Sprachportale auf dem Vormarsch

Sie sind günstig, 365 Tage im Jahr Tag und Nacht im Einsatz, erhöhen die Erreichbarkeit, senken Kosten und sind in den vergangenen Jahren immer intelligenter geworden: Sprachapplikationen. Immer mehr Unternehmen mit hohem Anrufvolumen setzen auf Automatisierung und Vorqualifizierung.

von Vera Hermes

Ist Billy vorrätig? In Birkenfurnier? Wo ist das nächste Einrichtungshaus? Kann ich dort mit der Kreditkarte bezahlen? Solche Fragen beantwortet bei Ikea Deutschland seit einem guten halben Jahr ein automatisiertes Sprachdialogsystem. Und das meistert eine ganz besondere Herausforderung, denn es muss neben Dialekten wie Bayerisch, Schwäbisch oder Sächsisch auch die schwedische Aussprache der Produktnamen auf Anhieb erkennen. Ikea investierte rund eine Million Euro in die neue Technologie.

Aus gutem Grund: Weil das Untenehmen in Deutschland kontinuierlich expandiert – 2008 wurden zwei neue Häuser eröffnet, 2009 folgt ein weiteres -, steigt das Anrufvolumen immer weiter an. Damit sank im vergangenen Jahr die Erreichbarkeit, und zugleich stiegen die Kosten für die Callcenter-Agenten. „Wir verzeichnen jedes Jahr mehr Kontakte. Das hat bei der Entscheidung geholfen, nicht immer mehr Stunden anzuhäufen, sondern einen Teil zu automatisieren“, sagt Hans Schauer, Manager Service Center bei Ikea Deutschland.

Schon früher unterhielt das Unternehmen eine einfache IVR-Applikation. IVR steht für Interactive Voice Response und umfasst die Einzelworterkennung und Tastatureingabe. Letztere ist für Kunden, die vom Handy anrufen – und das sind bei Ikea rund 20 Prozent -, unbequem und außerdem nicht mehr zeitgemäß.

Das neue Selfservice-Telefonportal ist schon jetzt auf dem besten Wege, sich zu amortisieren: Jährlich gehen rund drei Millionen Anrufe bei Ikea Deutschland ein, gut die Hälfte beantwortet mittlerweile „die Maschine“. Das sind zehn Prozent mehr als bei dem alten IVR-System.
„Selbst bei fünf bis acht Prozent ist die Investition akzeptabel“, sagt Hans Schauer. Reklamationen und Produktinformationen werden nach wie vor von Callcenter-Mitarbeitern bearbeitet – entlassen wurde wegen des neuen Sprachportals niemand.

Die Call-Zeit der Mitarbeiter zu reduzieren steht derzeit in Inhouse- wie Dienstleister-Callcentern im Mittelpunkt der Bemühungen.
Sprachapplikationen sind ein probates Mittel, Zeit zu sparen und somit Kosten zu senken. Große Unternehmen mit hohem Anrufaufkommen sind die Treiber der Entwicklung. Vorreiter sind die Branchen Telekommunikation, Informationstechnologie, Finanzdienstleistung und Tourismus.

Dr. Alexander Kozak, CEO des Callcenter-Dienstleisters Teleperformance Deutschland in Hamburg, bringt es auf den Punkt: „Je einfacher eine Dienstleistung, desto eher ist sie standardisierbar und somit automatisierbar.“ Automatisierte Vorqualifizierungen und ein Routing, also eine Weiterleitung, zu den jeweils kompetenten Agents zählen laut Kozak in professionellen Callcentern zum Standard.

So setzte beispielsweise die Sparda-Bank Hamburg schon Mitte der 90er-Jahre auf Automatisierung. Seit 2002 arbeitet die Bank mit einem natürlich-sprachlichen Voice-System. Statt Kontostände durchzugeben, telefonische Überweisungen abzuwickeln, über Öffnungszeiten zu informieren oder die Anrufer mit Ansprechpartnern in den Filialen zu verbinden, konzentrieren sich die Telefonberater dank der Automatisierung auf Beratung und Verkauf.

