Value Based Pricing im Lebensmittelsektor

In Zeiten, in denen die Potenziale für Kostenreduktionen für die meisten Unternehmen nahezu ausgeschöpft sind, rückt der Preis als Umsatz- und Gewinntreiber zunehmend in den Fokus des Interesses. Es zeigt sich jedoch, dass das Thema ‚Preismanagement’ gerade in der Lebensmittelindustrie oftmals geprägt ist durch subjektive Fehleinschätzungen der verantwortlichen Entscheider.

Von Gerald Oerkermann und Volker Ebert

So zeigt eine aktuelle Studie der AFC Management Consulting Folgendes:

  • Nur 40 Prozent aller Unternehmen der Ernährungsindustrie wählen die Zahlungsbereitschaft ihrer Kunden als Entscheidungsgrundlage für ihre Preisfindung.
  • 91 Prozent aller Unternehmen der Ernährungsindustrie glauben, die Zahlungsbereitschaft ihrer Kunden genau zu kennen. Jedoch nur 47 Prozent haben diese bislang tatsächlich untersucht.
  • Obgleich 72 Prozent der befragten Unternehmen die Qualität ihrer Produkte als bedeutendsten Kaufanreiz nennen, verfolgen 74 Prozenteine Preisgestaltung, die ausschließlich auf ihrer Kosten- und Wettbewerbsituation basiert.

Vor dem Hintergrund, dass derartige Fehleinschätzungen bei der Preisgestaltung zu empfindlichen Gewinneinbußen, unter Umständen zu horrenden Verlusten führen können, untersucht die Studie die eingesetzten Mechanismen zur Preissetzung in der Lebensmittelindustrie. Hierzu wurde eine Stichprobe von 150 Geschäftsführern und Marketingleitern der TOP 1000 der Ernährungsindustrie in telefonisch geführten Interviews befragt. Durch direkte Befragung der Entscheider liefert die Studie Informationen über die eingesetzten Instrumente des Preismanagements sowie über die hierzu gewählte Entscheidungsgrundlage.

Geringe Orientierung an der Zahlungsbereitschaft der Abnehmer
Die traditionelle Sichtweise des Marketing lehrt, dass bei der Planung der absatzpolitischen Instrumente von den Bedürfnissen und Charakteristika der Abnehmer ausgegangen werden sollte. Dennoch zeigt sich für die Lebensmittelindustrie, dass nur 40 Prozent der Unternehmen die Zahlungsbereitschaft ihrer Kunden als Orientierungsgröße für ihre Preissetzung wählen. Demgegenüber werden die Kosten (72,7 Prozent aller Befragten) und die Wettbewerbssituation (66,7 Prozent) als weitaus bedeutendere Einflussfaktoren für die eigene Preisfindung genannt.

Es scheint, dass die Festsetzung der Preise innerhalb der Lebensmittelindustrie immer noch zu einem großen Teil dem klassischen ‚Kosten-Plus’-Ansatz folgt. Durch die hieraus resultierende fehlende Nachfrageorientierung bei der Preiskalkulation können Unternehmen Gefahr laufen, ihre Spielräume bei der Preissetzung falsch einzuschätzen und Möglichkeiten für höhere Margen zu verschenken. Folgt man demgegenüber dem Ansatz des Value Based Pricing, das auf dem aus Verbrauchersicht wahrgenommen Produktnutzen basiert, so kann die individuelle Zahlungsbereitschaft der Kunden und Verbraucher ermittelt werden, wodurch die eigenen Margen i.d.R. signifikant verbessert werden können. Wird der zusätzliche Spielraum individueller Zahlungsbereitschaft für die Preissetzung außer acht gelassen, können ggf. gravierende Fehlentscheidungen resultieren, indem potenziell höhere Gewinne verschenkt werden.

Value Based Pricing als dreistufiger Prozess

Um sich dem Ansatz des Value Based Pricing zu nähern, können die wesentlichen Felder zu seiner Implementierung in einem dreistufigen Prozess strukturiert werden.

