Microsoft würde auch eine Windows 8-Schlappe überleben

Das Schicksal von Microsoft hängt am seidenen Faden, der in der Realität ein dicker Finger ist, nämlich einer, der Touchscreens bedient. Floppt Windows 8, geht der Konzern darnieder, meinen „Der Spiegel“, „Welt“ oder die „Süddeutsche Zeitung“. Warum das nicht stimmt und was das den Marketer angehen sollte, erläutert Frank Puscher.

Microsoft hat alles verschlafen in den letzten 20 Jahren. Eigentlich kam nur noch Windows 3.1 rechtzeitig, ab dann ging es stetig bergab. Bereits Windows 95 erschien in Deutschland erst im Herbst des nämlichen Jahres und war somit von Beginn an veraltet. Außerdem musste man ja – vorsicht Digitalwitz, findet nicht jeder lustig – durch Drücken auf den Start-Knopf das System ausschalten.

Dann ging´s ans Internet und hier kam der Internet-Explorer erst lange nach dem Netscape Navigator auf den Markt, eröffnete dann aber prompt mit viel Marketing-Geld den Browserkrieg … und gewann. In der Folgezeit erkannte man die Trends zu Onlineservices zu spät und musste sich für viel Geld erst Hotmail und später Skype kaufen. Windows XP hatte bereits Touchscreen-Funktionalität, aber das interessierte 2001 niemand, obwohl es mit dem Zune bereits ein recht handliches, mobiles Gerät darfür gab – nur leider kein mobiles Internet. Und kurz danach gab es die Mediacenter Edition, ein Windows fürs Wohnzimmer, erschienen fünf Jahre vor Apple-TV.

Umsatz und Gewinn in den letzten zehn Jahren verdreifacht

Das Thema Suchmaschinen hat man verschlafen, das Thema mobiles Betriebssystem – wobei 3,3 Millionen verkaufte Smartphones mit WindowsPhone 7 im ersten Quartal 2012 gar nicht so schlecht sind. Das Segment Hardware-Entwicklung hat man lange gar nicht erst angefasst. Außer ein paar Tastaturen, Mäusen und Joysticks kam da nicht viel. Und schließlich kam der vorläufige Gnadenstoß – in Form des iPad. Zwar hatte Bill Gates bereits 2001 vermutet, dass das Tablet innerhalb von fünf Jahren die erfolgreichste Form des persönlichen Computers sein werde. Steve Balmer hat aber wohl nicht daran geglaubt, zumindest nicht an den Zeitplan.

Microsoft hat in den letzten 20 Jahren so viel falsch gemacht, dass die Firma heute keinesfalls mehr existieren dürfte. Und – oh Wunder – der Konzern machte im abgelaufenen Geschäftsjahr 2012 23 Milliarden US-Dollar Gewinn. Und im Jahr zuvor war das Ergebnis auch positiv, und 2010, 2009, 2008 … Tatsache ist, dass Microsoft in den letzten zehn Jahren Umsatz und Gewinn verdreifacht hat. Trotz Google, trotz Browserkrieg, trotz iPhone, trotz teurer Monopol-Prozesse, denen sich übrigens derzeit Google ausgesetzt sieht.

„Spiegel“, „Welt“ und „Süddeutsche“ werden nun argumentieren, dass jetzt aber gerade das große PC-Sterben beginnt und damit auch das Windows-Sterben. Das ist fast, aber nicht ganz richtig: Tatsächlich sind im dritten Quartal 2012 die PC-Verkäufe gesunken, allerdings nachdem sie im Quartal zuvor um fast zehn Prozent stärker waren als im Vorjahr. „Spiegel“ zitiert in seiner letzten Ausgabe die traurigen Beispiele von HP und Dell, verliert aber kaum ein Wort über Samsung, Asus und Acer, die zweistellige Wachstumsraten einfuhren, allerdings mit weniger Gewinn. Die „Süddeutsche“ wagt abenteuerliche Prognosen: „Ehemalige Marktführer wie Hewlett-Packard und Dell werden dem Laptop in die Bedeutungslosigkeit folgen.“

