Smarter Marketing, smarter Kommerz

Die fortschreitende Harmonisierung der Datenquellen und das Aufbrechen von vertikalen Silos ermöglichen eine neue, effizientere Kundenansprache und ein schneller agierendes und reagierendes Unternehmen. Theoretisch. In der Praxis gibt es gewaltige Stolperfallen bei der Umsetzung und mitunter heftige Verteilungskämpfe im Unternehmen.

Die Marketing-Broschüren der einschlägigen Unternehmen lesen sich vielversprechend. Anhand von Livedaten soll die nächste Online-Kampagne so stark personalisiert werden, dass der Kunde gar nicht mehr an ihr vorbei kommt. Anhand von Livedaten sieht der einzelne Supportmitarbeiter jeden einzelnen Kontaktpunkt, den der Anrufer mit einem Unternehmen hatte. Er weiß, wo ihn der Schuh drückt, kennt seine Vorlieben. Anhand von Livedaten und Tiefenanalysen verändert der Einkauf den Warenbestand tagesaktuell, um so auf die erwarteten Bestellungen der Kunden vorbereitet zu sein. Ein digitaler Blick in die Glaskugel.

Tatsächlich mag der Umgang mit Daten einer der größten Faktoren sein, die Unternehmen wie Zalando und Otto voneinander unterscheiden. Während Zalando um das Thema Tracking und um digitale Kommunikationskanäle herum gebaut wurde, musste Otto viele dieser Methoden mühevoll und teilweise schmerzlich implementieren. Zalando bestellte die grüne Wiese, Otto musste bestehenden Systeme ablösen oder ergänzen und somit den entsprechenden Stakeholdern an der Kompetenz kratzen. Widerstände sind da vorprogrammiert.

Die Praxis zeigt: Otto ist noch eines derjenigen traditionellen Unternehmen, denen der Wandel zu gelingen scheint. Sowohl Otto wie auch Zalando finden sich auf den Referenzlisten vieler Unternehmen wieder, die sich mit Datenerfassung und –verarbeitung beschäftigen. Vom Mousetracking bis zum Data-Warehouse.

Große Anforderung: Die Zunahme an Kanälen ist eine zentrale Herausforderung für Marketing und Vertrieb.

Der Kunde in Zahlen

Die Analysten von Forrester Research haben im Wesentlichen vier Innovationsfelder entdeckt, in denen sich Spreu und Weizen derzeit trennen.

1. Customer Experience Management

Die anspruchsvoller werdenden Kunden erwarten heute einen konsistenten Markenauftritt über alle Kanäle hinweg. Im Mittelpunkt des strategischen Ansatzes steht die Frage, was der Nutzer wann und wo tun möchte, und welche Daten er und das Unternehmen dafür benötigen. Ein Beispiel hierfür ist die stark personalisierte Werbeansprache im Onlinemarketing. Das gilt zum Beispiel für Formate die im RealTimeBidding-Verfahren verkauft werden. Hier handelt der Adserver – das System, dass das Werbebanner ausliefert – mit der Website des Publishers – zum Beispiel Spiegel.de – live einen Klickpreis aus, den der Werber zahlt. Für eine effiziente Schaltung muss dahinter ein mathematisches Modell für Klick- und Kaufwahrscheinlichkeit sitzen. Systeme, die das Optimum heraus holen wollen, schalten dann individualisierte Werbemittel, die Präzise zum User passen. Dass können Artikel aus einem begonnen Warenkorb sein, das so genannte Retargeting, oder Produkte, die in Verbindung mit seinem aktuellen Surf-Verhalten stehen, das so genannte Behavioral Targeting.

2. Single View

Kommt es zum direkten Kontakt zwischen Kunde und Unternehmen, so muss der jeweilige Mitarbeiter Zugriff auf die gesamte Kundenhistorie über alle Kanäle hinweg haben. Ansonsten muss er sich diese Informationen mühselig – für den Mitarbeiter und den Kunden – im Gespräch erneut beschaffen. Von den von Forrester befragten Unternehmen halten 57 Prozent das für die wichtigste Stärke der Unternehmensdatenverarbeitung.

