Vom Gimmick zum Mehrwert

Digitale Tools im stationären Handel machen das Einkaufen schneller, leichter, lustiger und besser. Händlern eröffnen sich vielfältige Möglichkeiten, ihre Läden aufzupeppen und ihre Umsätze zu erhöhen.
Wer bei Saturn in Ingolstadt einkauft, wird vom rollenden Paul unterstützt. (© Saturn)

Die amerikanische Kult-Grill-Firma Weber macht vor, wie sich mit digitalen Tools eine sehr sinnliche Einkaufserfahrung schaffen lässt: Wer den Weber Original Store in Berlin betritt, sieht erstmal – profan ausgedrückt – drei große Grilldeckel von der Decke hängen, die sogenannten „Category Bowls“. Darunter sind jeweils die Gerätetypen Gas-, Elektro- und Kohlegrill dekoriert. Je nach Standort projiziert ein verdeckter Beamer passende Bilder in die Deckel, ein Soundsystem spielt die entsprechenden Geräusche ein, etwa das Knistern von Kohle, und ein feiner Duft von Gegrilltem durchzieht das jeweilige Areal. Für dieses Ladenkonzept wurde Weber im November 2016 mit dem „Digital Retail Award“ ausgezeichnet. Die Begründung der Jury: „Eine gute digitale Lösung muss nicht vor Digitalität strotzen. Die multisensorische Inszenierung der Marke Weber integriere digitale Elemente subtil, aber hoch emotional.“

Spielereien sind nutzlos und teuer

Händlern eröffnen sich unendlich viele Möglichkeiten, ihre Läden mit digitalen Anwendungen aufzupeppen. Die Voraussetzung für den Erfolg: Es darf sich nicht bloß um hübsche Spielereien handeln, denn die sind teuer und nutzlos. Mehrwert für den Kunden bieten, das ist bei der digitalen Aufrüstung Trumpf, versteht sich aber eigentlich von selbst. Zwischen einfachen Infoscreens und der Königsdisziplin des voll personalisierten Einkaufserlebnisses bietet sich eine breite Palette.

Mitverantwortlich für die Konzeption des Weber Stores ist der Ladenbauspezialist Ppm Planung + Projekt Management GmbH. Geschäftsführer Matthias Oberem schätzt an den digitalen Tools besonders die Verbindung von Emotion, Information und natürlich auch, dass sie eine Brücke zwischen Online und Offline schlagen. Seiner Meinung nach ist es künftig selbstverständlich, dass Mitarbeiter im stationären Laden online die Warenverfügbarkeit prüfen und dem Kunden zum Beispiel Click & Collect ermöglichen. Es sei zudem immer dann sinnvoll, dem Kunden Technik zu bieten, „wenn nicht genug Personal auf der Fläche ist und keine Berater da sind“, so Oberem.

Paul hilft beim Einkauf

Genau dieses Problem soll künftig Paul lösen. Paul ist ein lustiger kleiner Roboter, der seit Anfang November durch den Saturn in Ingolstadt cruist, dem – laut Unternehmensangaben – „innovativsten, digitalsten und inspirierendsten Fachmarkt für Consumer Electronics in Deutschland“.

Die „Drone Flight Zone“ im Saturn-Markt in Ingolstadt. Foto: Saturn

Neben dem Gaming- und Virtual-Reality-Bereich, einer „Drone Flight Zone“ und einem Smarthome-Wohnzimmer sorgt auch Paul hier für ein neues Einkaufserlebnis. Der mobile digitale Assistent heißt die Kunden willkommen, führt sie bei Bedarf zum gesuchten Produkt, versorgt sie mit Informationen dazu und ruft bei Bedarf via (die Voice-over-IP) einen Mitarbeiter zum Kunden. Wer jemals in einem Elektronikfachmarkt verzweifelt nach einem Verkäufer gesucht hat, wird Paul lieben. Handelsexperten gehen jedenfalls fest davon aus, dass sich digitale Assistenten im stationären Handel durchsetzen werden.

Nicht so mobil wie Paul, aber ebenfalls aufsehenerregend ist das digitale Konzept von Nike im Berliner Flagship Store von 11teamsports. Ein Bestandteil ist der „Nike Bootroom“: Wer seinen Wunschschuh auf den Tisch legt, bekommt ausführliche Informationen, zum Beispiel auch, wer mit diesem Schuh schon erfolgreich kickte. Ein digitaler Einkaufskiosk zeigt sämtliche Nike-Fußballprodukte und deren Verfügbarkeit. Wer möchte, kann sich hier Trikots ganz einfach individuell zusammenstellen und sie personalisieren.