Marktsegmentierung und Implementierung neuer Nutzenkategorien
Als erster und zentraler Schritt kann die Bestimmung und Auswahl der relevanten Zielgruppen und der für sie wichtigen Nutzenkategorien genannt werden. Ein erweiterter Spielraum für die eigene Preissetzung kann insbesondere durch Eigenschaften des Produktes erreicht werden, für die der Kunde einen höheren Preis zu zahlen bereit ist und die sich bei Konkurrenzprodukten nicht wiederfinden lassen (Chan Kim/Mauborgne 2005, S. 12ff.). Beispiele der Lebensmittelindustrie für derartige Nutzenkategorien können die Herkunftsbezeichnungen von Rausch Schokolade oder der höhere Milchanteil von Kinder Schokolade darstellen. Diese Eigenschaften repräsentieren Alleinstellungsmerkmale, die eine besondere Wertschätzung durch Konsumenten erfahren und zugleich kostengünstig für das herstellende Unternehmen sind. Um zu einem systematischen Weg zum Auffinden solch neuer Nutzenkategorien zu gelangen, kann aus Sicht des Produktmarketing die Anspruchssystematik von Koppelmann zur Systematisierung hinzugezogen werden. Basierend auf den Wünschen der Verbraucher zeigt diese einen umfänglichen Pool von Ansprüchen, die von Seiten der Verbraucher an Produkte gestellt werden können (Koppelmann 2001, S. 158ff.).

Einige Beispiele sollen den Zusammenhang veranschaulichen:

  • Der Anspruch an Gesundheit kann eine mögliche Basis bilden für die Differenzierung des Angebotes als Functional Food-Produkt. So kann durch Aufnahme eines gesundheitsfördernden Zusatznutzens – zum Beispiel Zusatz besonders widerstandsfähiger Milchsäurebakterien in Joghurtprodukten – in das Produktdesign ein Alleinstellungsmerkmal erlangt werden, für das der Kunde unter Umständen einen deutlich höheren Preis zu zahlen bereit ist, im Falle der Functional-Food-Marke ‚Activia’ von Danone um bis zu 140 Prozent gegenüber konventionellen ‚Family Joghurt’.
  • Dem Anspruch an Besonderheit und Neugierde kann zum Beispiel durch Integration neuartiger Verpackungsdesigns entsprochen werden. Dieser Überlegung folgen beispielsweise die exotisch anmutenden Herkunftsbezeichnungen von Rausch Schokolade.
  • Dem Zeitanspruch kann zum Beispiel aus Sicht der Lebensmittelindustrie durch Auflegen von Nostalgieeditionen entsprochen werden. Diese durchaus verbreitete Möglichkeit, die eigene Unternehmenstradition durch eine limitierte Auflage nostalgischer Verpackungsdesigns zu kommunizieren, stellt einen oftmals genutzten Weg der Profilierung dar, der zum Beispiel. 2009 von Sarotti Schokolade sowie 2007 zum 100. Geburtstag von Persil genutzt wurde.
  • Durch Integration sogenannter ‚sozialer Produktattribute’ kann an den Altruismus und Fürsorge, aber auch an Selbstbestätigung der Verbraucher appelliert werden. Im Sinne der Corporate Social Responsibilty können Unternehmen sich auf diese Weise dadurch profilieren, dass sie Gutes tun und dies gezielt kommunizieren. So unterstützt Danone durch die Marke Volvic im Rahmen seiner Trinkwasser-Initiative den Brunnenbau in trockenen Regionen afrikanischer Länder. Studien belegen, dass Verbraucher durchaus bereit sind, für Produkte, die auch einem sozialen Engagement dienen, einen höheren Preis zu zahlen als für vergleichbare Produkte, die diesen Zusatzbutzen nicht aufweisen (Weber 2008, S. 297).

