Monitoring-Tools müssen auch weiche Faktoren und Long Tail-Effekte berücksichtigen

Die DAX-Konzerne bauen ihr Engagement in sozialen Netzwerken aus. Das belegt eine Studie der Düsseldorfer Agentur Vierpartner. So haben Adidas, Volkswagen, Siemens, BMW und die Deutsche Telekom im vergangenen Jahr kräftig auf Facebook, Twitter und Youtube zugelegt. Auch Beiersdorf, Daimler, die Lufthansa, SAP und Munich Re engagieren sich stärker in sozialen Medien. Teilweise konnten die Unternehmen die Zahl ihrer Facebook-Fans verfünffachen und die Twitter-Follower versechsfachen. Angeblich sei jetzt die Zeit des Experimentierens bei einigen Konzernen vorbei. Viele Firmen würden inzwischen über professionelle aufgebaute Social Media-Seiten verfügen und einen regen Austausch mit ihren Kunden pflegen.

Von Gunnar Sohn

Das kann man allerdings überhaupt nicht aus einer rein quantitativen Messung ableiten. Die Zahl der Fans, Follower oder Abrufzahlen sagt überhaupt nichts über den Grad der Interaktion oder über eine Veränderung der Unternehmenskultur aus. Man bekommt überhaupt keine Auskunft über den Einfluss, die Akzeptanz oder Interessantheit. „Welcher DAX-Konzern hat denn die Unternehmensmauern niedergerissen und diskutiert transparent und ohne Sprachregelung mit der Netzöffentlichkeit? Wer setzt konsequent bei der Entwicklung von Produkten und Diensten auf das Crowdsourcing-Prinzip? Wer kommt ohne hierarchische Richtlinien aus? Ich bezweifle, dass sich die Ziegelsteinmentalität in vielen großen Organisationen des Staates und der Wirtschaftgeändert hat“, erwidert Peter B. Záboji, Chairman des After Sales-Spezialisten Bitronic. Wer Social Media nur als zusätzliche Spielwiese für die Markenkommunikation betrachtet, habe nicht begriffen, was sich im Netz abspielt. Was sich geändert habe, komme in einer Aussage zur Geltung, die dem Sohn von Jung von Matt-Vorstand Peter Figge zugeschrieben wird: „Papa, wie ist man eigentlich ins Internet gekommen, bevor es Computer gab“.

Dieser Satz sei exemplarisch für die Haltung vieler Menschen, wenn es um Social Media geht, meint der Blogger und Strategieberater Sascha Lobo: „Das Internet ist nicht nur in einem Gerät vorhanden. Es ist eine zweite digitale Schicht, die sich über die gesamte Welt gelegt hat. Und der wichtigste Effekt sozialer Netzwerke ist der Kontrollverlust.“ Die Angst vor dem Kontrollverlust bestimme in der Regel noch die Markenkommunikation. Fast jeder hänge noch der Illusion nach, dass einem die Marke gehöre. Man könne allerdings nicht mehr bestimmen, was damit passiert: „Die Marke findet in den Köpfen der Menschen statt. Ich kann allenfalls sphärisch darum herumtanzen und versuchen, sie mit Geduldsspielen zu beeinflussen“, sagt Lobo. Es gebe immer weniger Gewissheiten über den Erfolg oder Misserfolg von Strategien. Man sollte verschiedene Ansätze versuchen und überprüfen, was funktioniert oder nicht.

„Daher ist es auch falsch, von einem Ende der Social Media-Experimente zu sprechen. Jeder Tag in der Markenkommunikation ist mittlerweile experimentell. Ob ich mit Kunden ins Gespräch komme, ob meine Angebote gut ankommen, ob die Unternehmenspolitik richtig oder falsch ist, wird heute in Echtzeit beurteilt. Das Versuch-und-Irrtum-Verfahren in sozialen Medien hört nie auf“, erläutert der Bitronic-Chairman.

Die Entwicklung eines Social MediaIndex zur Erfolgskontrolle von Aktivitäten im sozialen Netz erfordert nach Auffassung der Marketingprofessorin Heike Simmet eine Kombination von quantitativ erfassbaren Größen mit qualitativ orientierten Einflussfaktoren. Beziehungsreichweite, gemessen an Faktoren wie Anzahl der Fans oder Follower und Feedbackintensität, gemessen an Faktoren wie Zahl der Retweets und Empfehlungen, müssen kombiniert werden mit weichen Faktoren, die sich beispielsweise aus semantischen Analysen ableiten lassen.“ Entscheidend sei auch die Berücksichtigung der 1-9-90-Regel – auch als Nielsen-Regel bezeichnet. 90 Prozent der Nutzer sind auf Social Media- Plattformen passiv und leisten keinen Beitrag, neun Prozent leisten einen kleinen Beitrag und nur ein Prozent der Nutzer ist für nahezu die gesamten Beiträge verantwortlich. Eine kleine Anzahl von Mitgliedern trägt durch die Menge von Kommentaren und Tweets mehr zum Gesamtinhalt einer Web 2.0-Plattform bei, als die große Mehrheit der Mitglieder mit ihren jeweils verhältnismäßig geringen Beiträgen. Unternehmen müssen für einen Erfolg in den sozialen Netzwerken somit eine kritische Masse von aktiven Nutzern erreichen“, sagt Simmet im Gespräch mit MarketingIT.

Diese kritische Masse gewinne man vor allem durch das Teilen gemeinsamer Werte, den offenen Austausch von Informationen und somit durch Faktoren wie Glaubwürdigkeit sowie Verlässlichkeit. Masseneffekte seien dabei gar nicht so entscheidend. So würden kleine Communitys entstehen, die in ihrer Nische eine erhebliche Ausstrahlungskraft und damit auch beachtliche Erfolgspotenziale entwickeln können.

„Die viel diskutierten „Long Tail-Effekte“ folgen daher der klassischen Pareto-Verteilung, die sich in einer Vielzahl der Wissenschaften von der Volkswirtschaftslehre über die Betriebswirtschaftslehre und Soziologie, aber auch in der Kunst und in der Mathematik wieder findet. Das wissenschaftliche Grundgesetz der Pareto-Verteilung wird also auch durch die sozialen Netzwerke nicht außer Kraft gesetzt. Es muss aber neu interpretiert und angepasst werden, da sich die Beziehungsgeflechte der Netzwerke ständig verändern und somit dynamischen Prozessen unterworfen sind. Soziale Netzwerke ähneln menschlichen Organismen und die lassen sich ja auch nicht nur durch Zahlen, Daten und Fakten statisch und punktuell erfassen“, resümiert Simmet.

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