Nicht mehr ohne meine Konsumenten

Windows 8 ohne Startknopf, Apples erste Version des eigenen Kartendienstes, die Kartoffeln im Glas von Pfanni – selbst erfahrene Markenhersteller sind vor Produktflops nicht gefeit. Und Flops sind keineswegs eine Randerscheinung, immerhin schlagen rund 70 Prozent der Innovationen fehl. Neben konzeptionellen Fehlern bei der Produktentwicklung drohen auch in der Kommunikation Fallstricke, immer wieder machen etwa die Studien der Agentur Endmark Furore, bei denen die Befragten die Werbebotschaften bekannter Marken aufs Lustigste missverstehen. Was weniger lustige Folgen für das werbende Unternehmen hat. Den Königsweg aus diesen Schwierigkeiten soll der Verbraucher selbst weisen. Immer intensiver wollen die Hersteller ihre Konsumenten in ihre Strategien einbinden. Marktforscher helfen dabei.

„Wir sind gut beraten, wenn wir die Menschen mitten ins Herz der Werbung stellen“ – so begründete Andy Hart, Vice President Advertising and Online bei Microsoft, gegenüber dem Fachblatt Marketing Week, warum der Technologieriese Anzeigenformate von Kunden mitentwickeln lässt. Ansonsten drohe die totale Ignoranz von Werbung. Microsoft ist mit einem solchen Ansatz natürlich nicht allein, auch andere Unternehmen bauen auf die Kompetenzen ihrer Konsumenten. So hatte Mercedes USA schon vor zehn Jahren mit einer Print-Kampagne Furore gemacht, die Schnappschüsse von Autobesitzern verwendete, statt die üblichen schicken Motive auf gewundenen Küstenstraßen zu zeigen. Und auf der gleichnamigen Website des „Lovemarks“-Initiators und Saatchi-CEO Kevin Roberts sind inzwischen tausende selbstgemachter Werbetexte und Videospots zu sehen. Doch mit dem Einsammeln von Verbraucherideen ist nur die halbe Arbeit getan, wie der Blick auf konsumentenorientierte Konzepte bei den Werbewirkungsforschern von Ipsos ASI zeigt.

Das fängt schon damit an, dass die Forscher nicht erst auf die Werbung warten, um sich mit Wirkung zu beschäftigen. Vor allem wenn große Vorhaben wie der komplette Neustart einer Marke anstehen, richten die Ipsos-Experten früh den Blick auf ganz grundsätzliche Bedürfnisse. Shaun Dix, Chef von Ipsos ASI Deutschland: „Uns geht es hier zuerst um den ,fundamental insight‘, ich muss etwas finden, das den Konsumenten wirklich bewegt, ihm aus dem Herzen spricht.“ Das hat dann für die Marktforscher erst einmal gar nichts mit der Marke oder dem Unternehmen zu tun. Ein Beispiel: Wer Hunger verspürt, kann sich nicht konzentrieren, steht neben sich, muss erst einmal etwas essen. So manch einer ist dann wirklich ungenießbar, will das aber seinen Mitmenschen nicht zumuten – ein fundamentales Bedürfnis. „Du bist nicht du selbst, wenn du hungrig bist“ – so lautet folgerichtig der Claim der aktuellen Snickers-Kampagne, die genau auf diesem Insight aufbaut.

Kette von Instrumenten

Der Blick auf den „fundamental insight“ ist Teil des ersten Bausteins einer ganzen Kette von Instrumenten, mit denen Ipsos die Entwicklung einer Kampagne begleitet. In allen Phasen der Kampagne spielen Konsumenten eine zentrale Rolle, in allen Phasen – von der strategischen Entwicklung, über Kreation, Pretest, Realisierung bis zur Überprüfung in der Marktrealität – sorgen die Marktforscher von Ipsos mit ihrem Methodenmix dafür, dass klar ist, was die Konsumenten denken.

Neben dem „fundamental insight“ gehört auch „Big Idea“ zum Angebot für die erste Phase der Kampagnenentwicklung. Beides zusammen ist, so Dix, „wie der Grundstock eines Hauses – wenn diese Basis stimmt, dann kann man darauf aufbauen, stimmt sie nicht, gibt es später Schwierigkeiten.“ Entsprechend intensiv ist diese erste Phase, bei dem Ipsos alle relevanten Kräfte zusammenholt. Dix: „In diesem ,Hot House‘, wie wir das nennen, sind die Marketer unseres Kunden, die Werbeagenturen, Konsumenten und natürlich wir, die Mafo.“ Ziel sei es, tragfähige Ideen für die Kommunikation zu entwickeln. „Finden wir Ideen, die stark genug sind, um Relevanz zu schaffen, um die zentralen Bedürfnisse einzulösen?“

Entwicklungsfähige Konzepte

Im Big Idea-Prozess legen die Ipsos-Werbewirkungsforscher viel Wert darauf, dass es darum geht, entwicklungsfähige Konzepte zu entdecken und zu pflegen. Dix: „Unsere Daten, die wir dem Hot House-Team aus der Forschung bereitstellen, dienen dazu, die zarten und noch fragilen Pflanzen zu identifizieren und mit Nährstoffen zu versorgen, damit sie in die richtige Richtung wachsen können. Wir verstehen uns als Partner der Kunden und der Agenturen und helfen mit unserem Input, erfolgversprechende Ansätze zu identifizieren, bevor viel Geld für die Umsetzung ausgegeben wird.“

