So funktioniert Dynamic Pricing bei der Online-Vermittlung von Fahrdiensten und Taxis

Dynamic Pricing ist die Anwendung von statistischem Lernen auf Preisoptimierung. Ziel sind Gewinn oder Erlös maximierende „optimale“ Preise. Der Schlüssel dazu ist die Schätzung der maximalen Zahlungsbereitschaft der Kunden. Eine Fallstudie zeigt, wie Dynamic Pricing bei der Online-Vermittlung von Fahrdiensten und Taxis funktioniert.

Ein Gastbeitrag von Philipp Bach (Universität Hamburg), Ye Luo ( University of Hong Kong) und Martin Spindler (Universität Hamburg)

Ursprünglich verwendete der Vermittler von Fahrdiensten (Ride-sharing) ein lineares Preissystem*. Der Preis hing von der zurückgelegten Strecke und zwei weiteren Faktoren ab. Im Rahmen des Projekts wurde ein nichtlineares, dynamisches Preissystem entwickelt, das eine Vielzahl von Variablen in die Preissetzung einbezieht.

Das optimale Preismodell finden

Bei der Entwicklung eines optimalen Preismodells gilt es, verschiedene Effekte im Hinblick auf die Auslastung der zur Verfügung stehenden Kapazitäten und der Erlösmaximierung gegeneinander abzuwägen: Zwar führen höhere Fahrpreise zu höheren Erlösen je Fahrt, allerdings nimmt gleichzeitig die Anzahl gebuchter Fahrten ab. Umgekehrt werden mit niedrigeren Preisen neue Kundensegmente angesprochen, wodurch eine höhere Auslastung erzielt würde. Um das richtige Verhältnis dieser Effekte zu ermitteln, muss die Nachfragefunktion – genauer gesagt: die Preiselastizität der Nachfrage – geschätzt werden. Die Schätzung der Nachfragefunktion ist der Kern für die Implementierung von Dynamic-Pricing-Systemen.

Schätzung der Nachfragefunktion

Die Schätzung der Nachfragefunktion ist eine kausale Fragestellung. Sie kann entweder durch randomisierte Experimente oder strukturelle Modellierung beantwortet werden, nicht aber durch klassische Vorhersagemethoden wie etwa Predictive oder Business Analytics, welche letztlich falsche Ergebnisse geben und zu falschen Entscheidungen führen. Momentan finden randomisierte Experimente große Anwendung bei Tech- und Internetunternehmen, da digitalisierte Prozesse dafür geradezu ideal sind. Im Zuge unseres Projektes war dies nicht möglich – es mussten gesammelte Daten aus der Vergangenheit verwendet werden. Das Grundproblem kausaler Inferenz ist folgendes: Es liegen nur Daten vor, die unter dem „alten“ Preismodell erhoben wurden. Es soll allerdings die Frage beantwortet werden, wie sich Konsumenten unter einem neuen Preismodell verhalten würden (sogenannte Counterfactual), für das keinerlei Transaktionen vorliegen. Um dies beantworten zu können, müssen weitere Annahmen getroffen werden und ein sogenanntes strukturelles Modell muss entwickelt werden.

Schätzung der Preiselastizität

Zur Schätzung der Preiselastizität der Nachfrage wurde zunächst ein ökonomisches Modell für die Entscheidung eines Kunden, ein sogenanntes Consumer-Choice-Model, aufgestellt: Ein Konsument entscheidet sich für die Buchung der Fahrt, wenn der in der App angezeigte Fahrpreis unter seiner maximalen Zahlungsbereitschaft liegt. Letztere wird in Abhängigkeit von zahlreichen Faktoren modelliert – unter anderem dem Wetter, der Lage von Abfahrts- und Zielort und der Tageszeit. Die Schätzung der maximalen Zahlungsbereitschaft profitiert dabei von der Qualität und Quantität der vorliegenden Transaktionsdaten. Erstens waren Informationen zu Buchungsanfragen verfügbar, bei denen der angezeigte Preis über dem Reservationspreis des Nutzers lag (sogenannte Bubbling-Daten), also der Nutzer trotz der Anfrage kein Taxi bestellt hat. Diese Daten sind höchst aufschlussreich, um eine maximale Zahlungsbereitschaft zu ermitteln. Zweitens wurde eine Vielzahl interner und externer Daten eingesetzt – insgesamt über 350 Variablen –, um die Zahlungsbereitschaft zu schätzen. Drittens ermöglichte eine hohe Anzahl an Beobachtungseinheiten eine genaue Schätzung mithilfe moderner Methoden aus dem Bereich des Deep Learnings.

