Neuer Rabattstreit um Fernsehwerbezeiten

Die Nachwehen der Share Deals bei Fernsehwerbezeiten und der Untersuchungen des Bundeskartellamts beschäftigen seit vergangener Woche das Landgericht Düsseldorf sowie eine Heerschaar von Rechtsanwälten. Zwei Kläger. Zehn Beklagte, die weiteren 49 Beklagten den Streit verkündet haben. 6 500 Aktenseiten. 60 Millionen Euro. Ein Prozess der Superlative bescherte der 7. Handelskammer am Landgericht Düsseldorf einen Mediatag. Richter Ollerdißen schließt einen Schaden bei El Cartel Media nicht aus, der aber eine Höhe von Null Euro haben könnte.

Von Michael Ziesmann

Fernsehwerbezeitenvermarkter El Cartel Media und deren vermarkteter Sender RTL 2 verklagen den Werbezeitenvermarkter Sevenone Media und die vermarkteten Sender der Prosieben Sat.1 Media AG (ProSieben, Kabel 1, Sat.1 und N24) als auch den Werbezeitenvermarkter IP Deutschland (RTL Deutschland, VOX, SuperRTL und n-tv) auf Schadenersatz in Höhe von jeweils rund 30 Millionen Euro. Der Vorwurf: Beide Werbezeitenvermarkter hätten eine marktbeherrschende Stellung missbraucht. Zum Nachteil von El Cartel Media und den vermarkteten Sender RTL 2 hätten IP Deutschland und Sevenone Media mittels Share Deals jahrelang zusätzliche Werbebudgets auf sich vereint und El Cartel dadurch geschädigt.

El Cartel Media bezieht sich dabei auf das Kartellrechtsverfahren, das das Bundeskartellamt gegen IP Deutschland und Sevenone Media führte. Nach Hausdurchsuchungen im Juni 2007 bei beiden Vermarktern wurde das Verfahren wegen kartellsrechtswidriger Rabattverträge geführt. Beide Vermarkter mussten im Oktober 2007 ein Bußgeld in Gesamthöhe von 216 Millionen Euro zahlen. Danach wurde das Verfahren eingestellt. Die Untersuchungen waren damals in der sogenannten Ruzicka-Affäre begründet, bei der bereits im September 2006 Hausdurchsuchungen bei Aegis Media, IP Deutschland und Sevenone Media stattfanden, was in weiterer Folge zu einer bis heute anhaltenden öffentlichen Diskussion über die Rabattpraxis und den Umgang mit Naturalrabatten, sogenannten Freispots, führte (absatzwirtschaft berichtete).

Mit sogenannten Share Deals und den darin enthaltenen Commitments haben die beiden großen Werbezeitenvermarkter IP Deutschland und Sevenone Media den Mediaagenturen und deren Kunden zusätzliche Share-of-Advertising-Rabatte gewährt: Je mehr Budgetanteil in der Sendergruppe gebündelt wurde, desto höher der zusätzliche Rabatt. Das Bundeskartellamt sah darin einen Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung und verbot diese Rabattpraxis. Beide Vermarkter teilen jeweils mehr als 40 Prozent des Fernsehwerbemarktes unter sich auf. Alle anderen privaten Vermarkter von Fernsehwerbezeiten haben zusammen einen Marktanteil von zehn Prozent. Die restlichen Anteile entfallen auf ARD und ZDF. Die Netto-Umsätze bei Fernsehwerbung belaufen sich jährlich auf rund vier Milliarden Euro. Im Jahr 2009 wurden nur noch 39 Prozent jedes Preislisten-Euro für Fernsehwerbezeiten bezahlt. Der durchschnittliche Rabatt lag bei 61 Prozent. Dementsprechend höher liegen die Bruttosummen der vermarkteten Fernsehwerbezeiten (Quelle: ZAW Jahrbuch).

