Self-Scanning im Einzelhandel: Der mühsame Kampf gegen die Kassenschlangen

Die deutschen Verbraucher hassen Warteschlangen. Immer mehr Händler suchen deshalb nach Möglichkeiten, das ärgerliche Anstehen zu vermeiden. Eine große Rolle könnten dabei in Zukunft auch die Smartphones der Verbraucher spielen.
Bei Saturn in Hamburg können Kunden die Produkte direkt am Regal scannen. Später müssen sie nur noch bezahlen. (© Saturn)

Von Erich Reimann, dpa

Nichts ärgert die deutschen Verbraucher beim Einkaufen so sehr wie lange Schlangen an der Ladenkasse. Das zeigen Studien immer wieder. Kein Wunder, dass inzwischen immer mehr Händler nach Wegen suchen, das verhasste Anstehen zu vermeiden. Egal ob bei Rewe, Saturn oder Globus: Der Kampf gegen das Schlangestehen hat begonnen. Beispiel Rewe: In einem großen Einkaufscenter in Köln-Rodenkirchen bietet der Handelsriese den Kunden neuerdings die Möglichkeit, die Einkäufe direkt zu scannen, wenn sie sie in den Einkaufswagen legen. Entweder mit einem vom Laden zur Verfügung gestellten Scanner oder auch – nach dem Herunterladen der notwendigen App – mit dem eigenen Smartphone.

Beim Selbsttest funktioniert das Ganze schon im ersten Anlauf erstaunlich gut. Die Milchpackung, die Dosensuppe oder der Sprudel werden kurz vor das in eine Halterung am Einkaufswagen eingeklemmte Handy gehalten, der Strichcode gescannt und schon erscheint der Artikel in einer übersichtlichen Liste auf dem Handy-Display – einschließlich des Gesamtpreises der bisher eingescannten Ware. Am Ende des Einkaufs wird die Liste mit den eingekauften Produkten in Sekundenschnelle an die Selbstbedienungskasse übertragen und automatisch die Rechnung erstellt. Das langwierige Aus- und Einpacken an der Kasse entfällt. Einzige Voraussetzung, um das Angebot nutzen zu können: eine Payback-Karte.

Warteschlangen sind das größte Ärgernis beim Einkaufen

„Wir wollen die Warteschlangen an der Kasse reduzieren“, erklärt Rewe-Projektleiterin Julia Volks die Beweggründe des Händlers. Der Druck auf Rewe und die anderen Händler ist groß. Denn nach dem „Adyen Retail Report 2018“, einer repräsentativen Umfrage unter 1000 Konsumenten, empfinden 58 Prozent der Kunden Warteschlangen als größtes Ärgernis beim Shoppen. Fast zwei Drittel der Befragten gaben

sogar an, sie hätten wegen einer Warteschlange schon einmal ein Geschäft ohne einzukaufen verlassen – die Höchststrafe für Händler.

Allein ist Deutschlands zweitgrößter Lebensmittelhändler mit seinem Vorstoß deshalb auch nicht. Ob Edeka, Saturn oder Globus – immer mehr Händler suchen im Zeitalter des mühelosen Online-Shoppings nach einer Zauberformel gegen die ärgerlichen Kassenschlangen.

Die Elektronikkette Saturn etwa bietet seit Ende vergangenen Jahres den Kunden in ihrer größten Filiale in der Hamburger Innenstadt die Möglichkeit, die mehr als 100.000 Produkte direkt am Regal zu kaufen und per Kreditkarte oder etwa Paypal zu bezahlen. Zwar muss der Kunde dann doch noch an einen Schalter, um die mit dem Smartphone gescannte Ware freischalten zu lassen, damit er die Filiale unbehelligt verlassen kann. Dennoch ist das Angebot laut Saturn beliebt. „Es läuft sehr gut“, fasste eine Saturn-Sprecherin die ersten Erfahrungen zusammen. Deshalb habe das Unternehmen den ursprünglich auf drei Monate begrenzten Versuch inzwischen noch einmal um drei Monate verlängert. Rewe will sich sogar ein Jahr Zeit für sein Pilotprojekt nehmen.

Der Konkurrent Globus ist über das Versuchsstadium längst hinaus. In 30 der 47 großen Einkaufsmärkte der Marke in Deutschland können die Kunden die Ware inzwischen selbst mit einem Scanner erfassen, bevor sie sie in den Einkaufswagen legen und am Ende an einer Bezahlstation den automatisch errechneten Betrag bezahlen. „Lange Schlangen an der Supermarktkasse gehören mit dem neuen Bezahlsystem von Globus der Vergangenheit an“, wirbt der Händler auf seiner Website. Das System werde sehr gut angenommen und solle noch weiter ausgerollt werden, sagte kürzlich eine Firmensprecherin in St. Wendel.

Vorreiter waren Ikea und Real

Klar ist: Der Trend zum Selber-Einscannen gewinnt in Deutschland allmählich an Fahrt. Das Scannen direkt beim Einkauf ist zwar noch die Ausnahme, doch finden Selbstbedienungskassen, an denen der Kunde die Waren nach dem Einkauf selbst erfasst, inzwischen immer mehr Verbreitung. „Ende diesen Jahres wird es wahrscheinlich schon 800 bis 1000 Läden in Deutschland geben, die das anbieten“, schätzt Frank Horst vom Kölner Handelsforschungsinstitut EHI. „Das bedeutet fast eine Verdoppelung innerhalb von zwei Jahren.“ Vorreiter waren hier Ikea und Real.

Die Selbstbedienungskassen seien vor allem bei Kunden mit kleineren Einkäufen beliebt, die mit zwei oder drei Teilen nicht in der Schlange stehen wollten, weiß Rewe-Expertin Volks. Das Self-Scanning unmittelbar während des Einkaufens werde dagegen mehr bei großen Einkäufen genutzt. Im internationalen Vergleich ist Deutschland beim Thema Self-Scanning allerdings ein Nachzügler. Und das liegt wohl auch an den

Verbrauchern selbst. Viele Konsumenten fremdeln noch im Umgang mit den ungewohnten Geräten und stellen sich am Ende doch oft lieber in die verhasste Warteschlange.

Selbst die mit großem Aufwand ausgerollten Pilotprojekte von Rewe und Saturn finden bislang nur begrenzten Anklang. Zum Wochenende hin werde die Möglichkeit zum mobilen Scannen im Kölner Rewe-Center von rund 100 Kunden pro Tag genutzt, in der Woche seien es weniger, heißt es bei dem Händler. Ähnliche Zahlen nennt Saturn. Ein Rewe-Sprecher bewertet die Lage denn auch diplomatisch: „Technisch geht mittlerweile vieles. Der Kunde muss es nur annehmen.“