Warum das Kostenproblem bei VW-Pkw in 2015 größer statt kleiner geworden ist

In den letzten Monaten hat sich bei VW mit dem neuen Chef Matthias Müller so viel getan wie in den 20 Jahren zuvor nicht. Müller hat die Digitalisierung des Konzerns voran getrieben. Elektromobilität wird jetzt ernst genommen. Die Kultur, auch mal als „Nordkorea, nur ohne Arbeitslager“ beschrieben, scheint sich zu ändern. Aber...
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China keine Goldgrube mehr?

 

Völlig ausser Reichweite für VW-Pkw bleiben die Gewinne pro Fahrzeuge bei Toyota. Im reinen Autogeschäft, also ohne Finanzdienstleistungen und andere Aktivitäten erzielt der reine Auto-Teil von Toyota 9,7 Prozent EBIT-Marge oder 1.862 Euro Gewinn pro verkauftem Fahrzeug. Das ist fast um den Faktor drei höher als bei VW-Pkw, wenn man die ersten neun Monate bei VW-Pkw in die Vergleichsrechnung einbezieht. Das Gesamtergebnis 2015 liegt bei VW noch nicht vor. In einer völlig anderen Sphäre schwebt VW in China. Fast man Audi, VW, Porsche, Škoda in China zusammen, so wurden dort mit der Geschäftseinheit VW China 3,5 Millionen Fahrzeuge im Jahr 2014 verkauft und pro Fahrzeug ein Gewinn von 3.445 Euro erzielt. Davon erhalten die chinesischen Joint-Venture-Partner 50 Prozent. China war bisher Goldgrube für den Konzern.

Ausser Reichweite in der Profitabilität für VW-Pkw bleiben aber auch GM und Ford. Die Zahlen zeigen das Rentabilitäts-Problem bei VW-Pkw. Würde VW-Pkw den Durchschnitt der Gewinn-Margen von GM, Ford, Skoda, Toyota erzielen (7,5 Prozent), hätte VW im Jahr 2015 einen EBIT-Gewinn von 7,5 Mrd. Euro erzielt. Tatsächlich waren es knapp 2,1 Mrd. Euro. Damit entgeht durch die schlechte Profitabilität der Marke VW-Pkw dem Konzern ein jährlicher Gewinnbetrag von mehr als 5 Mrd. Euro. Die Schadensersatzzahlungen bei VW durch Dieselgate kann man heute noch nicht beziffern. Unterstellen wir, sie lägen bei 20 Mrd. Euro. Dann würden die Rentabilitätsprobleme nach vier Jahre bei VW-Pkw ähnlich hohe „Schäden“ erzeugen wie Dieselgate. Während die Dieselgate einmalig hohe Wiedergutmachungskosten nach sich zieht, ist die Ertragsschwache bei VW-Pkw ein chronisches Problem, das sich schon seit Jahren hinzieht und zu dem VW bisher keine Lösung fand.

Rentabilitätsschwäche durch hohe Kostenstrukturen

Die Rentabilitätsschwächen des Teilbereichs VW-Pkw lassen sich an mehreren Kennziffern illustrieren.

1. Hohe Beschäftigtenzahlen und geringe Produktivität

Ein VW-Mitarbeiter produziert pro Jahr im Durchschnitt 16 Autos während etwa ein GM-Mitarbeiter 46 Auto kommt, also fast dreimal so viel. Mit anderen Worten, der US-Autobauer General Motors produziert mit „nur“ 215.000 Mitarbeiter fast so viele Autos wie VW mit 610.000 Mitarbeitern. VW hat also eine deutlich niedrigere Arbeitsproduktivität wie die Wettbewerber – oder anders ausgedrückt, setzt im Vergleich zum Wettbewerb deutlich zu viele Mitarbeiter ein. Die niedrigere Arbeitsproduktivität wäre kein Problem, wenn zumindest der gleiche Gewinn pro Mitarbeiter erzielt würde. Im VW-Konzern hat im Jahre 2015 ein Mitarbeiter einen Gewinn (EBIT) von 21.020 Euro erzielt, während etwa der GM-Mitarbeiter 45.313 Euro Gewinn im Jahre 2015

Besonders auffällig ist der Unterschied zur erfolgreichen kleineren Tochtermarke Skoda. Mit nur 27.544 Mitarbeiter wurden im Jahr 2015 dort 810.000 Fahrzeuge abgesetzt. Dabei wurde pro Mitarbeiter ein Gewinn von 33.220 Euro erzielt.

