„Nachhaltiger Konsum beeinflusst auch die konventionellen Produkte“

Unternehmen, die auf der Ecostyle, einer Ordermesse für geprüft nachhaltige Konsumgüter im europäischen Einzelhandel, ausstellen möchten, müssen einen hohen Nachhaltigkeitsgrad aufweisen. Geprüft wird dieser von einer Expertengruppe. Professor Lucia Reisch gehört dazu. Sie sieht in nachhaltigem Konsum einen Trend mit Wachstumschancen. Dieser gehe allerdings von geringen Marktanteilen aus und sei teilweise noch nicht massentauglich.

Die Nutzung der Vokabel „Nachhaltigkeit“ ist nach Reischs Überzeugung mehr als ein Marketinggebot unserer Zeit. Denn allein das Versprechen „Nachhaltigkeit“ löse offenbar positive Assoziationen aus. „Marketingleute wissen, dass beispielsweise eine grüne Schrift oder selbst ein Phantasielabel Kaufanreize für diejenigen Konsumenten setzt, die grundsätzlich an Umwelt und Sozialem Interesse haben. Die Verantwortung der Unternehmen, mit diesem Interesse sorgsam umzugehen und damit nicht ganze Marktsegmente zu verunsichern, ist groß“, erklärt sie.

Als Fachmesse für nachhaltige Konsumgüter stützt die Ecostyle diesen Anspruch, da sie nur nachhaltige Produktalternativen zeigt. Damit wird es dem Konsumenten leichter gemacht, da gewissermaßen ein Prüfungsschritt entfällt, der Zeit und Energie kostet. Reisch hält das Angebot an seriösen Informationen und Hilfestellungen für Konsumenten, die an nachhaltigeren Produkten und Diensten interessiert sind, für gut. Dies seien neben den Angeboten der Umwelt- und Verbraucherorganisationen durchaus auch Informationsangebote von Herstellern und Händlern, die es ernst meinten mit einem nachhaltigeren Produktsortiment. Ein hervorragendes und sehr nützliches Beispiel sei der „Nachhaltige Warenkorb“, den der Rat für Nachhaltige Entwicklung schon seit vielen Jahren kontinuierlich aktualisiert. Zusammen mit vielen praktischen Hinweisen gibt es diesen Warenkorb mittlerweile auch als App.

Trotz Finanzkrise stabile Nachfrage nach Bio-Lebensmitteln

Bei Betrachtung der Marktsituation erkennt Reisch eine Zunahme bei fair gehandelten und vor allem bei regionalen Nahrungsmitteln. Trotz Finanzkrise sei die Nachfrage an Bio-Lebensmitteln stabil. Auch Nachfrage nach ethisch-ökologischen Geldanlagen steige, gleiches gelte für nachhaltige Mode und sanften Tourismus. „Interessant ist aber, dass dieser Trend auch die konventionellen Produkte beeinflusst – deren Design, Rezepturen, Transparenzanforderungen, und sogar das Marketing“.

Konsum sei jedoch nicht nur der Akt des Kaufens, sondern umfasse die ganze Kette von Bedürfnis- und Bedarfsreflexion, Eingrenzung von Alternativen – einschließlich Nichtkaufen, Selbermachen, Tauschen, Teilen, gemeinsam Nutzen – dem Erwerb, der Nutzung und der Entsorgung. Konsum sei auch Eigenproduktion, „denken wir an die neue Lust am Gärtnern – auf Neudeutsch ‚Urban Gardening‘ – am gemeinsam Kochen und Designen oder auch der neuen Begeisterung für genossenschaftliche Energieproduktion.“

Markenkauf als zeitsparende Strategie der menschlichen Psyche

Schließlich gehört zum Konsum ein aktives Element, wie Reisch weiter betont: „Menschen machen zunehmend Politik mit dem Geldbeutel, rufen virtuell zu ‚Carrotmobs‘ auf und organisieren sogenannte ‚Shit-Storms‘ sowie ‚Candy-Storms‘ zur Abstrafung oder Belohnung für Unternehmensverhalten. Die Macht dieser Konsumentenbürger ist heute deutlich grösser als in vor-virtuellen Zeiten, in denen Organisations- und Transaktionskosten der Unternehmenskritik für Einzelne meist zu hoch waren und das Unternehmensgebaren deutlich intransparenter ausfiel.“

Bei den Konsumentscheidungen, die Menschen täglich treffen, handeln sie oft nicht rational. Nach Überzeugung von Lucia Reisch sind Handlungsintentionen ohne Emotionen ein zahnloser Tiger. Motivation zum Handeln sei immer auch emotional, wie die Neuroökonomie gezeigt habe. „Wir reagieren auf Belohnungen, Bestrafungen, entwickeln emotionale Beziehungen zu Marken und erleichtern damit unsere Kaufentscheidungen“, betont sie. Insofern sei zum Beispiel der Markenkauf eine sehr sinnvolle, da energie- und zeitsparende Strategie der menschlichen Psyche. Die Kommunikation für nachhaltigen Konsum könne da noch viel vom kommerziellen Marketing lernen. Sie konkretisiert: „Über Vernunftargumente werden nur wenige Konsumenten erreichbar sein. Und gegen soziale Normen – das umfasst auch Moden und Lebensstile – lässt sich kaum eine Verhaltensänderung durchsetzen.“

Einfach weniger konsumieren?

Die Suffizienzstrategie „Weniger ist mehr“ gehört zu den grundlegenden Strategien des nachhaltigen Konsums. Sie wird sich nach Ansicht Reischs allerdings auf einzelne Produkte begrenzen: Kein Fleisch mehr, kein Palmöl, keine SUVs, weniger und langlebige Kleidung etc. Das eigentliche Problem dabei sei: Suffizienz werde wenig diskutiert, weil weniger Konsum unter den Bedingungen des heutigen Wirtschaftssystems auch weniger Wachstum bedeutet.

„Weniger Wachstum – wiederum unter den heutigen Bedingungen – bedeutet gesamtgesellschaftlich, dass die Politik und die Unternehmen weniger zu verteilen haben, sich gesellschaftliche Konflikte verschärfen können und Regierungen ihre Stärke verlieren. Welche Regierung und welches Unternehmen sollte sich für dieses Szenario entscheiden, wenn es noch andere Strategien gibt – Effizienz, Konsistenz, soziale Innovationen? Richtig wäre es natürlich. Und möglich auch, wenn man gleich die Rahmenbedingungen mit verändert, wie etwa in der Vision einer Postwachstumsgesellschaft dargestellt.“

(Messe Frankfurt/asc)