Sybille Kircher von der Namensagentur Nomen im Interview: „Um einen Namen zu ändern, braucht man einen sehr guten Grund“

Von Toyota Yaris über Bosch Ixo bis hin zu Müller Froop: Die Namensagentur Nomen hat rund 1 800 Namen im Markt kreiert. Sybille Kircher, Geschäftsführerin in Düsseldorf, über die Probleme der Digitalisierung, die kreativen Prozesse der Namensfindung, Lkw-Fahrer und Müllverbrennungsanlagen

Die französische Namensagentur Nomen hat fünf Firmenniederlassungen und ein Netzwerk von Mitarbeitern, die auf der ganzen Welt unterwegs sind, um den perfekten Namen zu finden. Sybille Kircher ist geschäftsführende Gesellschafterin und spricht mit uns im Interview Problemthemen, Zukunftsvisionen und neue Markennamen an.

Frau Kircher, fangen wir mit einer einfachen Frage an: Wie finden Sie den Namen „absatzwirtschaft“?

Sybille Kircher (lacht): Gute Frage. Der Name ist schon wieder retro und in. So ein alter Name transportiert natürlich die ganze Entwicklung der Zeitschrift. Den sollten Sie meiner Meinung nach nicht ändern.

Wie sind Sie zu Ihrem außergewöhnlichen Beruf gekommen?

Man kann mich als Quereinsteigerin bezeichnen. Ich habe mich schon immer gern mit Sprache und Werbesprache und Marketing beschäftigt. Ich hatte auch im Studium die Fächer BWL und Sprachwissenschaft. Nach dem Studium habe ich erst einmal im Stadtmarketing gearbeitet und sogar

Marketing bei einer Bank gelernt. Über ein Radiointerview habe ich dann von Nomen in Frankreich erfahren und dass es Namensagenturen gibt. Also bin ich mit Nomen in Kontakt getreten, dann nach Frankreich in die Zentrale gereist, habe dort gearbeitet und bekam die Chance, mit einer Kollegin das Büro hier in Düsseldorf aufzubauen.

War die Automobilbranche für Sie von Anfang an interessant oder wollten Sie eigentlich für eine andere Branche Namen erfinden?

Wir kommen immer mehr dahin, dass wir offen sind für alle Projekte. Uns ist es heute wichtiger, dass die Zusammenarbeit gut läuft. Das Spannende sind immer die Menschen hinter den Projekten und nicht die Branche. Wir haben schon für hochtechnische Branchen gearbeitet, für Müllverbrennungsanlagen zum Beispiel. Man kann sich überall reinarbeiten, obwohl man als Frau natürlich auch mal gerne an einem Duftprojekt arbeitet. Leichter ist das allerdings nicht. Meist sind nämlich da die Eckdaten nicht so klar gesetzt und man ist zwar sehr frei, aber gleichzeitig hat man nichts, woran man den Namen wirklich festmachen kann. Der Name lebt niemals aus sich selbst heraus, er bildet immer das Pendant zu der Produktpositionierung, zu der kommunikativen Plattform. Erst dann können wir einen Namen wirklich aufbauen.

Wie sieht der Prozess der Namensfindung nun konkret aus? Kommt jemand mit einem Produkt zu Ihnen und Sie kreieren dann einen Namen dazu?

Nein, mittlerweile hat sich das komplett geändert. Es kommt heute meist ein Kunde mit einem Problem. Und er fragt uns dann: „Wie können wir über einen Namen das Problem lösen?” Denn der Name kann helfen einen neuen Einstieg zu schaffen. Oft ist es auch so, dass jemand mit einer Marke daherkommt und wissen will, was wir tun können, damit der Markenname interessanter, emotionaler, bekannter wird. Wir schaffen dann ein Namenskonzept rund um die Marke, welches diese stärkt. Wir arbeiten also heute an Gesamtkonzepten, bei denen es immer darum geht, ein Namenssystem zu finden. Gerade abstrakte Dinge, die durch die Digitalisierung auf dem Vormarsch sind, die man nicht mehr sehen, fühlen kann und nur noch über Apps erkennt, müssen benannt werden.

Und wie war das früher?

Früher hatte man noch konkrete Produkte, die man anfassen konnte. Heute muss ich erst einmal eine Beschreibung für das Produkt finden, die meist nicht einmal mehr der Kunde vor Augen hat. Selbst er kann nicht sagen, wie das Produkt in zehn Jahren aussehen wird. Auch das ist eine zentrale Frage, die wir uns stellen müssen, damit der Name auch in Zukunft noch zum Produkt passt. Das macht unsere Branche heute eben noch spannender und reizvoller, bietet noch mehr Möglichkeiten zum Knobeln.

Wie sichern Sie sich sprachlich bei neuen Namen ab?

Wir prüfen jeden Namen in allen Ländern. Das gehört von Anfang an zum Handwerkszeug. Wir haben uns ein eigenes Netzwerk von Mitarbeitern aufgebaut, die in allen Sprachen und Dialekten dieser Erde für uns Namen prüfen. Die wissen genau, auf was sie achten müssen und welche Informationen wir brauchen. Es sind keine Übersetzer, sondern immer Menschen,
deren Muttersprache es ist und die in den Ländern leben. Nur so können wir auch erfahren, wie ein Name ausgesprochen, geschrieben und wahrgenommen wird.

