Müssen Marken „twittern“?

Das Medium ist jung. Und von müssen ist keine Rede. Allerdings sollten Marketer die neuen Kommunikationsdienste auf dem Radar haben. Und dort, wo sich Chancen abzeichnen, auch Erfahrungen sammeln.

Von Irmtrud Munkelt

Die University of Massachusetts und Dartmouth beschäftigt sich in einer Langzeitstudie mit der Frage, wie die 500 am schnellsten wachsenden US-Firmen Soziale Medien einsetzen. Das Ergebnis gleich vorweg: Junge und aufstrebende Unternehmen setzen Blogs, Twitter & Co stärker ein, als es die traditionellen Fortune 500 Firmen tun.

Das an sich muss nicht überraschen. Bemerkenswert ist das Tempo, mit dem sie die neuen Kommunikationsformen in ihre Geschäftsabläufe integrieren: Hatten 2007 acht Prozent der Fortune 500 Corporate Blogs, waren es bei den am schnellsten wachsenden Unternehmen, den Inc. 500 des Inc. Magazine, bereits 19 Prozent. Unterhielten im Jahr 2008 11,6 Prozent der Fortune 500 einen „Public Blog“, blogten bei den Inc. 500 schon 39 Prozent für die Öffentlichkeit.

„Wer keine Sozialen Medien nutzt, verspielt die Chancen und Möglichkeiten, die diese Medien bieten“, blickt Professor Schildhauer, Direktor des Institute of Electronic Business Berlin (IEB), auf die Zugkraft der Dienste, die scheinbar spielerisch erlauben, Meinungen zu äußern und sich mit Dritten auszutauschen.

„Heute sind Konsumenten nicht länger passive Betrachter, sondern vermehrt aktive Mitgestalter. Da sind neue, interaktive und äußerst vernetzte Denk- und Handlungsweisen gefragt“, schreibt auch Felix Holzapfel von Conceptbakery ins Pflichtenheft der Unternehmen. Die deutsch-amerikanische Agentur versteht sich als Pionier und Trendsetter im Bereich alternativer Marketingstrategien und erklärte gerade 2009 zum Jahr der Sozialen Medien.

Die meisten nutzen mehrere Dienste parallel
Die gefühlte Akzeptanz auf Verbraucherseite belegt eine Studie der Augsburger Beratung Convios Consulting mit Zahlen: Nach ihrem Kommunikationsverhalten befragt, antworten immerhin 580 von 1000 Internet-Nutzer ab 16 Jahren, auf Plattformen wie StudiVZ, Stayfriends, Facebook oder Xing aktiv zu sein. Die meisten nutzen mehrere Dienste parallel, 76 Prozent haben zwei oder mehr E-Mail-Adressen und 43 Prozent pflegen mehr als ein Profil in sozialen Netzwerken.

Hinweise, die dafür sprechen, soziale Gemeinschaften auf ihre Marketingrelevanz hin zu prüfen und sich auch einzuschalten, gibt es genug. Mit ihrer Studie „Brands in Social Media2“ unternahm der Bundesverband Digitale Wirtschaft erst jüngst den Versuch, mit Hilfe einer Crawler- und Klassifizierungstechnologie Meinungsäußerungen in Weblogs, Foren, Microblogging Diensten, Social Networks und auf Videoplattformen zu untersuchen und authentische Nutzeräußerungen zu 550 Marken zu klassifizieren.

“Die Resultate dieser Buzz-Analyse zeigen, wie wichtig Social Media heute für die Markenführung- und Kommunikation, aber auch für das Kundenbeziehungsmanagement (CRM) geworden sind“, kommentiert Sten Franke, Studienpartner und Geschäftsführer beim Dienstleister Ethority, die Ergebnisse seiner Analysen. Durchschnittlich waren 43 Prozent aller markenbezogenen Gespräche für die Bildung einer Käuferpräferenz relevant. Im Bereich Telekommunikation war jede dritte Verbrauchermeinung, im Bereich Food mehr als jede zweite eine Kaufempfehlung.

Online-Foren als Epizentren der Marken- und Produktempfehlung? Unter den Weblogs, Foren, und Social Networks ist der Microblogging Dienst Twitter derzeit „hipp“. Mit dem Tool auf der Basis eines SMS-Protokolls senden Nutzer Nachrichten mit einer Länge von bis zu 140 Zeichen an öffentliche oder private Gruppen. Nutzer können die Ströme anderer Nutzer abonnieren oder Kurznachrichten nach Themen durchsuchen.