3. Speed

Nicht zuletzt Social Media hat die Kunden an extrem kurze Reaktionszeiten gewöhnt. Da es schwierig und vor allem teuer ist, alle potentiellen Kanäle der Kundenkommunikation permanent besetzt zu halten, bedarf es intelligenter Alarm-Systeme, die in der Lage sind, Kunden und passende Mitarbeiter zu vernetzen. Dazu gehört, dass der Mitarbeiter in der Lage ist, auf dem gleichen Kanal zu antworten, über den die Anfrage herein kam.

4. Strategie

Geschwindigkeit ist eine wichtige Grunddisziplin, aber keineswegs die einzige. Forrester verlangt von den Unternehmen, dass sie die eigenen Business-Ziele mit den entsprechenden Kennzahlen in Einklang bringen. Ist das Businessziel eine gute Customer Experience, so sind Zufriedenheitsindikatoren wie der Net-Promoter-Score die richtige Kennzahl für die Erfolgsmessung. Geht´s um Kostenreduktion, dann richtet das Unternehmen sein Handeln an Effizienz-Indikatoren aus.

Die Verzahnung der Kanäle

Aus Sicht des OnlineMarketings gibt es eine Reihe von Möglichkeiten, die User von einem Kanal zum anderen zu schicken. So könnte es Teil einer Strategie sein, die Besucher im Onlineshop dazu zu bringen, eine Filiale aufzusuchen, um dort zusätzliche Spontankäufe auszulösen. Schuhhändler Görtz hat vor zwei Jahren gemeinsam mit Google einen Test durchgeführt, bei dem ein Gutschein sowohl im Netz als auch in der Filiale einsetzbar war. Überraschenderweise druckten sich rund ein Drittel aller Online-User den Gutschein aus und nahm ihn mit in den Laden. Dadurch, dass die Retourenquote wesentlich niedriger und die Warenkörbe in der Filiale höher waren, war der Umsatz beider Kanäle exakt gleich hoch.

Umgekehrt funktioniert das Prinzip genauso. Vor allem in Technikläden haben sich die Kunden angewöhnt, live Preise mittels Smartphone zu prüfen. Einer Studie von Comscore aus dem vergangenem Jahr zufolge nutzen vier von zehn Kunden ihren Onlinezugang direkt aus der Filiale heraus. Elektronikriese Mediamarkt inspirierte das Anfang Januar zu einer BestPrice-Kampagne. Nutzer, die auf der Preisvergleichsplattform Idealo.de einen günstigeren Preis für ein Produkt fanden, konnten diesen in der Mediamarkt-Filiale für sich reklamieren.

Auch Facebook nimmt als Verkaufstreiber allmählich Fahrt auf, und zwar sowohl in Richtung online als auch für den Einzelhandel. Der Software-Hersteller Baynote hat herausgefunden, dass rund 15 Prozent der Online-Weihnachtseinkäufe in den USA durch Facebook initiiert wurden. In die Läden schickte Facebook satte zwölf Prozent.

Neben Support und Marketing hat die Datenintegration größten Einfluss auf Handelsprozesse. Unternehmen, die Kanäle sinnvoll miteinander verbinden, können Mehrerlöse schöpfen, belegt eine Studie des IBM Business Instituts. Kunden, die über mehrere Kanäle bei einem Unternehmen kaufen, geben auf Customer Lifetime betrachtet das Vierfache aus im Vergleich zum Durchschnitt.

Das Smartphone wird nicht nur als Informationsmedium sondern auch als Kaufinstrument weiter zunehmen. Im US-Onlinehandel wurden bereits 20 Prozent aller Weihnachtsumsätze mobilen Geräten zugeschrieben. Vom zweiten Quartal 2011 zum zweiten Quartel 2012 hat sich der Umsatz auf Mobilgeräten fast verdoppelt.

Nicht nur die Kanalvielfalt erhöht sich, sondern auch deren Bedeutung. Das unterscheidet sich von Betrieb zu Betrieb und nur, wer selbst in der Lage ist zu messen und die Kanäle in ihrer Bedeutung zu bewerten, wird auf Dauer erfolgreich sein. Aus Sicht des Kunden kann die Verzahnung der Kanäle viele Vorteile bieten. Für ihn sind folgende Fragen relevant:

  • Kann ein Kunde Artikel online bestellen und in der Filiale abholen? Laut Metro-Holding gehen 40 Prozent der Umsätze von Saturn und Mediamarkt auf dieses Prinzip zurück.
  • Kann ein Kunde telefonisch bestellen und seine Bestellung danach online ändern beziehungsweise stornieren?
  • Kann ein Kunde im Geschäft bestellen und den Artikel nach Hause liefern lassen?
  • Kann der Mitarbeiter im Laden die Verfügbarkeit über einen anderen Channel sofort prüfen?
  • Kann der Mitarbeiter im Laden eine Bestellung aus der Filiale heraus für die Lieferung ausgelösen?
  • Kann der Mitarbeiter im Laden eine Lieferzusage machen, auch wenn der Artikel nicht im direkten Bestand ist?