„Unser Sprachportal bedient pro Monat 25 000 Calls – das entlastet unsere Mitarbeiter“, sagt Jürgen Mehring, Prokurist und Leiter des Inhouse-Consulting bei der Sparda-Bank Hamburg. 50 000 Anrufe gehen jeden Monat bei der Sparda-Bank Hamburg ein, gut die Hälfte bedient die Maschine. Übrigens lässt das Bankhaus ganz im Sinne des Multichannel-Gedankens seinen Kunden die freie Wahl.

Wer nicht mit dem Sprachcomputer reden will (für 6 Cent pro Call), kann über eine gesonderte Rufnummer direkt mit einem Callcenter-Agenten sprechen (für 14 Cent pro Minute). Der Kunde goutiert’s: Die Sparda-Banken belegten 2008 im Bankenvergleich zum 16.
Mal in Folge Platz eins in der Kundenzufriedenheitsstudie „Kundenmonitor Deutschland“.

Als die Unicredit-Tochter HVB Direkt in München vor gut zwei Jahren mit ihrem – inzwischen preisgekrönten – Sprachdialogportal startete, rutschte die Kundenzufriedenheit erst einmal in den Keller. Viele Kunden wollten lieber wie gewohnt mit einem Bankberater statt mit einer Maschine sprechen. Inzwischen steigt die Akzeptanz des Sprachdialogportals kontinuierlich – wohl nicht nur, weil sich die Kunden daran gewöhnt haben, sondern auch, weil dank der Technik die Erreichbarkeit der HVB gestiegen ist. Fünf bis sechs Millionen Anrufe gehen jedes Jahr bei der Bank ein.

Jeder Anrufer landet zuallererst im Sprachportal; dort legitimiert er sich und wird dann je nach Anliegen und Kontomodell entweder direkt vom Computer bedient oder an einen Mitarbeiter weitergeleitet. Zuvor wird automatisch immer der aktuelle Kontostand durchgesagt, weil diese Information den Löwenanteil aller Anfragen ausmacht. Premiumkunden gelangen nach ihrer Legitimierung stets zu einem Berater.
Die rund 750 Callcenter-Mitarbeiter sind mit der Einführung des Sprachportals zu Outbound-Agenten qualifiziert worden.

Für Karsten Linz, Head of Communication Technologies bei HVB Direkt, steht fest: „Die Einführung hat sich für HVB kostenseitig und inzwischen auch in der Kundenakzeptanz gelohnt.“ „Es ist deutsche Mentalität, neue Technologien , die nicht reibungslos funktionieren, sehr kritisch zu beurteilen, was auch gut ist. Die Deutschen erwarten eine solide Technik“, sagt Tom Houwing.

Tom Houwing ist Director des Unternehmens Voiceandvision im niederländischen Maastricht, das unter anderem für das VUI-Design (VUI = Voice User Interface) des bislang größten Sprachportals in Deutschland verantwortlich ist: das der Deutschen Telekom. Die ersten Sprachapplikationen, die in den Jahren 2001 bis 2004 im deutschen Markt getestet wurden, waren noch nicht ausgereift, räumt Tom Houwing ein.

„Wir waren damals vielleicht etwas zu optimistisch.“ Seitdem sei die Technik sehr viel besser geworden: Sie verstehe heute komplette Sätze, und wenn jemand seine Telefonnummer mit „dreiunddreißig viermal die acht 109“ angebe, verstünden das 99 Prozent aller Sprachapplikationen richtig. Die Fortschritte in der Technik sind einem Perspektivenwechsel zu verdanken: Die IT-Spezialisten denken heute vom Nutzer und nicht vom Unternehmen aus. Kaum jemand sagt am Telefon „Ich möchte eine Störung melden“, sondern „Mein Internet funktioniert nicht“.