„Eigentlich, so der Eindruck, den man derzeit unter Kommunikationsexperten bekommt, sind wir derzeit alle twirre. Twitter allerorten. In Davos, auf dem DLD, auf jedem Seminar und über jede Fortbildung“, beschreibt Christian Faltin von der PR-Agentur Cocodibu das Phänomen in seinem Weblog. „Wer wolle das alles wissen? Keiner und alle gleichzeitig“, gibt sich der Kommunikationsspezialist selbst Antwort. Twitter sei ein Informationsstrom, der an einem leise aber stetig vorbeifließe. Der eine stehe länger am Fluß, der andere schaue nur kurz vorbei.

Ursprünglich nicht für die Anwendung im Geschäftsverkehr gedacht, waren es zunächst IT-nahe Dienstleister, die den Umgang mit dem Tool für ihr Marketing professionalisierten. Von dem Hype überrascht, sieht mittlerweile auch die werbetreibende Industrie das Potential für ihre marketingrelevanten Zielgruppen wachsen.

Einfach mal bei Twitter sehen, was schon da ist
Und schon lassen Tipps für den Einstieg experimentierbereiter Unternehmen nicht mehr auf sich warten. „Unternehmen sollten vielleicht einfach mal Produktnamen bei search.twitter.com eingeben und sehen, was schon da ist“ gibt Nicole Simon, Autorin des Buches „Twitter – mit 140 Zeichen ins Web 2.0“, gegenüber dem Dienst „turi2“ zu Protokoll. Im geschäftlichen Umfeld könne man es sich eigentlich kaum leisten, nicht hinzuschauen.

Nicht alles bringt Gewinn, weiß Simon. Twitter sei im Moment hipp, und verschiedene Firmen fingen schon an, das Instrument für sich zu nutzen. Das eine oder andere Unternehmen mache schon Angebote. Sobald der Kunde erst einmal daran gewöhnt sei, könne man sich damit auseinandersetzen, dieses System für sich zu nutzen.

Erste Blogs führen bereits Listen „twitternder“ Unternehmen. „Jeder nutzt Twitter auf seine Weise. Für mich ist es eine großartige Sache mit vielen von Ihnen in Kontakt zu treten“, twittert Klaus Holzapfel, Bruder von Felix und Geschäftsführer der Conceptbakery-Dependance in Vegas. „Wenn Sie meinen Blog mögen, an Moviebakery oder Conceptbakery interessiert sind, meine Tweets auf ihrer Linie liegen oder Sie auf meiner Homepage sind und eine gleichgesinnte Person sehen, wäre es nett, wenn wir via Twitter zusammenkommen“, nimmt der Dienstleister rundum Kontakt auf.

Profis machen deutlich, welchen Streams sie folgen
Dabei gibt es in dem scheinbaren Durcheinander von Anfragen, Einwänden und Einwürfen durchaus Prozesse der Selbstregulierung. Damit seine Kontaktpersonen wissen, was sie erwartet, fasst Dienstleister Holzapfel seine Spielregeln in einem Twitter-Guide zusammen. Hier macht er deutlich, worüber er schreibt, welchen „Streams“ er folgt, wie viele „Accounts“ er pflegt und wie häufig er sich einschaltet.

Jeremiah Owyang, Analyst bei Forrester Research in den USA, nennt in seinem Blog bereits neun Gründe, warum Marken bei Twitter scheitern. Und auch Corporate Blogs stehen in Hinblick auf die „Dos and Don´ts“ – was Schreibstil, Themen, Aufrichtigkeit, Link-Verhalten, das Einbeziehen von Kundenkommentaren, Dialogfunktionen, das Löschen von kritischen Stimmen und die Regelmäßigkeit der Beiträge betrifft – im Raster selbstkritischer Akteure.

„Die Kommunikation muss authentisch und glaubwürdig sein“, formuliert Schildhauer die Conditio sine qua non für eine Ansprache, die bei Kunden und Partnern ankommt. Klassische Werbekommunikationsstrategien funktionierten hier nicht. Durch die Macht der Mund-zu-Mund- Propaganda könnten Marketingverantwortliche den Stellenwert der Sender-Empfänger Kommunikation der klassischen Werbeansprache untergraben und Kundenansprache authentisch gestalten.

„Der Grund dafür, dass viele Marketing-Communities nicht funktionieren, liegt letztlich am sogenannten Stimulus-Organism-Response-Paradigma, einem ganz fundamentalen Ansatz im Massenmarketing“, weiss Martin Oetting, Gesellschafter und Leiter Forschung bei der deutschen Word-of-Mouth Marketing Agentur Trnd, die Fehler vieler ambitionierter Marketer zu erklären.

