„Unternehmen müssen egoistische Bedürfnisse befriedigen können“

Kunden fordern zunehmend eine ethische Orientierung der Unternehmen, greifen dann aber nicht unbedingt zum ethisch vertretbaren, sondern zum günstigeren Produkt. Psychologin Ines Imdahl, Mitgründerin des Rheingold Salon, erklärt im Interview, worauf es wirklich ankommt.

Erkennt der Kunde den Unterschied zwischen ehrlichem ethischen Engagement und Verkaufsförderung?

Das kann der Kunde erkennen, auch wenn das Unternehmen verschiedene Werte ausstrahlt. Wir haben sechs Faktoren einer Wertemarke identifiziert, die die Kunden meist unbewusst wahrnehmen: anständiges Handeln, Gemeinschaft und Solidarität, Kontinuität, zeitgemäße Entwicklung, Sicherheit sowie Liebe zum Produkt, zum Unternehmen und den Menschen selbst. (Anmerkung der Redaktion: Mehr zu diesen Werten finden Sie in der Ausgabe 3/2016, Seite 34.) Wenn ein Unternehmen zumindest einige dieser Werte nach außen transportieren kann, hat es schon viel gewonnen. Ein sensationell wichtiger Wert dabei ist, ob füreinander eingestanden wird, wenn es darauf ankommt. Damals, als die German-Wings-Maschine abstürzte, hat die Lufthansa dafür mit eingestanden. Da konnte man einen Moment der Gemeinschaft und Solidarität verspüren. Das haben die Menschen sehr zu schätzen gewusst. Danach ist jedoch einiges schiefgelaufen. Oder als es die Fanhansa zur Fußballweltmeisterschaft gab; das haben die Menschen auch sehr zu schätzen gewusst. Das waren nicht nur die Siegerflieger, sondern auch die Fanhansa. Das meine ich mit Gemeinschaft und Solidarität, wenn wir bei dem Erfolg mitgenommen werden.

Könnte Ethik zu einem USP für Unternehmen in gesättigten Märkten und bei austauschbaren Produkten avancieren?

Ein klares Ja – sofern die gewählte Form der Ethik zum Unternehmen und Produkt passt – und das Unternehmen glaubhaft hierfür einzustehen weiß.

Laut einer Studie glaubt ein Drittel der Mitarbeiter, ihr Unternehmen handele unethisch. Wenn die Menschen ihr eigenes Unternehmen nicht für ethisch halten, wieso sollen sie es von anderen erwarten?

Hier vermischt sich Mitarbeiterzufriedenheit und ethisches Verhalten. Mitarbeiter erleben ethisches Verhalten, indem man ihnen alles durchgehen lässt, aber ethisches Verhalten bedeutet auch Regeln für Mitarbeiter. Andererseits heißt es auch, dass zwei Drittel ihrem Unternehmen ethisches Verhalten zutrauen. Das finde ich positiv.

Allerdings wächst die Zahl der Mitarbeiter, die ihr Unternehmen für unethisch halten.

Kein Mensch hat eine komplett weiße Weste, wieso wird das von den Unternehmen verlangt? Ich finde dieses Thema immer sehr kritisch, weil es einen großen Teil der Unternehmen davon abhält, überhaupt etwas zu machen. Das halte ich für einen Fehler, weil ich denke, etwas anzufangen, an das man glaubt, und dabei kontinuierlich besser zu werden, ist besser als erst gar nicht anzufangen: Ich traue mir nicht zu, ein guter Mensch zu werden, also bleibe ich ein schlechter Mensch.

Wird ethisch korrektes Verhalten bei der totalen digitalen Transparenz möglicherweise zu einer Notwendigkeit? Wirken die Medien als ethisches Korrektiv?