Natürlich hört auch bei der Kreation selbst der Einfluss des Konsumenten nicht auf. In den Ipsos Ad Labs, dem Instrument, das in der Phase nach der Big Idea folgt, stellen die Forscher die kreativen Outputs der Agenturen auf den Prüfstand – was funktioniert, was kommt nicht an beim Verbraucher. „Dabei können wir ganz flexibel reagieren“, sagt Dix, „und schnell mal etwa ein Storyboard testen, damit die Entwicklung dann weiter gehen kann.“

Verzahnung mit Agenturen

Aber funktioniert denn an dieser prekären Schnittstelle kreativer Arbeit die Verzahnung mit den Agenturen? „Vor zehn Jahren wäre das vielleicht schwierig gewesen, aber mittlerweile sind sich Marktforschung und Werber näher gekommen“, sagt Dix. Beide hätten sich bewegt, die Forscher setzen nicht mehr nur auf Zahlen, die Werber wiederum wüssten, wie schwer es ist, Geschichten zu finden, die wirklich differenzieren.

Dank Tools wie Big Idea und Ad Lab wird schon vor der eigentlichen Werbemittelproduktion verhindert, dass die Kommunikation den Konsumenten aus dem Auge verliert. Gleichwohl machen die Ipsos-Forscher auch danach immer wieder die Probe aufs Exempel, so gibt es natürlich Pretest-Tools für fertige Spots oder Anzeigenserien – und wenn dann die Kommunikation on air ist, wird die Wirkung weiterverfolgt. Logisch, dass auch an diesen klassischen Stellen enge Tuchfühlung mit dem Konsumenten gehalten wird.

Nutzen von Smartphone-Technik

Seit vergangenem Jahr hilft überdies Smartphone-Technik, noch näher an die Lebenswelt der Verbraucher zu rücken. „Das ist sehr spannend, weil wir so viel näher als mit üblichen Methoden an die Touchpoints der Marke kommen“, betont Dix. „Brand Shout“ heißt das Tool, eingesetzt unter anderem für einen Pitch in Großbritannien, bei dem Ipsos die Kommunikation über Spirituosen in Bars und Clubs mit der in anderen Situationen vergleichen wollte. An einem Wochenende Anfang Februar in 18 britischen Städten ließ sich beim Panel aus rund 400 Smartphone-Nutzern zum Beispiel zeigen, welche Marken am präsentesten waren – im Einzelhandel, in Bars oder Clubs, in der Außenwerbung, in der Kommunikation mit Freunden.

Diese Nähe zum Verbraucher am Touchpoint mit der Marke lockt: „Für einen Kunden aus dem Retailbereich haben wir gerade in Europa drei Befragungs-Wellen mit Brand Shout hinter uns. Dabei konnten wir wertvolle Erkenntnisse für unseren Kunden gewinnen“, erläutert Dix. „Der Vorteil: Es ist eine relativ einfache und sehr schnelle Methode. Und, noch wichtiger: Wir haben hier Marktforschung ,in the moment‘, wir bekommen Reaktionen ganz direkt auf Marketingmaßnahmen, ohne Verzögerungen oder Verzerrungen, denn die Probanden reagieren sofort. Bei klassischen Befragungen müssen sie sich ja erst noch erinnern oder sie sitzen in einer nachgestellten Situation.“

Suche nach zündender Idee

Dix will aber darin nur einen weiteren guten Kanal sehen, um die Verbraucher dort zu erreichen, wo sie Kontakt mit der Marke haben, um besseres Verständnis für die Konsumenten zu entwickeln. Das liefere dann auch bessere Voraussetzungen für die Suche nach einer zündenden Idee. Die bleibe nach wie vor der Schlüssel für wirkungsvolle Kommunikation. „Creativity is king“, sagt Dix. „In unserem Unternehmen sehen wir das schon lange so – die kreative Qualität ist sogar wichtiger als der Werbedruck.“

Da ist sich Dix einig mit Marc Pritchard, Global Brand Building Officer bei Proctor & Gamble. Der hatte auf der Kölner dmexco im Herbst mit der Aussage „Digital Marketing ist dead“ Aufmerksamkeit in der Branche geweckt. Natürlich meinte der Manager damit nicht, dass sich etwa mobile Werbung oder gar Online-Kampagnen erledigt hätten. Sondern wollte darauf hinweisen, dass es nicht auf die Medien, sondern auf die Botschaft ankomme. Die müsse zündend sein und die Verbraucher auch wirklich berühren.

Wie wichtig bei der Entwicklung passender Botschaften oder zündender Ideen gute strategische Begleitung ist, lässt sich auch an einer Studie zu den Erfolgsfaktoren von Produktinnovationen ablesen – das Risiko zu scheitern ist nämlich immer dann geringer, wenn schon die Produktentwicklung von Marktforschern begleitet wird, stellten GfK und Serviceplan 2006 fest. Natürlich hat auch Ipsos hier Hilfe parat: Ein zentraler Baustein im „Fuzzy Front End Framework“ der Experten von Ipsos Innoquest ist „Co-Creation“. Wie bei der Entwicklung der Kommunikationsidee in den Hot Houses der Kollegen aus der Werbewirkungsforschung binden auch die Innovationsforscher von Ipsos die Konsumenten von Anfang an gezielt ein. Produktflops oder Werbeirrtümer lassen sich so vielleicht nicht ausschließen. Aber minimieren. Bei geschätzten 10 Milliarden Euro pro Jahr, die deutsche Konsumgüterhersteller bei fehlgeschlagenen Produktinnovationen in den Sand setzen, wird sich das auszahlen.