2. Hohe Lohnkosten und hohe Mitarbeiterzahlen am Hochkosten-Standort Deutschland

Der Volkwagen AG – der Stammgesellschaft des Konzerns – sind im Jahre 2015 pro Mitarbeiter 7.249 Euro Personalkosten pro Monat angefallen. Das ist sogar mehr als bei der Premiummarke Audi, mehr als im gesamten VW-Konzern, mehr als beim Nachbarn Continental und erst recht mehr als bei Skoda, wo 2.330 Euro pro Monat pro Mitarbeiter an Personalaufwendungen angefallen sind. Die Volkswagen AG verfügt als Stammgesellschaft über 114.066 Mitarbeiter, die in den Werken Wolfsburg, Hannover, Braunschweig, Kassel, Emden, Salzgitter sowohl Fahrzeuge (Golf, Tiguan, Touran, Passat, T5, Amarok) also auch Motoren, Getriebe (Kassel), Achsen und Lenkungen (Braunschweig) und Gießerei-Aktivitäten ausführen. Beachtenswert: Die Mitarbeiterzahl ist im Jahr 2015 bei der VW AG nochmals gestiegen. Neben der VW-Verwaltung und der Entwicklung werden damit Fahrzeugbau und Komponenten-Produktion – zum Teil Zulieferaufgaben- durchgeführt. Dies geschieht alles im Hochlohn- und Kostenstandort West-Deutschland. Damit wird etwa im Vergleich mit Continental AG (Conti) deutlich, wo es bei VW hapert. Der Conti-Konzern hat 25 Prozozent seiner Beschäftigten in Deutschland und trotz hoher Forschungs- und Entwicklungsausgaben – also Ingenieursaufgaben – „nur“ 3.666 Euro im Schnitt an Personalausgaben pro Mitarbeiter und Monat. Auch hier zeigt der Vergleich mit Skoda deutlich, wo VW-Pkw seine Probleme hat.

3. Weitere Zulieferaktivitäten zu VW-Haustarifen in Deutschland

Wie vielschichtig und zum Teil schwer übersichtlich die VW-Kostenprobleme sind zeigt eine weitere Besonderheit – die hauseigenen Zulieferaktivitäten. Während in den letzten 30 Jahren immer mehr Autobauer schlanke Strukturen gebildet haben und etwa die Herstellung von Sitzen, Interior oder Getrieben nach au0en verlagert haben, hat der VW-Konzern entgegengesetzt gearbeitet. Damit ist gerade das Sitz- und Interiorgeschäfts sehr margenschwach und kostenwettbewerbsintensiv. Auch aus diesem Grunde hat der US-Konzern JohnsonControls große Teile seines Sitz- und Interiorgeschäfts verkauft, etwa den chinesischen Zuliefererkonzern Yangfeng.

4. Prestige-Projekte und politische Gefälligkeiten verschlechtern Kostenposition

Weitere Verschlechterungen der Kostenposition bei VW-Pkw ergeben sich durch Prestigeprojekte, wie etwa die Gläserne Manufaktur in Dresden, die 500 Mitarbeiter beschäftigt, und das Projekt Phaeton. Während der Phaeton als Einmalexperiment eingestellt werden kann, wird es schwer sein, eine sinnvolle – sprich rentable – Verwendung für Dresden zu finden, nachdem der letzte Phaeton vorerst vom Band lief. Im Jahre 2009 hat die VW AG aus der Insolvenz den mittelständischen Betrieb Karmann in Osnabrück übernommen. Osnabrück ist Heimatstadt des früherer niedersächsischen Ministerpräsidenten Wulf, der seinerzeit als Vertreter des Landes im VW-Aufsichtsrat saß. Für Osnabrück war das freilich ein Rettungsanker, für VW eine vermutlich bleibende Belastung mit 2.300 Beschäftigten. Ähnlich war die Zuordnung des wenig rentablen VW-Produktionsstandorts Brüssel zu Audi im Jahre 2010. Während andere Autobauer streng auf Kostenbedingungen achten, ist man im VW-Konzern durch die Landesbeteiligung und den starken Betriebsrat sehr stark „politisch“ verflochten. Der Audi-Standort Brüssel hat 2.500 Beschäftigte. Die Beispiele zeigen, warum VW-Pkw eine schlechte Kostenposition hat und es wird deutlich, dass VW in dieser schlechten Kostenposition gefangen ist.