Laut der verantwortlichen Digitalagentur Demodern ergänzen sich Warenwirtschaft von Store und Onlineshop, Preise werden automatisch aktualisiert. Bezahlt wird direkt übers Smartphone oder an der Kasse im Laden. Und natürlich gibt es über große Displaywände auch gleich eine Schnittstelle zu Facebook, Instagram und Youtube sowie Fußballergebnisse und Livescores, die für eine direkte Interaktion von Mensch und Marke sorgt.

Anprobieren, aber nicht ausziehen

Überhaupt spielen Screens bei der Digitalisierung des Point-of-Sale (PoS) eine zentrale Rolle: „Screens funktionieren in jeder Weise, ob linear oder interaktiv“, sagt Daniel Kellmereit, Managing Director des auf vernetzte Markenkommunikation spezialisierten Unternehmens Liganova USA. Der Digitalexperte erwartet, dass die Zahl der Screens im Handel in den kommenden Jahren rapide zunehmen wird. Er ist auch beim Thema Virtual Reality optimistisch. Hierzulande sind viele Branchenkenner eher skeptisch, dass sich insbesondere die digitale Umkleidekabine durchsetzen wird.

Die verschiedenen Spielarten dieses Konzepts ermöglichen es unter anderem, via Scan-Technik Kleidung anzuprobieren, ohne sich auszuziehen. Alternativ erlauben es Displays, in der Kabine die Verfügbarkeit alternativer Größen und Farben anzuzeigen und weitere Anprobestücke bringen zu lassen. Der Tenor bei den Experten ist aber zwiespältig: Für Top-Modehäuser in Paris, London und Berlin sind die digitalen Systeme ein nettes Gimmick, für Boutiquen von Löhne bis Rosenheim nicht zu bezahlen, selbst wenn die Technik deutlich günstiger werden sollte.

Kellmereit, der schon lange in den USA lebt und arbeitet, räumt zwar ein, dass sich AR- und VR-Anwendungen auch dort noch nicht durchgesetzt hätten. Aber: Es werde sehr viel Geld in die Technik gesteckt. „Noch ist Virtual Reality ein Gimmick, zum Beispiel für Store Openings, größere Events und Messen“, glaubt Kellmereit, „aber noch kein Killer-Usecase in den Stores. Das Eco-System muss sich noch entwickeln, der Markt ist noch in einer frühen Entwicklungsphase.“

Die Digitalisierung in der Tasche

Für Dr. Gerrit Kahl, Head Innovative Retail Laboratory (IRL), liegt ein großes Potenzial in der Verbindung von Handel und Smartphone: „Die Kunden bringen mit ihrem Smartphone die Digitalisierung mit.“ Das IRL ist ein Forschungslabor des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz (DFKI) und praxisnah angesiedelt in der Zentrale der Globus SB-Warenhaus Holding in St. Wendel.

Sollte sich folgende Technik des IRL durchsetzen, dann ist das Handy fürs Shoppen sicherlich ein für alle Mal unverzichtbar: Das saarländische Forscherteam befragte für ein Testprojekt Konsumenten nach ihren Bedürfnissen und Vorlieben. Dabei ging es zum Beispiel darum, wie wichtig den Käufern die regionale Herkunft von Produkten ist, welche Fischfangmethoden sie bevorzugen oder welche Inhaltsstoffe sie meiden möchten. Die Befragten konnten ihre Anliegen gewichten. All diese Informationen packten die Wissenschaftler auf eine App und schickten die Probanden durch den Testsupermarkt. Per RFID-Chip wurden die entsprechenden Produktinformationen auf die Smartphones gesendet und siehe da: Viele Tester kauften anders ein als bisher, die Informationen hatten „eine Leitungsfunktion“, sagt IRL-Head Kahl.

Nicht nur für Allergiker, Veganer oder Fairtrade-Fans ist diese Anwendung nützlich. Allerdings muss sie bis zur Serienreife noch einige sehr hohe Hürden nehmen: Angaben zu Inhaltsstoffen sind nicht standardisiert, und bevor das nicht erreicht ist, bleiben derlei digitale Einkaufshilfen noch bloße Zukunftsmusik.

