Tante Emma geht ins Netz

Lange haben sich die Händler an Kö, Ku'damm & Co. gegen Online-Giganten vom Schlage Zalando und Amazon gewehrt – vergeblich. Jetzt schalten sie um und bieten den Rivalen Paroli. Können Sie den Abstand noch aufholen?

Selbstabholer willkommen: Kaufhof, C&A, Karstadt und andere große Einzelhändler ermuntern ihre Online-Kunden neuerdings, im Webshop bestellte Waren in einer Filiale abzuholen. Was gegenüber dem Paketversand bis an die Haustür erst einmal nach einem Komfortverlust klingt, hat durchaus Vorteile: Es fallen keine Versandkosten an, bestellte Waren können bei Nichtgefallen gleich vor Ort zurückgeben werden. Und man kann im Laden passendes Zubehör oder ergänzende Produkte kaufen.

„Click & Collect“ heißt die neue Versandoption im Fachjargon des E-Commerce. Je nach Branche wird der Service stark nachgefragt: Die Elektronikketten Mediamarkt und Saturn gaben im Mai an, dass fast jeder zweite Online-Kunde die Filialabholung nutzt.

Beim Modeunternehmen C&A, das den Service im Mai in Belgien und Ende Oktober in Deutschland gestartet hat, wählt Unternehmensangaben zufolge mehr als jeder zehnte Kunde eine Filiale als Zieladresse für seine Online-Bestellung.

Der neue Service mag für sich genommen nicht sonderlich spektakulär klingen. Er steht aber für ein Umdenken im deutschen Einzelhandel, sagt Kai Hudetz, Geschäftsführer des Instituts für Handelsforschung (IfH) in Köln: „Die Strukturen waren bislang sehr stark von den Egoismen der Vertriebskanäle geprägt.“ Filialleiter befürchteten, dass die Kunden in den Webshop abwandern. Und die E-Commerce-Chefs dachten gar nicht daran, ihren mühsam aufgebauten Kundenstamm in die Filialen umzuleiten.

Nun nimmt die Verzahnung des Online- und Offline-Geschäfts unter den Schlagwörtern „Multi-Channel“ und „Cross-Channel“ Fahrt auf. Die Handelsketten haben erkannt, dass ihre Filialen in bester Innenstadtlage auch das Online-Geschäft beflügeln können.

Denn die damit verbundenen Services treffen den Nerv der Zeit, wie eine im vergangenen Jahr veröffentlichte Studie der Unternehmensberatung Accenture und der Hochschule Niederrhein zeigt. Demnach akzeptieren Kunden einen Aufpreis, wenn sie online prüfen können, ob ein Produkt auch in der Filiale erhältlich ist. Zahlungsbereitschaft zeigen sie beispielsweise auch für die Möglichkeit, im Webshop gekaufte Waren im Laden zurückgeben können.

Neue Anforderungen an etablierte Händler

Die Zusatzdienste sind für den stationären Handel damit eine Chance, im umkämpften Online-Handel Boden gutzumachen. „Viele Unternehmen sind E-Commerce erst angegangen, als ihnen das Wasser bereits zum Hals stand“, sagt Hudetz. Von dem Zögern habe vor allem Amazon profitiert: In Deutschland seien auf den Internetriesen alleine 17 Prozent des E-Commerce-Umsatzes und ein Prozent des gesamten Einzelhandelsvolumens zurückzuführen.

Inzwischen ist es schwer, Amazon im reinen Internethandel etwas entgegenzusetzen – die Kunden sind längst an eine hohe Warenverfügbarkeit, günstige Preise und einen schnellen Versand gewöhnt. Punkten können Karstadt & Co. dagegen mit ihrer großen Präsenz vor Ort.