Dieser Ansatz gehe davon aus, dass Kunden auf nachvollziehbare Weise zu manipulieren sind. Das Marketing müsse nur eine Anregung (Stimulus) setzen und an den richtigen Knöpfe drehen, um die richtigen Prozesse anzuregen und damit die gewünschten „Responses“ zu erreichen. „Und genau so werden auch Marken-Communities betrieben: man versucht Adressen anzusammeln, und die Leute dann mittels geplanter Kommunikation zu irgendwelchen „Reponses“ anzuregen: gucken, klicken, kaufen. Das kann nicht funktionieren“, verwirft Oetting in seinem Blog das nicht mehr funktionierende Paradigma.

„Wir können es ignorieren – oder versuchen, den Kanal zu nutzen. Im Sinne des Unternehmens. Ein Patentrezept gibt es dafür nicht. Nur die Aussicht auf Erfolg“, bewerten Mitarbeiter von Liquid Air Lab in ihrem Blog bei adplace.com pragmatisch die Optionen. Dabei warnen sie, Twitter ausschließlich als Kanal für die Produkt-, Preis- und Presseinformation zu nutzen. Der Aufwand beim „Zwitschern“ sei zwar wesentlich geringer als beim Bloggen, es erfordere aber mehr Kreativität.

Was macht eigentlich Herr Mehdorn?
Unternehmen, die den Dienst erfolgreich einsetzen wollen, raten sie zu etwas, das das Netz nicht unbedingt bietet. Etwa Menschlichkeit. Wäre es nicht spannend zu erfahren, was zum Beispiel Herr Mehdorn den ganzen Tag macht, fragen die Dienstleister. „Sitze gerade in den Verhandlungen mit den Gewerkschaften. Die gehen mir tierisch auf den Nerv. Wieder vollkommen inakzeptable Forderungen,“ ist ihr 140 Zeichen- Beispiel für ein PR-Fiasko. Andersherum sorge die Nachricht: „Sitze im ICE nach Berlin. Haben drei Minuten Verspätung. 10 Euro für den ersten Direct Replier, dass wir noch pünktlich kommen“ für eine Menge Presse, die nichts koste.

Twitter, ein Informationsstrom, der leise aber stetig vorbeifließt? Ob Marketer mit ihren Marken nur am Ufer stehen, kurz vorbeischauen, oder bereits Erfahrungen sammeln, es gilt, die eigenen Chancen zu prüfen. Erst kürzlich untersuchte die Agentur Komjuniti, ein Social-Media Spin-Off des Brand Science Institute, bei drei Konsumgütermarken die Auswirkungen von Werbung und Social Media auf den Kundenwert.

Von den 1400 an der Studie teilnehmenden Konsumenten waren 400 aktive User von Marken-Communities, die verbleibenden Konsumenten hatten keine Affinitäten zu den Sozialen Medien und dienten als Kontrollgruppe. Das Ergebnis überraschte selbst die Forscher: Social Media Maßnahmen erzeugten bei zwei von drei Marken positive Mundpropagandaeffekte.

Aktive Community-Mitglieder hatten über den Untersuchungszeitraum von 10 Wochen mit durchschnittlich 17 Personen über die in den Communities dargestellten Produkte gesprochen. Im Vergleich dazu tauschten sich lediglich zwei Personen der Kontrollgruppe über die beworbenen Produkte aus. Die durch Mundpropaganda akquirierten Produktkäufer wiesen eine um 41 Prozent höhere Wiederkaufbereitschaft und eine deutlich höhere Bindung zur Marke auf. Allerdings reagierten die Konsumenten deutlich langsamer, als auf Werbung.

Wie stark das Thema die Branche beschäftigt, macht der aktuelle Aufruf der jungen Arbeitsgemeinschaft Social Media deutlich. Die Gruppe sucht eine Messgröße, die in der Lage ist, dem besonderen Vernetzungsgrad von Blogs, Sozialen Netzwerken und Communities besser als herkömmliche Abruf- und Leistungsmaße zu entsprechen. Betreiber, Produzenten, Dienstleister, Forscher und Techniker im Bereich der Sozialen Medien sollen ihre Ansichten, Erfahrungen und Kenntnisse beisteuern. Natürlich auch über Twitter.

www.search.twitter.com

Haben Sie bereits Erfahrungen mit Twitter gesammelt? Dann schildern Sie sie bei uns im MarketingLab.

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