Die rechtliche Prüfung folgt danach?

Eine rechtliche Prüfung ist separat von der sprachlichen Prüfung zu sehen. Das machen wir mit unseren Juristen in unserer eigenen Rechtsabteilung. Unsere Markenrechtler können jeden Namen prüfen und haben sich ein Netzwerk weiterer Juristen in anderen Ländern aufgebaut. Es gibt schließlich auch noch Länder, in denen es keinen Onlinezugriff gibt, wie zum Beispiel in manchen Teilen Afrikas. Also haben wir da feste Partner, die dann in die entsprechenden Ämter gehen und dort in den Karteikasten schauen, ob ein Name schon angemeldet ist. Es mag sehr retro klingen, aber natürlich gibt es das auch noch.

Wie viele Namen haben Sie schon kreiert?

Wir haben, glaube ich, 1 800 Namen, die im Markt sind. Dann viele, die gerade angemeldet sind. Und natürlich auch Namen, die schon wieder vom Markt weg sind, weil sich die Firma aufgelöst hat.

RWE hat gerade Innogy ins Leben gerufen. Muss oder sollte sich ein Traditionsunternehmen wie RWE einen neuen Namen in einer neuen Zeit gönnen?

Wir waren dort nicht involviert und haben nicht daran gearbeitet, aber grundsätzlich kann man sagen: Ein neuer Name signalisiert: Es geht um eine neue Unternehmensidentität. Er signalisiert einen Wandel oder sogar eine Änderung. Das war sicherlich eine Idee, die dahintersteht. Eigentlich ist eine komplette Namensänderung der letzte Schritt, den man wählt. Denn es ist ja immer eine 180-Grad-Drehung für alle Beteiligten – für die Mitarbeiter und vor allem für die Kunden. Alle müssen jetzt lernen, was Innogy ist, wofür es steht, und neues Vertrauen schöpfen.

Also würden Sie eigentlich nicht für eine komplette Namensänderung plädieren? 

Namen ändern ist immer eine schwierige Sache. Man muss dafür einen ganz guten Grund haben. Wir machen dann erst einmal eine Analyse des Marktes, um zu schauen, wie die Situation ist und was Vor- und Nachteile einer Änderung wären. Auch die Managementebenen müssen gefragt werden, genauso wie Mitarbeiter. Manchmal reicht es, wenn man den Namen leicht ändert oder den Claim, um einen Aufbruch zu signalisieren. Zum Beispiel hat „Friendscout“ sich vor Monaten in „Lovescout“ umbenannt. Also wurde nur ein Teil des Namens geändert, und das fanden wir gelungen.

Gibt es ein Erfolgsrezept für einen guten Namen, etwas, woran Sie sich immer halten?

Der Name darf nicht an einen Trend angelehnt sein. Das wäre schon einmal ganz schlecht. Es sollte immer ein Name sein, der 100 Prozent die Positionierung des Produktes widerspiegelt und der zukunftsfähig ist. Ein Name sollte sich nicht abnutzen, sondern seinen Reiz behalten.

Das scheint mir schwierig zu sein.

Ja, aber Namen, die wir vor zehn Jahren gemacht haben, sind auch heute noch gut. Wie zum Beispiel (VW) Touran oder (Toyota) Aygo oder (Müller) Froop.

Woran erkenne ich denn, dass ein Name schwach ist?

Es sind meistens Namen, die nicht auffallen. Wir haben zum Beispiel mal „Müller Drinks“ geändert. Die Fruchtsäfte auf Molkebasis von Müller sind jetzt in einer Trinkflasche und heißen „Müller Fructiv“. „Müller Drinks“ konnte sich keiner merken, weil der zu normal klang. „Fructiv“ bleibt eher hängen. Wörter, die zu nah an der Sprache sind und die man tagtäglich benutzt, sollten dann doch geändert werden.

Gibt es einen Namen, auf den Sie besonders stolz sind?

Das ist eine gute Frage. Das ist ein wenig wie Kinder bevorzugen. Da bin ich wirklich befangen. Es gibt immer Namen, bei denen man sich freut, dass sie international funktionieren.

Es wird aber doch bestimmt einen Namen geben, den Sie gerne erfunden hätten?

Ja. Ich hätte gerne den „Euro“ erfunden. Das hätte ich schon sehr gerne gemacht.


(Anm. d. Redaktion: Eigentlich sollte der „Euro“ „ECU“ heißen, als Abkürzung für „European Currency Unit“ – dies klang dem europäischen Rat zu technisch und unpersönlich. Wer den Namen Euro tatsächlich erfunden hat, ist nicht mehr genau zu ermitteln. Auch bei der Europäischen Zentralbank weiß man es nicht ganz genau.
Die Idee, Europas neue Währung Euro zu nennen, brachte allerdings der damalige Bundesfinanzminister Theo Waigel mit zu einer Tagung des Europäischen Rates am 15. und 16. Dezember 1995 in Madrid. Dort legte der Europäische Rat den Namen für die neue Währung dann fest. Der Begriff sollte regelkonform nur in der Einzahl verwendet werden.