Für die Händler bedeuten die Zusatzdienstleistungen neue Investitionen in Software und eine Veränderung der Prozesse im Hintergrund. Ralf Rothberger, Leiter des E-Commerce-Geschäfts von C&A, verdeutlicht das an „Click & Collect“: „Für unseren Lagerdienstleister ist es kein Unterschied, ob er das Paket an eine Privatadresse oder eine Filiale schickt. Aber da muss der Paketdienst mitspielen. Und die Waren müssen vor Ort dann angenommen und zur Abholung bereit gelegt werden.“

Nicht minder aufwendig ist eine Verfügbarkeitsprüfung, die bei C&A noch in Planung ist. „Das ist insofern komplex, als dass wir die Warenwirtschaftssysteme des stationären Filialnetzes und des Online-Shops zusammenbringen müssen“, erklärt Rothberger. „Gleichzeitig muss der Bestand im Prinzip permanent aktualisiert werden. Sonst besteht die Gefahr, dass eine Ware als verfügbar angezeigt wird, obwohl sie zu diesem Zeitpunkt schon ausverkauft ist.“

Online shoppen in der Filiale

Dienste wie „Click & Collect“ und die Verfügbarkeitsprüfung sind Beispiele dafür, wie aus Online-Kunden Besucher der stationären Geschäfte werden können. Auch der umgekehrte Weg spielt eine wichtige Rolle. Nach dem Vorbild einiger US-Unternehmen experimentieren die zum Otto-Konzern gehörende Kette Sportscheck und der Parfüm-Händler Douglas mit Online-Bestellterminals in den Filialen.

„Für Händler ist das eine Möglichkeit, auf derselben Verkaufsfläche ein größeres Sortiment anzubieten“, sagt Christoph Schwarzl, Partner des Düsseldorfer Beratungsunternehmens Kurt Salmon. „Man braucht nicht mehr alle Farben und Größen vorrätig haben.“ Aus Kundensicht ein Vorteil: Der Einkauf kann bequem geliefert werden.

Auf die Spitze getrieben hat dieses „Showroom“-Konzept die britische Supermarktkette Tesco in einem Modellversuch in Südkorea. In Seoul gibt es seit August 2011 einen virtuellen Supermarkt in der U-Bahnstation: Auf einer Leuchtwand sind Fotos der Produkte dargestellt, die sich mittels Smartphone-App durch Scannen von QR-Codes nach Hause bestellen lassen. Das Konzept wird nun auf Bushaltestellen ausgeweitet.

Smartphones gelten auch als Schlüssel, um Kunden mittels ortsbezogener Dienste in die nächste Filiale zu lotsen. Erste Versuche in diese Richtung gibt es bereits, etwa bei Sportscheck: In einer Applikation, die langfristig die Kundenkarte ersetzen soll, kann man die Ortung zulassen – und erhält auf Wunsch Hinweise über Rabatte oder andere Aktionen der nächstgelegenen Filiale.

Virtuelle Kundenkarten haben aus Sicht des Handels einen weiteren Vorteil. Sie erleichtern die Verknüpfung mit dem Account im Online-Shop, um möglichst vollständige Käuferprofile zu erhalten. „Händler sind sehr bemüht, Sie im Laden zu identifizieren“, sagt Unternehmensberater Schwartzl. Die Verkaufshistorie, insbesondere wenn sie auch die Online-Käufe einschließt, ermögliche eine viel gezieltere Beratung. „Das Szenario ist nicht für jeden erstrebenswert, aber viele Kunden mögen das.“

Per App von fremden Filialen profitieren

Je höher der Mehrwert aus der Verbindung digitaler und stationärer Kanäle für den Kunden ist, desto stärker können sie an eine Marke gebunden werden. Reine Online-Player könnte das auf Dauer in Bedrängnis bringen, glaubt Handelsforscher Kai Hudetz: „Es gibt schon erste Anzeichen dafür, dass Internetshops auch in den stationären Handel einsteigen.“

Als Beispiel nennt Hudetz die Computerverkäufer Cyberport und Notebooksbilliger.de, die als reine Onlineshops gestartet sind, inzwischen aber auch Ladengeschäfte unterhalten.
Oft wird auch den Internetriesen Amazon und Zalando Interesse am stationären Handel nachgesagt. Bei dem Modeversender wird dabei gerne auf den Outlet-Store in Berlin verwiesen. Dass weitere Geschäfte folgen, ist aber unwahrscheinlich.

Stattdessen veröffentlichte Zalando kürzlich eine App, die auch einen Barcode-Scanner enthält. Wer ein passendes Kleidungsstück beim Shoppen in der Innenstadt sieht, kann so per Smartphone prüfen, ob der Artikel bei Zalando günstiger zu haben ist. Mit derselben Technik nutzt auch Amazon längst die Ladengeschäfte der Konkurrenz.

von Steffen Ermisch, Quelle: Handelsblatt