Die Beispiele verdeutlichen, dass durch systematisches Durchdeklinieren der verschiedenen möglichen Anspruchsschwerpunkte mit einem geringen Aufwand neue Nutzenkategorien aufgefunden werden können, die zur Differenzierung des eigenen Marktauftritts gegenüber dem Konkurrenzangebot beizutragen versprechen. Für die Implementierung des neu ermittelten Zusatznutzens ist es erforderlich, dass dieser in einer aus Verbrauchersicht sinnvollen Beziehung zu dem Produktkonzept steht. Abbildung 3 zeigt am Beispiel der Marke Volvic, dass das soziale Engagement der Marke zum Thema Brunnenbau in Afrika aufgrund der semantischen Nähe eng mit dem Produkt ‚Wasser’ assoziiert wird. Dieser enge Bezug zwischen Marke und sozialem Zusatznutzen trägt entscheidend zur Akzeptanz durch die Verbraucher bei (Weber 2008, S. 193ff.).

(Quelle: Weber 2008)

Auswahl und Überprüfung relevanter Kriterien

Wie hoch kann das erzeugte Preispremium gegenüber Produkten ausfallen, die keinen funktionellen Zusatznutzen aufweisen? Um die erweiterte Zahlungsbereitschaft der Verbraucher zu ermitteln, die aufgrund des erzeugten Mehrwerts erreicht wird, können verschiedene Marktforschungsmethoden Anwendung finden (Völckner 2006, S. 33ff.). Während jedoch 90,7 Prozent aller Befragten angeben, die Zahlungsbereitschaft ihrer Abnehmer für ihr wichtigstes Produkt genau zu kennen, setzen lediglich 47,3 Prozent tatsächlich Marktforschung zu deren Ermittlung ein. Zu den eingesetzten Marktforschungsmaßnahmen befragt, geben 42,7 Prozent der Unternehmen die Analyse von Marktdaten an, 18,7 Prozent Kundenbefragungen und 17,3 Prozent Tests zur Ermittlung der Zahlungsbereitschaft. Die Möglichkeit des Einsatzes empirischer Methoden, die den Kunden bei der Bewertung der Produktattribute zur Ableitung der Zahlungsbereitschaft unmittelbar einbeziehen – zum Beispiel Conjoint Analysen –, wird also mit jeweils weniger als 20 Prozent Zustimmung nur äußerst selten
in Betracht gezogen.

Kommunikation und Preisdurchsetzung

Den Kern des Value Based Pricing bildet eine Preisdifferenzierung, bei der Kunden für ähnliche Angebote unterschiedliche Preise bezahlen. Hierdurch kann eine optimale Abschöpfung der individuellen Zahlungsbereitschaft unterschiedlicher Segmente ermöglicht werden. Im Lebensmittelsektor verfolgt insbesondere der Lebensmitteleinzelhandel diese Strategie erfolgreich. So schöpft der Handelskonzern REWE über erfolgreiche Differenzierung unter den Eigenmarken „Ja!“, „REWE Bio“, „REWE“ und „REWE Feine Welt“ unterschiedliche Zahlungsbereitschaften ab. Konzepte des Cross Selling – zum Beispiel über die Kommunikation von Rezepten, die eine Mehrzahl der Produkte eines Herstellers als Zutaten erfordern – können in diesem Kontext zusätzlich erfolgreich flankierend eingesetzt werden.

Über die Autoren: Dr. Gerald Oerkermann ist ehemaliger Senior Consultant der AFC Management Consulting AG und Dr. Volker Ebert ist als Consultant bei der AFC Management Consulting AG tätig. Die AFC Management Consulting AG mit Hauptsitz in Bonn gehört zu den international führenden Beratungsunternehmen mit ausschließlicher Spezialisierung auf die Ernährungswirtschaft sowie die vor- und nachgelagerten Bereiche.

Literaturhinweise:
Chan Kim, W./Mauborgne, R. (2005): Blue Ocean Strategy – How to Create Uncontested Market Space and Make the Competition Irrelevant, Boston, Massachusetts.
Koppelmann, U. (2001): Produktmarketing, 6. Aufl., Berlin u.a.
Völckner, F. (2006): Methoden zur Messung von individuellen Zahlungsbereitschaften: Ein Überblick zum State of the Art, in: Journal für Betriebswirtschaft (JfB), 56. Jg., Heft 1, S. 33- 60.
Weber, T. (2008): Sozial-inhärente Produkte, Köln.

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