Verhalten der Nutzer

Eine Herausforderung bei der Ermittlung des optimalen Preismodells lag in möglichem strategischem Verhalten der Nutzer: Liegt der Fahrpreis, der in der App angezeigt wird, über der eigenen Zahlungsbereitschaft, könnte ein Nutzer abwarten und zu einem späteren Zeitpunkt, wenn der Preis niedriger ist, buchen. Um diese Effekte in Betracht zu ziehen, wurden aufwendige Simulationsstudien durchgeführt und verschiedene Preismodelle miteinander verglichen.

Bei dem entwickelten Preissystem handelt es sich um ein nichtlineares Preissystem, bei dem eine Vielzahl von Faktoren den Preis bestimmt. Das führte zu einer Erlössteigerung aus den vermittelten Fahrten um circa 5 bis 15 Prozent pro Stadt, die mit einer überproportionalen Gewinnsteigerung einherging. Im Endergebnis führte die Einführung des Dynamic Pricings jedoch nicht nur zum Anstieg der Fahrpreise, sondern zu einer gleichzeitigen Steigerung der Auslastung. Nahezu die Hälfte der Fahrpreise wurde im Vergleich zum linearen Preismodell gesenkt und somit die Auslastung erhöht.

Im Zuge der Analyse ergaben sich interessante Abhängigkeiten der Zahlungsbereitschaften und – daraus resultierend – der Preise im Hinblick auf bestimmte Variablen: So hängt die maximale Zahlungsbereitschaft vom Abfahrts- und Ankunftsort ab, die nun in das Preismodell einfließen. Für Fahrten vom und ins Banken- und Geschäftsviertel sowie für Fahrten an den Stadtrand besteht eine relativ hohe Zahlungsbereitschaft. Dabei existiert eine gewisse geografische Variation: Die Preiselastizität fällt mit steigenden Preisen in entwicklungsschwachen Städten stärker ab als die Preiselastizität in sehr wirtschaftsstarken Städten. Auch die Uhrzeit, die Distanz und das Wetter beeinflussen die Zahlungsbereitschaft und fließen nun in die Ermittlung des Preises mit ein.

Beträchtliches Potenzial

Die Fallstudie macht deutlich, dass statistische Verfahren im Dynamic Pricing sinnvoll eingesetzt werden können, um nicht nur Erlöse und Gewinne, sondern auch Auslastung und Markteffizienz zu steigern. Der Einsatz von künstlicher Intelligenz (Deep-Learning-Methoden) und anderen maschinellen Lernmethoden (ML) garantiert allerdings noch keinen Erfolg. Erst die Kombination mit ökonomischer Theorie ermöglicht es, zu intelligenten Geschäftsentscheidungen zu kommen. Im Zuge der Analyse wurden zahlreiche Simulationsstudien und Plausibilitätsprüfungen durchgeführt, um mögliche kontraproduktive Effekte einzugrenzen und letztendlich auszuschließen. In Zukunft besteht ein beträchtliches Potenzial, künstliche Intelligenz im Kontext einer optimalen Preispolitik einzusetzen. Die Fallstudie kann als beispielhafte Anwendung der Kombination von statistischen und ökonomischen Methoden betrachtet werden. Reine Predictive oder Business Analytics liefern nur Scheinkorrelationen und führen letztlich zu falschen Entscheidungen.


Über die Autoren

Ye Luo ist Professor für Statistik und Ökonometrie an der University of Hong Kong. Mitbegründer von Economic AI.

Martin Spindler ist Professor für Statistik an der Universität Hamburg. Zusammen mit Prof. Ye Luo  gründete er
Economic AI, um Erkenntnisse aus AI und ML in der Praxis anzuwenden, siehe auch
economicai.com

Philipp Bach ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Statistik an der Universität Hamburg