Nachhaltigkeit im Marketing: Tue Gutes, und vermarkte es

Hierzulande wird Marketing oft ideologischer Ballast aufgebürdet. Seit Beginn der Umweltdebatte, dem Siegeszug der Grünen und heute im Zeichen der Nachhaltigkeit ist Marketing vielen suspekt. Der Generalverdacht: Marketing diene dazu, Menschen Dinge anzudrehen, die sie nicht brauchen; Marketing als Sturmgeschütz hemmungslosen Konsumismus. Tatsächlich ist Marketing so unschuldig wie ein Schweizer Taschenmesser – es ist ein Werkzeug.

Was Marketing bewirkt, hängt von den Zielen desjenigen ab, der Marketing einsetzt. So gesehen begehen Verfechter und Hersteller nachhaltiger Produkte einen Fehler, wenn sie auf ausgeklügeltes Marketing verzichten.

Man kann aus Marketing Rocket Science machen, man muss es aber nicht. Meiner beruflichen Erfahrung nach lässt sich Marketing ziemlich einfach definieren. Marketing vermittelt zwischen Herstellern, die ohne den Verkauf ihrer Produkte nicht leben könnten, und Konsumenten, die ohne Marketing nicht wüssten, dass es diese Produkte gibt. Gutes Marketing kennt die Bedürfnisse der Verbraucher und berücksichtigt diese schon in der Produktentwicklung. Gutes Marketing schafft es so zu kommunizieren, dass Verbraucher in dem Produkt und den Markenwerten eine Antwort auf ihre Bedürfnisse erkennen. Gutes Marketing erkennt, was Menschen wollen, und handelt entsprechend. Und wenn Nachhaltigkeit ein wachsendes Bedürfnis auf Konsumentenseite ist, ist entsprechendes Handeln eine wirtschaftliche Notwendigkeit.

Marketing schöpft Möglichkeiten nicht aus

Die alte Mär, Marketing manipuliere Menschen hemmungslos, schaffe also Bedürfnisse, die sonst gar nicht existieren würden, gehört vom Tisch. Sie wird allein dadurch widerlegt, dass 80 Prozent aller Produktneueinführungen floppen. Der Großteil ist demnach schlechtes Marketing. Wie gut aber ist das Marketing auf das eingestellt, was unsere Zukunft stärker bestimmen wird – nachhaltigen Konsum? Hier schöpft die Disziplin ihre Möglichkeiten nicht aus, obwohl die Voraussetzungen gut sind: Zum einen gibt es viele Hersteller, die es ernst meinen mit Nachhaltigkeit, zum anderen Konsumenten, die mehrheitlich sagen, dass ihnen Nachhaltigkeit wichtig ist. Trotzdem holpert es noch mit dem nachhaltigen Konsum, und die Vermittlung, also das Marketing, scheint hier noch nicht gut zu funktionieren.

Tatsächlich ist auch der Marketingmensch – sei es auf Herstellerseite oder auf Agenturseite – ein Gewohnheitsstier. Er verlässt ungern bewährte Denkmuster. Und bewährten Denkmustern gehören große Mengen statt hohe Margen. Hier ist bei der Wende zum nachhaltigen Konsum ein Umdenken nötig. Denn wirtschaftlicher Erfolg und nachhaltiger Konsum schließen sich nur dann nicht aus, wenn es gelingt, höhere Preise zu erzielen. So wird der Mehraufwand für nachhaltige Produkte ausgeglichen und die meist geringere Wiederkaufsrate kompensiert. Allerdings ist es kurzfristig immer noch leichter, mit Preispromotions Quick Wins bei Mengen zu erzielen als Margenerfolge mit nachhaltigem Marketing.

