Raffiniertes Pricing verlangt Kreativität

Warum kostet ein Anzug am Samstagnachmittag genauso viel wie am Dienstagvormittag? Oder warum sind Freitagabend viele Sitzplätze auf Inlandsflügen leer, die Autobahnen aber voll? Eine Antwort: Unternehmen sind im Pricing nicht kreativ genug.

Unternehmen fokussieren sich zu sehr auf das Preisniveau. Dabei lässt sich über eine intelligentere Struktur vieles erreichen, ohne hart erkämpfte Preispositionen leichtfertig aufs Spiel zu setzen.
Hier gilt: Nicht alles muss neu erfunden werden. Beispiele aus den USA geben uns wertvolle Denkanstöße, wie in konjunkturell schwächeren Zeiten Erfolge erzielt werden können. In Sachen Pricing-Tricks können deutsche Unternehmen noch einiges von den Amerikanern lernen:

  • Early Bird-Angebote
  • Zero-Financing / Interest-free
  • Family Plans
  • Mail-in Rebates
  • Coupons

Early Bird-Angebote – oder wie man kaufwillige Kunden in nachfrageschwächere Zeiten lenkt

Möglicherweise hat sich schon so mancher samstags geärgert, weil sie oder er ein Kostüm oder Anzug wegen Überfüllung schlichtweg nicht kaufen konnte. Dienstagmorgen stehen dann die gleichen Verkäufer, die am Samstagnachmittag noch völlig überlastet waren, untätig in leeren Räumen herum. Warum? Vordergründig, weil wir kein konsumentenfreundliches Ladenschlussgesetz haben. Tatsächlich, weil Unternehmen in Sachen Preis nicht kreativ genug sind. Wieso nicht den „verhinderten“ Umsatz vom Samstag teilweise in den vermeintlich unattraktiven Vormittag in der Woche lenken? Zeitbasierte Preis-Differenzierung heißt das Stichwort. In den USA ist das weit verbreitet.

Permanent – zu erfahrungsgemäß umsatzschwachen Zeiten – oder auch an besonders umsatzträchtigen Tagen kann es sich lohnen, die Preise zu differenzieren. Beispielsweise zu Beginn der Weihnachts-Shopping-Saison. Ein Tag nach Thanksgiving, dem traditionell umsatzstärksten Tag des Einzelhandels, warten spezielle Rabatte auf Käufer vor 10:00 Uhr. So offeriert der Elektronik-Retailer Bestbuy mobile CD-Player von Panasonic für „Early Birds“ schon für 29 US-$ statt der bereits rabattierten 34 US-$. Kunden bekommen so selbst an Tagen mit hoher Nachfrage niedrige Preise. Darüber erreichen Anbieter eine gleichmäßigere Auslastung und verringern das Risiko, dass Kunden aufgrund von Überfüllung weniger oder gar nicht kaufen.
Verbreitet ist dies auch bei Restaurants. An schwachen Tagen kann man Rabatte geben – an starken Tagen Aufschläge zu nehmen ist hingegen gefährlich.

Zero-Financing und Upfront Pay Back

Gerade in konjunkturschwachen Zeiten sind Interessenten nur schwer zum Kauf langlebiger Konsumgüter zu bewegen. Den Kunden neben dem Produkt auch das Geld dafür zu liefern, ist die Idee der im B2B-Bereich weit verbreiteten Absatzfinanzierung. Gerade bei zahlungsschwachen, aber nachfragestarken Kunden ist Auftragsfinanzierung ein absolutes Muss.
Im B2C-Bereich kennen wir dieses Instrument meist nur vom Autokauf. In den USA gehen Anbieter seit längerem bereits einen Schritt weiter. Zero Financing heißt das Stichwort. Der Kunde zahlt – zumindest in seiner Wahrnehmung – gar keine Zinsen.

GM ging voran, Ford und Chrysler folgten. Der First Mover-Vorteil für GM war ein unglaublicher Marktanteilsgewinn von zwei Prozent im September 2001! Als Reaktion darauf gingen manche japanischen Hersteller noch weiter. Sie boten zusätzlich eine Upfront-Cash-Prämie. Diese „Abnahmeprämie“ gibt es in Deutschland zwar auch, für gewöhnlich aber nur unter der Hand: vom Versicherungsvertreter beim Abschluss einer Lebensversicherung.
Die Idee ist bei weitem nicht auf Autos beschränkt. So bietet die Optiker-Kette Lenscrafters an, Brillen erst nach 6 Monaten zu bezahlen: „6 months same as cash“. Bei anderen Produkten wird die erste Rate erst in einem halben Jahr fällig. „Wünsche heute erfüllen, morgen zahlen“ ist das gemeinsame Motto dieser Finanzierungsinnovationen, die auch in Deutschland zunehmen.