Vermarkter El Cartel Media sah sich durch die Rabattpraxis geschädigt und klagte im Jahr 2009. Die beiden Beklagten IP Deutschland und Sevenone Media verkündeten wiederum ihren Vertragspartnern, den Mediaagenturen, den Streit. Wenn die Werbezeitenvermarkter zu einer Schadenersatzzahlung verurteilt werden sollten, würden diese Zahlungen nach dem Verursacherprinzip an die auftraggebenden Mediaagenturen anteilig weiterberechnet werden.

Dementsprechend gut besetzt war der Verhandlungssaal am Landgericht Düsseldorf. Offenbar hatten die meisten Beklagten und streitverkündeten Parteien mindestens einen Rechtsvertreter vor Ort. Der Vorsitzende Richter am Landgericht, Ollerdißen, hatte sich erkennbar genau in die umfassende Materie aus 6 500 Aktenseiten eingearbeitet. Ab 10 Uhr wurde etwas mehr als zwei Stunden verhandelt. Ollerdißen hielt fest, dass der Gerichtsstand Düsseldorf berechtigt sei. Der Verstoß gegen den freien Wettbewerb sei in Düsseldorf eingetreten, wobei namentlich der Werbekunde L´Oreal genannt wurde. Bemerkenswert: Ollerdißen gab zu bedenken, dass ein Schaden nicht auszuschließen sei, der aber auch eine Höhe von Null Euro haben könnte. Ein Freispot wird mit 100 Prozent Rabatt gewährt und hat deshalb einen buchhalterischen Wert von Null Euro.

El Cartel Media habe zunächst keine internen Unterlagen vorgelegt, aus denen sich ein konkreter Schaden ergeben würde. IP Deutschland und Sevenone Media legten dem Gericht Vertragsunterlagen vor, deren Inhalt aber der Klägerin El Cartel Media nicht zur Kenntnis gegeben werden sollen. Obwohl El Cartel Media auch auf Auskunft und Einblick in die Vertragsunterlagen klagt. Richter Ollerdißen stellte infrage, ob die Vertragsunterlagen unter dieser Voraussetzung überhaupt zum Akt genommen werden können.

Ein Sprecher des Landgerichts Düsseldorf teilte auf Anfrage von absatzwirtschaft-Online mit: „Klagegegenstand ist in beiden Fällen eine Schadensersatzforderung der Kläger, die damit begründet wird, dass von den Beklagten in der Zeit zwischen 2004 und Mai 2007 bei der Vergabe von Werbemöglichkeiten kartellrechtswidrige Rabatte an diverse Mediaagenturen und Endkunden vergeben worden sein sollen. Diese Schadensersatzansprüche sind sowohl hinsichtlich des Grundes als auch mit Blick auf die Höhe hochstreitig und komplex“.

Ähnlich dem Danone-Prozess vor dem Landgericht München besteht auch in diesem Fall die Schwierigkeit in der Bezifferung eines Schadens. Richter Ollerdißen möchte deshalb eine zeitliche Vergleichsmarktanalyse erstellen lassen. Diese soll einen Vergleich der Marktsituation vor und während der Praxis mit den Share Deals ermöglichen. Eine Beiziehung der Akten des Bundeskartellamtes sei schwierig bis unmöglich. Die Beklagten IP Deutschland und Sevenone Media als auch deren jeweilige Fernsehsender haben bis Ende April Gelegenheit, dem Gericht weitere Schriftsätze vorzulegen. Bis Ende Juli darf dazu die Klägerin El Cartel Media replizieren. Am 1. September will das Gericht eine Entscheidung verkünden. Der Sprecher des Landgerichts Düsseldorf erklärte jedoch gegenüber absatzwirtschaft-Online, dass diese Entscheidung eher keinen verfahrensabschließenden Charakter haben wird.

Bereits Ende März werden vor dem Landgericht München zwei weitere Klagen verhandelt. Dort erheben Viacom und Tele 5 ähnliche Schadensersatzansprüche gegen SevenOne Media, IP Deutschland und eine Vielzahl von Mediaagenturen. Es geht erneut um Rabattmillionen.