genauigkeit von 0,2 Millimeter. Sie merken sich dabei 150 verschiedene Modellvarianten. Während der Produktion eines Autos nehmen Sensoren zudem Daten wie Schweißpunktgenauigkeit, Energieverbrauch, Drehmomente und Drehwinkel auf und geben jederzeit Auskunft über den Zustand der Fertigung und der Qualität.

Das Ziel der Hersteller ist klar: Die komplette Digitalisierung des Produktionsprozesses. Denn dann könnte Wirklichkeit werden, was Christopher Steiner, Autor des Fachbuchs „Automate This“ glaubt: „Wir sind nicht mehr weit davon entfernt, dass man für ein neues Automodell nur noch ein Programm starten muss – und kurz danach laufen die Fließbänder an, weil vom Design über die Konstruktion bis hin zu Maschinenbefehlen alles direkt am Computer kommt.“

von Jürgen Rees, Quelle: Wirtschaftswoche Online