Ein anderes IRL-Projekt ist für Händler hingegen ganz einfach durchzusetzen: die intelligente Obstschräge. Schon heute ist das Gros der grünen Obst- und Gemüsekisten aus Logistik- und Reinigungsgründen mit RFID-Chips ausgestattet. Mithilfe von RFID-Antennen können Händler ihre Obstschrägen „instrumentieren“, sodass sie das Obst oder Gemüse erkennen: „Sorte, Herkunft, Handelsklasse, Preis, Tipps und Hinweise zum Umgang mit der Ware werden automatisch auf Displays an der Obstschräge eingeblendet. Durch Bebilderung der Anzeige ist auch für den Kunden klar ersichtlich, welche Anzeige zu welcher Stiege gehört. Wird umgeräumt, passt sich die Auszeichnung automatisch an“, heißt es in der Projektbeschreibung.

„Das ist relativ einfach umzusetzen, aber es entstehen Investitionskosten, für die man keinen direkten Return-on-Investment hat“, räumt Kahl ein. Allerdings bieten Händler ihren Kunden damit erstens Zusatzinfos, schließen zweitens Fehler bei der Warenanordnung aus und können dank Digitalisierung auch schnell die Preise anpassen.

Displays messen Abverkauf

Naturgemäß macht die Digitalisierung auch vor Verkaufsdisplays und Verpackungen nicht halt. Bei Displays zum Beispiel ergeben sich zig Möglichkeiten. So setzte Bahlsen im Sommer für den Launch seiner „Pick up! Minis“ auf Augmented Reality: Wer die entsprechende App installierte und im Supermarkt sein Smartphone auf die Dekosäule von Bahlsen richtete, konnte mit einer virtuellen Figur Selfies machen und über soziale Netzwerke teilen.

„Es gibt verschiedene Wege, ein Display dazu zu bringen, mit den Kunden zu interagieren – da ist das Smartphone ein probates Mittel“, sagt Claudia Rivinius, Marketingdirektorin der STI Group, einem Anbieter von verkaufsfördernden Displays und intelligenten Verpackungen. Für Logistiker wie Controller gleichermaßen interessant dürfte es sein, wenn künftig digitale Gewichtssensoren in Displays messen, wie viele Waren abverkauft werden.

Ein kurzer Blick auf die Digitalisierung des Point-of-Sale zeigt, dass es zahllose verschiedene Anwendungen gibt, die sowohl Herstellern und Händlern als auch den Konsumenten künftig viel Freude machen könnten. Dafür reicht es nicht, in den Läden einfach ein paar Laptops an die Wand zu nageln. Für ein einheitliches Warenwirtschaftssystem müssen komplette IT-Systeme umgebaut werden, für nutzwertige Informationen braucht es Inhalte und für eine emotionale digitale Kommunikation eine starke Marke. Und, man erwähnt es ungern in einer Industrienation: Es bedarf eines flächendeckenden kostenlosen WLAN. Aber dann kann’s auch losgehen.

Ideen für zeitgemäße Formen derShop-Gestaltung und Warenpräsentation finden Händler auf der EuroShop 2017 in Düsseldorf. Die Messe ist für Fachbesucher von Sonntag, 5. März, bis Donnerstag, 9. März, täglich von 10 bis 18 Uhr geöffnet. Die Tageskarte kostet 70 Euro (50 Euro im Online-Vorverkauf), die 2-Tageskarte 90 Euro (70 Euro im OVV) und die Dauerkarte 150 Euro (130 Euro im OVV). Die Eintrittskarten beinhalten die kostenlose Hin- und Rückfahrt zur EuroShop mit Verkehrsmitteln des Verkehrsverbund-Rhein-Ruhr (VRR). Erstmals veranstaltet wurde die EuroShop im Jahr 1966 von der Messe Düsseldorf, sie findet im Drei-Jahres-Turnus statt. Ideeller Träger ist das EHI Retail Institute.

(vh, Jahrgang 1968) schreibt seit 1995 über Marketing. Was das Wunderbare an ihrem Beruf ist? „Freie Journalistin mit Fokus auf Marketing zu sein bedeutet: Es wird niemals langweilig. Es macht enorm viel Spaß. Und ich lerne zig kluge Menschen kennen.“