Auf nachhaltigen Unternehmenserfolg ausgerichtetes Marketing ist möglich: Miele, Hipp und andere machen es vor. Aber diese Art von Marketing ist komplexer, erfordert langfristiges Denken und eine klare Haltung. Wem diese Herausforderung unheimlich ist, findet leicht Ausreden: „Der Kunde sagt vor dem Laden, dass er Bio kaufen will – im Laden kauft er dann billig.“ Oder: „Wenn wir grün werben, haben wir doch gleich Greenwashing-Vorwürfe am Hals.“ Viele Argumente hören sich zwar plausibel an, bleiben aber Ausreden. Sie rechtfertigen ein Ausweichen vor Veränderungen im Konsumverhalten, die kommen und schon da sind. Ignoranz ist keine Lösung, sondern folgt dem Wort von Ernst Bloch: „Wer sich nicht in Gefahr begibt, kommt darin um.“

Nachhaltiges Marketing erfordert Risikobereitschaft, macht aber Unternehmen und Marken langfristig zukunftsfähig. Die Basisingredienzen für nachhaltiges Marketing heißen neues Denken, Mut und Offenheit.

Weg von der Menge hin zur Marge

Was ist mit neuem Denken gemeint? Zunächst ist es ganz schlicht ein Perspektivenwechsel weg von der Menge hin zur Marge. Es bedeutet, in Werten zu denken und diese zu vermitteln. Wenn Nachhaltigkeit ein Konsumentenbedürfnis ist, sollte es möglich sein, dieses Bedürfnis zu befriedigen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es nicht nur um Produkteigenschaften geht. Der gute Ruf eines Unternehmens wird als Orientierung wichtiger. Letztlich sind ideele und materielle Investitionen in den guten Ruf umsatzrelevant.

Serviceplan hat zusammen mit der Unternehmensberatung Biesalski & Company eine Untersuchung durchgeführt, die den Anteil von Reputation am Umsatz berechnet hat. Das Ergebnis: Im Schnitt hängen 22 Prozent des Umsatzes an der Reputation. Die Aufgabe eines breiter gedachten Marketings wäre es, diesen Wert zu steigern.

Eine ähnliche Untersuchung haben wir zum reputationsrelevanten Thema Nachhaltigkeit durchgeführt. Diese Studie bringt verblüffende Ergebnisse. Nur zehn Prozent der untersuchten Unternehmen schneiden aus Sicht ihrer Kunden gut ab. Über ein Drittel wird von eigenen Kunden kritisch bis sehr kritisch bewertet. Mit gefährlichen Auswirkungen auf Loyalität und Wiederkauf.

Anpassung an eine sich verändernde Konsumwelt

Es gibt also häufig große Lücken zwischen dem, was Verbraucher von „ihrem“ Unternehmen oder „ihrer“ Marke in Sachen Nachhaltigkeit erwarten und dem, was geliefert wird. Die Pflicht von neuem Marketing sollte es sein, diese Lücken zu schließen. Dabei geht es nicht um eine Revolution, es geht um eine Anpassung an eine sich verändernde Konsumwelt. Der Change-Prozess findet sozusagen unter laufendem Rad statt. Am Ende wird tatsächlich so etwas wie neues Marketing stehen. Dieses Zeitalter werden aber vermutlich nur die Unternehmen erleben, die sich rechtzeitig darauf eingelassen haben.

Eine neue Partnerschaft zwischen Agenturen und Unternehmen ist für diese Form von Marketing gefragt. Etwas polemisch formuliert: Zurzeit nutzen Unternehmen ihre Nachhaltigkeitsleistungen noch viel zu wenig für Marketingzwecke oder passen sie zu wenig an Konsumentenbedürfnisse an. Und die Agenturen haben oft schlicht zu wenig Ahnung vom Thema. Eine fruchtbare Partnerschaft heißt für die Zukunft: Beide Seiten müssen ihre Kompetenzen ausbauen. Das neue Marketingfeld ist groß, die Erde ist fruchtbar, man muss es nur noch bestellen.

Über den Autoren: Florian Haller ist Hauptgeschäftsführer der Serviceplan Gruppe. Das Unternehmen bezeichnet sich unter anderem als „größte inhabergeführte, partnergeführte Agenturgruppe Europas“. Ferner gehört Haller zum Kuratorium des Deutschen Marketing-Verbands (DMV).