Für jeden einzelnen dieser Schritte ist eine Verzahnung der Datensätze über die Kanäle hinweg nötig. Das gilt nicht nur im Frontend. Business-Intelligence-Lösungen ermitteln Prognosen über künftiges Bestellverhalten aus historischen eigenen und externen Daten und sind in der Lage, die Einkäufe und Lagerbestände präziser und dadurch kostengünstiger zu handhaben. So gibt beispielsweise die Otto-Gruppe an, dank einer neuen Software inzwischen fast 30 Prozent weniger Ware vorzuhalten. Die Software wird wöchentlich mit 300 Millionen Datensätzen gefüttert.

Babywalz: Das Smartphone dient Babywalz als Verbinder zwischen stationärem Handel und Online-Services.

Zeit für einen Wandel

Für die meisten Onlinehändler ist ein solches Projekt außer Reichweite. Glaubt man Axel Amthor, der mit seiner Firma Contentmetrics Unternehmen bei der Erfassung, Aufbereitung und Analyse der Kanaldaten berät, so scheitern die meisten Unternehmen bereits an den einfachsten Harmonisierungsversuchen. Das liegt weniger an technischen Gegebenheiten, als vielmehr an dem isolierten Kanaldenken der einzelnen Mitarbeiter, die sich mitunter dagegen sperren, mittels moderner Analyseverfahren gemessen und mit anderen Abteilungen oder Kanälen verglichen zu werden.

Als Beispiel zieht Amthor den QR-Code heran. Das, so der Münchner, sei ein wunderbares Mittel zur Verzahnung der Kanäle, denn hinter einem QR-Code lässt sich sowohl eine persönliche als auch eine kanalspezifische Identifikation verstecken. Mit minimalen Änderungen könnte man so differenzieren, ob ein User den Code aus einer Anzeige, von einem Plakat oder in der Filiale abgescannt hat und daraufhin den Weg auf die Website oder in den Onlineshop gefunden hat. In der Praxis führen die meisten QR-Codes auf Homepages oder einfache Produktseiten. Der User sieht im Tracking-System aus wie ein Nutzer, der die URL in die Adresszeile seines Browsers getippt hat. Der Grund für solche Mängel lege, so Amthor, wiederum in der Separation der Abteilungen. „Glauben Sie nicht, dass die Grafiker, die die Anzeige gestalten, zum Online-Marketing rübergehen, um sich einen Tracking-Code zu besorgen. Das interessiert die doch gar nicht“, sagt er.

Auch hier sind die Analysesysteme darauf angewiesen, dass der User sich selbst identifiziert oder freiwillig zu erkennen gibt, aus welchem Kanal er gekommen ist. Hier setzen zum Beispiel Unternehmen an, die mobiles Couponing anbieten. Anbieter, wie die Kölner Coupies, präsentieren die Identifikation als Gutscheincode auf dem Smartphone. In freudiger Erwartung der Rabatte, stellt der Kunde die Verbindung her, in dem er dem Kassierer in der Filiale den Code zeigt. Letzterer gibt ihn im Kassensystem ein.

Ähnlich funktionieren auch Bonussysteme wie Payback oder die DeutschlandCard von Arvato. Hier müssen Unternehmen schauen, ob die Zielgruppe, die solche Systeme am POS nutzt, auch online in Erscheinung tritt. Nur dann trägt ein solches System zu mehr Erkenntnis im Tracking bei.

Die große Herausforderung für Unternehmen liegt zunächst in der Definition klarer Ziele und der Einrichtung einer einheitlichen Tracking-Strategie, an der sich die Kanäle zu orientieren haben. Erst dann hilft die Analysesoftware wirklich dabei, mehr Ordnung in die verschlungenen Kundenpfade zu bringen. Von Big Data ist da noch lange nicht die Rede.

Media Markt: Mediamarkt sieht dem Feind ins Auge und fordert die Nutzer zum Preisvergleich auf.

Redakteur: Frank Puscher

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