Unter öffentlicher Anteilnahme

Sinkende Auflagen halten Verlage nicht davon ab, neue Magazine zu gründen. Dabei betreten sie ungewohnte Pfade und entwickeln sogar Titel im Livedialog mit ihren künftigen Lesern.

Von Roland Karle

Kurz vor Jahresende schneite eine Nachricht herein, über die man wirklich mal nachdenken sollte: Schon bald jeder Zweite fühlt sich von Werbung im Fernsehen (43 Prozent) und auf Onlineseiten (45 Prozent) gestört. Hingegen empfinden nur 21 Prozent der in Deutschland lebenden Bevölkerung ab 14 Jahre die Reklame in Printmedien als störend, wie aus der gerade veröffentlichten Studie „Typologie der Wünsche 2012“ (TdW) hervorgeht.
Was lässt sich aus diesem Befund herauslesen? Die Digitalfraktion wird argumentieren, dass gedruckte Werbung deshalb nicht stört, weil man sie problemlos überblättern kann und/oder weil sie, noch schlimmer, überhaupt nicht auffällt. Die Printleute hingegen werden sich darin bestätigt sehen, dass Anzeigen wirken und gefallen, ohne aufdringlich zu sein.

Mediennutzung ist auch immer eine Frage des Befindens, ganz wörtlich gemeint. Autopassagiere bleiben diesbezüglich die wichtigsten Verbündeten des Radios, während im Wohnzimmer heftiger medialer Wettbewerb herrscht. „Mindestens gelegentlich“ schauen 90 Prozent der Befragten TV in der guten Stube, Zeitschriften (86 Prozent) und Zeitungen (69 Prozent) können da nicht ganz mithalten. Bei Auflagenanalysen wird jedoch die Kraft des Lesezirkels unterschätzt, das legt zumindest folgende Quote nahe: Im Wartezimmer (86 Prozent) und beim Haareschneiden (72 Prozent) werden Magazine geradezu verschlungen.
Vielleicht sollten Verlage noch stärker mit Ärzten und Friseuren kooperieren, wenn sie neue Titel auf den Markt bringen. Obwohl Print tendenziell mit sinkendem Absatz zu kämpfen hat, zeigte sich die Branche 2011 gründungsfreudig. Gut so, wenn man den Erkenntnissen der Allensbacher Markt- und Werbeträger-Analyse (AWA) folgt. Demnach lesen erstmals seit 2007 wieder mehr Menschen Zeitschriften, obgleich das Plus mit 0,7 Prozent bescheiden ausfällt. Vor allem aber hat sich herausgestellt, dass junge Magazine die Leselust fördern. Die Reichweite der in der AWA gelisteten 50 Neugründungen aus den vergangenen zehn Jahren ist gegenüber 2010 um satte 9,3 Prozent gestiegen.
Launches mit großen Sprüchen, riesiger Auflage und Werbefeuerwerk sind selten geworden. Nicht aber gute Ideen, leidenschaftliche Blattmacher, spannende Nischen. Im Markt der Kindermagazine, wo „Geo“, „Spiegel“, „Stern“ bereits junge Ableger platziert haben und nun auch „Mare Ahoi“ und „Zeit Leo“ mitspielen, wird es bereits eng. Abwarten, ob alle durchhalten. Spezialisten wie Egmont, Pabel-Moewig, Blue Ocean und Panini kennen sich im Segment aus, besonders mit Lizenzen von TV-Serien und Filmen. „Man muss schnell reagieren, denn der Lebenszyklus von Zeitschriften ist kürzer geworden“, sagt Panini-Chef Frank Zomerdijk. Eine Titeleinstellung gehört da zum geschäftlichen Alltag.

Mediale Wechseljahre bringen ungekannte Freiheiten. So sind die deutsche Version des US-Magazins „Wired“ und das Comeback von „Max“, beide zunächst mit dem Stempel der Einmaligkeit versehen, unter Anteilnahme und Mitwirkung der Öffentlichkeit entstanden. „Wir wollen dem Titel nicht von vornherein ein serienoptimiertes Korsett verpassen“, sagte „Wired“-Herausgeber Moritz von Laffert vor dem Start des Condé-Nast-Projekts. Print- und App-Ausgabe wurden parallel entwickelt, begleitet von einem Redaktionsblog. So konnte man Chefredakteur Thomas Knüwer folgen, mit ihm diskutieren und selbst Themen vorschlagen.
Auch die „Max“-Chefköche Oliver Wurm und Alexander Böker brutzelten in offener Küche – auf Facebook. Wer wollte, durfte sich einmischen und mitwürzen unter „Wir machen Max“. 1 700 Leute taten es. „Die Resonanz war wie eine warme Dusche. Fast alle waren davon begeistert, das Magazin wieder auf leben zu lassen“, berichten die Blattchefs. Themen und Ideen wurden ausgetauscht, sogar Stylisten, Illustratoren und Statisten für die Heftproduktion gesucht. Alles lief über die digitalen Bahnen des sozialen Netzwerks. „Wir waren anfangs etwas nervös – die Facebook-Idee hätte ja auch nach hinten losgehen können“, räumt Wurm ein. Doch das Experimentist geglückt. „Facebook war oftmals der Impuls“, sagt der Blattmacher. Das Dossier über Freundschaft wäre ohne die Mitwirkung aus dem Netz so nicht zustande gekommen. Die Befragten für das Stück „Und, was machen Sie gerade?“ wurden sämtlich über Facebook ausgewählt. Und für das Interview mit dem neuen Puma-Chef Franz Koch schickte der digitale Freundeskreis 300 Fragen ein. Beispiele für eine ungewohnte und frische Art des Zeitschriftenmachens. ←