Schon viel besser, Ikea!

Da ist sie, die neue Ikea-App. Und siehe da, man hat aus den letztjährigen Fehlern gelernt. Die digitale Katalogverlängerung macht Spaß, zeigt aber noch einige Kinderkrankheiten.

Von Frank Puscher

Wer gerne nörgelt, muss auch loben können. Und das tue ich jetzt mal, OBWOHL sich letzte Woche sofort nach Erscheinen der Kolumne das Ikea-Marketing nicht mit mir, sondern mit dem Verlag in Verbindung gesetzt hat. Liebes Ikea-Marketing, wie wäre es mit einem Kommentar zur Kolumne, dann könnt Ihr, ich und die Leser in einen Dialog treten. So Social-Media-mäßig.

Also, nun zum Lob. Die App ist da und sie funktioniert ganz gut. Ich habe folgendes Testszenario gewählt:

Testperson 1: Journalistisches Urgestein, Ikea-Kunde von Anfang an, digitaler Aufsteiger aus den Niederungen analogen Siechtums, Sony Xperia Ray Mittelklasse-Smartphone mit Android 4.0.4.

Testperson 2: Aufmüpfiger Teenager, kennt Ikea im Wesentlichen aus dem Smaland, digitaler Eingeborener, iPod Touch 4, iOS 6.

Wie ich finde, ein durchaus respektabler Querschnitt. Beiderseits gibt es keine unnötigen Vorurteile gegen Ikea. Im Gegenteil: Wir lieben HotDogs.

Da uns die gedruckte Fassung des deutschen Katalogs nicht vorliegt, haben wir eine PDF-Version des amerikanischen Machwerks zum Scannen benutzt. Da das Scannen von QR-Codes vom Bildschirm in der Regel schlechter funktioniert als von Papier, bekommt Ikea hier volle Punktzahl. Das Scannen vom PDF ging gut.

Es gibt fünf Medientypen die aus dem Netz abgerufen werden können. Bildergalerien – Kommentar des Teenagers: „langweilig, das ist ja wie im Katalog“, Videos – hier fiel das Urteil gemischt aus. Lustig animierte Image-Videos konnten die Aufmerksamkeit nicht binden, Erklär- und Hintergrundfilme schon. Dann gibt es Verschiebebilder. Hier darf der Nutzer mit einem Schieberegler die Dichte der Ausstattung oder die Breite des Raums verändern. Das fanden beide Probanden ganz nett. Des Weiteren kann man 360-Grad-Panoramen ansehen. Hier waren sich die Tester uneins. Das Urgestein konnte keinen Mehrwert darin erkennen, der Teenager drehte sich fröhlich im Kreis und jauchzte.

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Das Imagevideo ist nett anzuschauen, aber überflüssig.

Das Highlight aber ist der 3D-Positionierer. 85 Möbelstücke kann man vor das eigene Kamerabild montieren, also virtuell im Raum positionieren. Wir verbrachten fast eine Stunde mit Rumspielen. Zuerst haben wir den Couchtisch ersetzt, dann wollten wir den kleinen Bruder auf einen virtuellen Sessel setzen und schließlich haben wir mitten auf die Straße vor unserem Haus ein veritables Bett gestellt, ohne dass es die Taxifahrer gestört hätte.

Die Bedienung des Tools ist etwas hakelig. Zwar gibt es ein schönes Tutorial am Anfang, welches man beim zweiten Anlauf gerne überspringen würde aber nicht kann – außerdem verfügt die App über ein Screenshot-Werkzeug samt Button. Doch die Positionierung der Möbel will gelernt sein. Sie reagiert mit Verzögerung auf die Fingereingabe und will offenbar auch den Neigungswinkel der Kamera mitberechnen. Das führte hüben wie drüben zu regelmäßigen Ausrufen wie: „Huch, jetzt ist es weg!“.

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Das Tutorial für die 3D-Platzierung ist gut gemacht, sollte aber abschaltbar sein.

Positiv zu erwähnen ist auch, dass man keinen Katalog laden muss, um die App zu nutzen. Das ist vielleicht der größte erkennbare Lerneffekt aus letztem Jahr inklusive der Tatsache, dass an mehreren Stellen deutlich darauf hingewiesen wird, dass man eine schnelle Online-Verbindung braucht. Verbesserungsvorschlag: Nennt Ross und Reiter und schreibt: „WLan oder UMTS+Flatrate“.

Leider bleibt aber auch die neue App nicht ohne Kritikpunkte. Auf beiden Betriebssystemen stürzt das Ding andauernd ab. Bei iOS kann sie einfach neu gestartet werden, bei Android fraß sie sich zweimal so fest, dass sie neu installiert werden musste. Das geht gar nicht! Auch im laufenden Betrieb frisst die App so viel Ressourcen, dass die Eingaben nur mit Verzögerung erkannt werden. Das führt zwangsläufig zu Bedienungsfehlern. Da gibt es eine Reihe von Einrichtungs-Apps, die die AR-Funktion schlanker programmiert haben.

Auch in Sachen Interface/Usability hat zumindest die US-Version nur die Hälfte des Weges absolviert. Die Call-to-actions am äußeren Seitenrand des Katalogs sind winzig und verraten nichts über die Medien, die da online verlinkt sind. Warum benutzt man hierfür nicht einfach die Icons, die die App nach dem Scan anzeigt? Weil der Katalog dadurch hässlicher würde? Wohl kaum.

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Selbst an Schattenwürfe haben die Designer der 3D-Platzierung gedacht.

Was einen zur Frage führt, warum man das Scannen und den Katalog überhaupt braucht. Wie wäre es mit einem Button in der App, der die 3D-Platzierung einfach startet. Am Fuß der Anwendung sind eh alle platzierbaren Produkte zu sehen. Den Katalog braucht es dafür nicht. Den braucht man höchstens zur Inspiration.

Für meinen Teenager und mich – die übrigens gerade mitten in der Umzugsplanung stecken – steht fest: 3D-Möbelpositionierung ist echt cool. Bitte, liebes Ikea,

  • macht schnell ein Code-Update, der die Software vor dem Absturz bewahrt,
  • verzichtet auf die komplexe Lageerkennung und lasst den User einfach selbst das Möbelstück in den richtigen Winkel rücken,
  • baut einen direkten Startlink in die App, der auch das Tutorial überspringt und
  • packt alle Möbel und Accessoires rein. Es ist sehr ärgerlich, wenn man das ganze Download-Gedöns macht und dann seinen Ivar nicht virtuell einrichten kann.

Und zu guter Letzt hatte der Teenager noch eine veritable Innovation im Köcher. Wie wär’s mit einer Funktion, die es erlaubt, die eigenen vier Wände zu fotografieren und in einen echten 3D-Online-Planer zu übertragen. Für Küchen gibt es so was ja schon, aber da geht es ja nur um rechteckige Klötzchen.

Bis zum nächsten Jahr auf einen kleinen Urlaub in Schweden.