Family Plans

Amerikanische Telekommunikations-Anbieter liefern hierfür ein gutes Beispiel. Kinder und Jugendliche stellen insbesondere im Mobilfunk und Internet eines der kommunikationsfreudigsten Segmente dar. Die eigenen finanziellen Mittel sind dagegen meist noch begrenzt. Family-Plans bieten den Anbietern Forderungssicherheit, den Eltern mobile Erreichbarkeit ihrer Kinder und den Kids Zugang zur Kommunikationswelt. Quasi eine Win-Win-Win-Situation. „Buy 1 get up to 3 free Nokias“ ist beispielsweise der Einstieg zum Family Share Plan von Verizon. Die ganze Familie telefoniert auf eine Rechnung. Der Anbieter bekommt mehr und sichereren Umsatz. Auch wenn dieses Instrument stark auf die in den USA bedeutendere Schulden-Problematik abzielt, spricht nichts gegen eine Übertragbarkeit auf deutsche Verhältnisse.

Coupons

Die Idee ist die gleiche wie bei der altbekannten Rabattmarke – sie wird aber intelligenter und umfassender eingesetzt: Allein in den USA gibt es 240 Milliarden Coupons (asw, 9/2002, S. 63). So bietet die Supermarktkette Star/Shaw´s auf der Rückseite ihrer Kassenbons – teilweise individualisierte – Coupons an. Aufgrund bestehender Kundendaten werden spezifische Angebote gemacht: sowohl für Produkte des Supermarktes als auch für Leistungen anderer Anbieter.
Während klassische Rabattmarken eher auf sehr preisbewusste Gruppen zielen, lässt die intelligente Verbindung von Kundendaten und Angeboten auch kaufkraftstärkere Segmente erreichen. Was spricht dagegen, beispielsweise beruflich Vielfliegenden und gleichzeitig privat Vielfahrerenden – speziell Wochenendpendlern – gezielt und kurzfristig Restplatz-Angebote zu machen? Beispielsweise 50 € Rabatt für „Umsteiger“ vom Auto auf das Flugzeug. Intelligent eingesetzte „Rabattmarken“ halten das Preisgefüge konstant, steigern jedoch die Auslastung und damit den Gewinn.

Mail-in Rebate

Amerikanische Einzelhandelsunternehmen bewerben Produkte mit stark rabattierten Preisen. An der Kasse zahlt der Kunde jedoch zunächst den vollen Preis. Den beworbenen Preis realisiert er erst, wenn er einen Teil der Verpackung eingeschickt hat. Etwa acht Wochen später geht dann der Preisnachlass per Scheck ein. Dies ist keineswegs auf Ladenhüter beschränkt. So bot der Elektronikhändler Bestbuy auf den Compaq Ipaq Pocket PC 3765 einen Mail-in Rebate von 150 US-$. Erfahrungsgemäß sendet jedoch nur ein geringer Teil der Kunden den Coupon wirklich ein. Auch in diesem Fall ist der Rabatt sein Geld wert, denn der Anbieter kann sicher sein, die korrekten Kundenstammdaten für weitere Aktionen zu erhalten.

Gewiss, nicht jede der dargestellten Maßnahmen ist für alle Produkte und Segmente gleichermaßen geeignet. Allen gemeinsam ist jedoch der innovative und intelligente Angang zur Gewinnung von Kunden, ohne erarbeitete Preispositionen im regulären Geschäft aufs Spiel zu setzen. Manches Beispiel aus Europa zeigt jedoch auch, dass Maßnahmen zur Nachfragebelebung Gewinne weiter belasten können.

  • Ein Fähr-Unternehmen versuchte durch niedrige Nebensaison-Preise in den Monaten Januar und Februar Privatreisende anzulocken. Faktisch wurden aber Deckungsbeiträge bei Geschäftskunden gesenkt, da in dieser Zeit trotz niedriger Preise kaum Privatreisen unternommen werden.

  • Eine große europäische Luftfahrtgesellschaft versuchte während der neunziger Jahre, die insbesondere montags bis donnerstags sehr ungleiche Nachfrage zwischen vollen Abend- und leeren Mittagsflügen zu glätten. Dies sollte durch signifikante Preisnachlässe bei den Mittagsangeboten erreicht werden. Faktisch hat sich dadurch jedoch die Nachfrage kaum verschoben, da die überwiegend geschäftlich Reisenden nur minimal preiselastisch reagieren.

Die Beispiele verdeutlichen, dass raffiniertes Pricing vor allem von einer zielgerichteten Analyse und Umsetzung abhängt. Die Frage ist: „Welche Preisstrukturmaßnahmen passen optimal auf das eigene Business?“ Danach erst gilt es, das Preisniveau im Einklang mit dem originären Ziel (Kunden-, Umsatz- oder Profitwachstum) zu testen und festzulegen. Das Ganze ist dabei kein einmaliger Prozess:
Eine konsequente Effektivitäts- und Effizienzkontrolle kann die Basis für einen dauerhaften Preis- und damit Wettbewerbsvorsprung bilden. Der notwendige Prozess des Umdenkens und Umsetzens setzt branchenübergreifendes, internationales Management- und Benchmarking-Know-How voraus.
Gebündelt verfügen darüber meist nur wenige Pricing-Spezialisten.


Autor: Dr. Ekkehard Stadie, Director bei Simon-Kucher & Partners, Bonn und für den Bereich Telecommunications verantwortlich.
estadie@simon-kucher.com
eingestellt am 20. Februar 2003