Da kommen die Medien nicht nur als positives Korrektiv ins Spiel, sondern auch als negatives. Es gab von Danone einen ernsthaften Versuch, die ökologische Bilanz von Joghurt-Bechern zu verbessern. Foodwatch hat diesen Versuch zerstört, nur weil ein Wert schlechter war als vorher. Das führte im Grunde dazu, dass die komplette Foodbranche alle Innovationen in Richtung verbesserter, nachhaltiger Verpackungen einstellte. Jetzt reden wir einmal über ethisches Korrektiv. Das gibt es auch in die andere Richtung. Lügen aufzeigen, ja. Aber hier hat ein 15-Mann-Unternehmen aus eigener idealistischer Profilierungssucht keinen Schulterschluss gemacht, weil es nicht den guten Willen sehen wollte. Jeder Kunde, mit dem ich heute zusammenarbeite, sagt: Packung und Nachhaltigkeit fasse ich nicht an.

Haben die Unternehmen mehr Angst vor Foodwatch und Co. als vor den Konsumenten?

Genau. Der Konsument ist tatsächlich bereit. Wir erhalten sehr positive Ergebnisse. Die Menschen wären nicht bereit, megaviel dafür auszugeben, aber sie wären schon bereit, ein paar Cent mehr dafür zu geben – was auch reichen würde. Ich würde es lieber sehen, dass sich die Verpackung weiterentwickelt und wir nicht auf einem Stand vor 20 Jahren verharren, weil eine große Angst herrscht.

Ist die Bildung von Vertrauen schwieriger geworden?

Auf jeden Fall, weil es im Netz möglich ist, anonym alles zu verreißen. Ich finde es gut, dass die sozialen Medien offen sind, nur führt es sehr leicht dazu, dass nicht mehr differenziert diskutiert, sondern schnell etwas hochgeschaukelt wird.

Wie sind die verschiedenen Initiativen – Initiative Tierwohl, die Übernahme der Haftung bei selbstfahrenden Autos von Volvo, das Abstoßen von Beteiligungen in Kohle oder Bergwerkstechnologien der Allianz –,
die Unternehmen heute schon anstreben, zu beurteilen? Warum machen sie das?

Sofern sie nicht nur aus reinen Profitüberlegungen resultieren, sind sie ein Zeichen der Sinnsuche in einer übersättigten Konsumgesellschaft. Es macht inzwischen einigen Unternehmen auch schlicht mehr Spaß, sich nachhaltig zu engagieren – für Kunden aber auch Mitarbeiter kann dies ein echter Mehrwert sein. Allerdings gelten immer die Regeln: Glaubwürdigkeit im Sinne der Unternehmenspassung sowie langfristige Nachhaltigkeit statt kurzfristige Engagements.

Wie sollte ethisch orientierte Kommunikation gestaltet sein? 

Sie muss lustvoll sein. Der Zeigefinger ist genau das Falsche, über das schlechte Gewissen verkauft man gar nichts. Ich hatte schon gesagt, dass die Leute in ihrem Egoismus angesprochen werden müssen. Eine Form des Egoismus ist natürlich Lust, Sinnlichkeit oder Spaß. An erster Stelle steht die eigene Lustbefriedigung. Nachhaltigkeit, Ethik oder Moral können als Zusatzbenefit mit dazukommen: Es schmeckt mir, und außerdem tue ich noch was für die Umwelt, für die Gesundheit und so weiter. Andersherum funktioniert es nicht. 

Ines Imdahl, 49, startete nach dem Psychologiestudium an der Universität Köln in der Unternehmensberatung. Nach zwei Jahren wechselte sie zu Rheingold und war dort seit Januar 2000 Geschäftsführerin. 2011 gründete die Mutter von vier Kindern zusammen mit Jens Lönneker den rheingold salon, ein interdisziplinär arbeitendes Unternehmen, das wissenschaftliche Forschung mit Strategien, Umsetzung und Gestaltung verbindet. Die Arbeitsschwerpunkte liegen in der internationalen Markt- und Kulturpsychologie.

Dieses Interview erschien zuerst in der Print-Ausgabe der absatzwirtschaft 05/2016.