Weg von der Billig-Mentalität: Kommt jetzt wirklich die Wende?

Während E-Commerce-Shops und Handelsketten zur Schnäppchenjagd beim Black Friday blasen, stellen Marktforscher eine abnehmende Preissensibilität fest. Vor allem der dm-Drogeriemarkt profitiert mit Emotionalität bei den Verbrauchern.
Beherrscht auch die weichen Faktoren des Leistungsversprechens: Drogeriemarkt dm (© DM 2018;, Joerg Glaescher)

„Herz und Verstand gewinnen“ – unter diesem Titel hat die Unternehmensberatung OC&C Strategy Consultants gerade den Einzelhandels-Index 2018 veröffentlicht. Damit ist der Grundtenor der aktuellen Erhebung gesetzt: Die emotionale Positionierung einer Händlermarke wird wichtiger, der Preis verliert bei der Kaufentscheidung an Bedeutung – was sich auch darin niederschlägt, dass in diesem Jahr abermals die sympathische Drogeriekette dm in der Wahrnehmung der Verbraucher ganz vorn liegt und den eher rational agierenden E-Commerce-Riesen Amazon auf Platz 2 verweist. Mit dem Einzelhandels-Index analysiert OC&C jährlich aktuelle Trends der Handelsbranche und ermittelt die beliebtesten Einzelhändler der Deutschen. Für die aktuelle Studie wurden 4800 Konsumenten zu 84 Marken aus Deutschland befragt.

Der emotionale Boost“

„Einzelhändler sollten sich mehr denn je auf ihre emotionale Bindung konzentrieren und verstehen, wie sie nicht nur die funktionalen, sondern auch die emotionalen Bedürfnisse ihrer Kunden bestmöglich erfüllen können“, rät OC&C. Die Kunden, so die Studie, suchen zunehmend nach Glücksmomenten, nach einem „emotionalen Boost“. Der Preis und funktionale Leistungsversprechen bleiben zwar wichtig, sind aber nicht mehr entscheidend.

Die Siegermarke praktiziere dies erfolgreich. „Dm verankert neben den funktionalen auch die wichtigen weichen Faktoren des Leistungsversprechens ausgezeichnet bei den Konsumenten“, erklärt OC&C-Handelsexperte Christoph Treiber. „Nachholbedarf, diese emotionalen Komponenten des Angebots herauszuarbeiten, haben neben einigen Warenhäusern, auch die Discounter sowie viele Mode- und Schuhhändler.“

Die Trendwende sei schon seit einigen Jahren feststellbar und dann 2017 deutlich bemerkbar geworden, als insbesondere im Lebensmitteleinzelhandel das Thema Qualität gegenüber dem Preis aufholte. Als „nächster Schritt in der Weiterentwicklung beim Einkaufsverhalten deutscher Verbraucher“ sei nun die zunehmende Bedeutung der emotionalen Bindung feststellbar. Während die Gesamtwahrnehmung einer Händlermarke noch 2014 nur zu 7 Prozent auf emotionaler Bindung und zu 93 Prozent auf funktionalen Argumenten basierte, macht die Emotion 2018 schon ein Fünftel aus. Natürlich ist der „emotionale Boost“ nicht in allen Kategorien gleich stark gefragt: Überdurchschnittlich stark zählen Gefühle in den Bereichen Mode, Bücher und Drogerieartikel, weniger dagegen bei Lebensmitteln und Unterhaltungselektronik.

Zahl der Markenfans steigt

Gestützt wird die Trend-Analyse von einem Report der Gesellschaft für integrierte Kommunikationsforschung (GIK) auf Basis der aktuellen Studien Best For Planning (b4p) und Best For Tracking (b4t). Danach ist die Zahl der Markenfans, also Menschen, die bei Markenartikeln selbstverständlich von guter Qualität ausgehen, innerhalb der vergangenen Jahre deutlich gestiegen: von 9,76 Millionen im Jahr 2013 auf 11,63 Millionen 2018. Beim Kauf von Produkten schauten 2013 21,3 Prozent der Verbraucher eher auf den Preis und 16,4 Prozent eher auf die Marke. Heute ist nur noch 20 Prozent der Preis wichtiger, und mittlerweile 18,1 Prozent die Marke – der Abstand wird also kleiner.

Gestandene Marketingprofis haben das alles allerdings schon oft gehört. Gerade wenn Studien aus dem Marketing- oder Verlagsumfeld kommen (wie b4p und b4t), legen sie Unternehmen gern zusätzliche Investitionen in Markenbildung und damit Werbung nahe. Aber auch darüber hinaus gibt es kaum Studienautoren, die als Kernergebnis ihrer Erhebungen verkünden möchten, dass Geiz doch ziemlich geil ist. Sogar der private Verbraucher wird bei Umfragen geneigt sein, sich nicht als eiskalt kalkulierenden Rabattjäger darzustellen.

Der markenorientierte Handel ist also gut beraten, die Ergebnisse mit Optimismus, aber auch Vorsicht wahrzunehmen. Vieles spricht dafür, dass Qualität, Emotion und Marke stärker in den Fokus rücken, während der Preis weiterhin relevant bleibt – es ist ja (leider) kein Widerspruch. Man wird auf beiden Baustellen das Beste geben und die ideale Kombination von Marken- und Preisstrategie finden müssen.   

(kj, Jahrgang 1964), ewiger Soul- und Paul-Weller-Fan, hat schon für Tageszeitungen und Stadtmagazine gearbeitet, Bücher über Jugendkultur und das Frankfurter Bahnhofsviertel geschrieben und eine eigene PR-Agentur betrieben. 1999 zog es ihn aus dem Ruhrgebiet nach Frankfurt, wo er seitdem über Marketing-, Medien- und Internetthemen schreibt, zunächst als Ressortleiter bei „Horizont“, seit 2008 als freier Journalist und Autor. In der Woche meist online, am Wochenende im Schrebergarten.