Wer will, dass der Mensch-Maschine-Dialog funktioniert, muss sich die Mühe machen, den Kunden genau zuzuhören, und die sich ergebenden Sprachvarianten und Dialogmöglichkeiten berücksichtigen. Um mehr Nähe herzustellen, arbeiten die Technikexperten mit Hochdruck an personalisierten Lösungen. So setzt zum Beispiel Freenet in Kiel für seinen technischen Support auf ein System, das nach der Authentifizierung des Kunden über 50 verschiedene Kundendaten in den angebundenen Backendsystemen abfragt, um adäquat auf den Anrufer reagieren zu können.

Diese Lösung brachte Freenet nicht nur den Gesamtsieg im Rennen um den Branchenpreis Voice Award 2008, sondern auch handfeste wirtschaftliche Vorteile: „Unsere Erwartungen wurden übererfüllt. 15 Prozent der Kundenanfragen im technischen Support werden heute vollautomatisiert beantwortet“, sagt André Schnack, Geschäftsleiter von Freenet Customer Care.

Automatisierung in Callcentern lohnt sich erst dann, wenn das Call-Volumen entsprechend groß ist. „Bei geringen Call-Aufkommen ist es besser, persönlich mit den Menschen zu sprechen. Generell ist ein Mensch-zu-Mensch-Dialog immer besser als eine Menschzu-Maschine-Interaktion“, sagt Tom Houwing. Allerdings sei die Telekom zum Beispiel sehr erfolgreich mit ihrem Sprachportal. Wer dort anruft, will eine schnelle und kompetente Erledigung seines Anliegens – wenn er also in der Hotline durch eine automatisierte Vorqualifizierung rasch an den richtigen Callcenter-Agenten gerät, ist ihm damit nur gedient.

Bei dem Bonner Konzern rufen jeden Monat Millionen Menschen an. Verkürzt das Sprachportal pro Anruf die Sprechzeit eines Callcenter-Mitarbeiters nur um 20 Sekunden, ergibt das in Summe eine enorme Zeit- und somit Kosteneinsparung – dabei handelt es sich hier um Vorqualifizierung und Routing, nicht um einen Selfservice. „Bei uns gehen Menschen ans Telefon. Und die Roboter gehen in den Ruhestand.“

Mit dieser Headline wirbt O2 in seiner Anfang März gestarteten Kampagne „O2 Service Offensive“. Die Botschaft: Bei Anruf der Hotline sprechen Kunden persönlich mit einem Kundenberater statt mit Sprachrobotern. Damit bedient O2 die noch weit verbreiteten Ressentiments der Deutschen gegen die Sprachtechnologie. Auf Nachfrage teilt O2-Pressesprecher Dr. Harald Maass mit, sämtliche automatischen Sprachmenüs seien abgeschaltet worden.

Umfragen hätten ergeben, dass sich Menschen lieber persönlich beraten ließen, statt mit Robotern zu sprechen. Das ist zumindest in Teilen eine Mogelpackung: Ruft man die auf der O2-Website angegebene Service-Rufnummer 01 79/5 52 22 an, gerät man sehr wohl an ein Sprachportal, das detailliert vorqualifiziert, bevor es an einen Mitarbeiter weiterleitet. Das geschieht auch bei der Wahl der auf der Werbeanzeige gedruckten Hotline.

Mag sein, dass O2 hier fein zwischen Vorqualifizierung und Selfservice differenziert – das Werbeversprechen ist aber dennoch gebrochen, denn es geht eben zunächst kein Mensch ans Telefon. Dabei nehmen es viele Kunden gar nicht übel, wenn sie mal mit einer „Maschine“ sprechen müssen. Ikea hatte vor dem Start seines neuen Sprachportals über 4 000 Family-Card-Inhaber gebeten, das Sprachsystem auf Herz und Nieren zu prüfen. Das Ergebnis, so Hans Schauer: „Wir sind viel kritischer herangegangen als unsere Kunden – die haben vieles lockerer gesehen.“