Und nun zur eher unspektakulären Betrachtung der Markt- und Microsoft-Situation:

  • Microsoft macht mit Windows rund 28 Prozent seiner Umsätze. Selbst wenn keiner Windows kauft, stirbt das Unternehmen nicht. Die Businesssparte macht allein 30 Prozent der Umsätze und trägt mehr zum Gewinn bei.
  • Die Onlinesparte macht Verluste. Allerdings doch eher wenige im Vergleich zum Firmengewinn.
  • Viele Anwender haben bereits mit Windows 7 ihren Frieden mit Microsoft gemacht. Das System ist weit weniger anfällig für Abstürze als der Vorgänger XP. Die leidige Suche nach Treibern hatte weitgehend ein Ende, das System funktioniert sogar auf eher leistungsschwachen Netbooks und es startet annähernd so schnell wie ein iPad, wenn man es nicht ausschaltet sondern in den StandBy-Modus versetzt. Das hat Microsofts Image verbessert, kann aber auch dazu führen, das Notebook-Nutzer keinen Grund für ein Upgrade sehen.
  • Der Übergang vom Notebook zum Tablet beginnt jetzt. Bislang existieren Tablets als Zweit- oder Drittgeräte. Besucht man eine einschlägige Fachkonferenz von Online-Marketers, so präsentiert nur einer von 50 Referenten vom iPad, alle anderen vom Windows-Notebook oder MacBook. Der Übergang wird dort schneller gehen, wo Tablets mehr Nutzen stiften, zum Beispiel als Rechner für Medienkonsum zuhause. Im professionellen Kontext – der ja nicht bei jedem Nutzer ein mobiler ist – wird sich dieser Wandel langsam vollziehen, stellenweise auch gar nicht.
  • Die meisten Tester bescheinigen Windows 8 eine recht brauchbare Qualität und der aktuelle Launchpreis von 30 Euro wirkt nicht gerade abschreckend. Das renommierte Fachblatt „Ct“ versteigt sich sogar zu der Aussage: „Ein Glanzstück ist jedoch die eingebaute Handschrifterkennung“.

Der größte Smartphone-Hersteller der Welt hat bereits vier Windows-8-Produkte angekündigt. Samsung arbeitet gerade auch an einem Convertible, also ein Notebook mit Touchscreen, dass sich je nach Nutzungskontext so oder so ansteuern lässt. App-Entwickler Christian Kuhn: „Ein sehr spannendes Konzept, dass die aktuellen Bedürfnisse der Nutzer aufgreift“.

Auf Fingerbedienung ausgelegte Kachel-Oberfläche

Alle anderen PC- und Smartphone-Hersteller – außer Apple – werden sich mit Verve auf das neue Betriebssystem stürzen und werden dadurch eine riesige Angebotsvielfalt schaffen, in der sich viele Nutzer wiederfinden, vom Billig-Smartphone bis zum All-in-one-Rechner mit Alugehäuse. Eventuell findet das System sogar bei IT-Administratoren neue Freunde. Die konnten zwar Microsoft noch nie leiden, aber noch schlimmer finden sie heterogene Systemumgebungen. Tatsächlich ist Windows 8 das erste Betriebssystem, das sowohl auf Smartphones als auch auf Tablets, Desktops und Servern läuft.

Unternehmen, die neue Hard- und Softwareinvestitionen planen, könnten ebenfalls von dem günstigen Startpreis profitieren. Sie kaufen ein Betriebssystem, das beides kann, mobil und stationär, Finger und Maus. Das ist in puncto Investitionssicherheit sicher kein Nachteil. Mit nur wenigen Mausklicks lässt sich die neue und auf Fingerbedienung ausgelegte Kachel-Oberfläche abwählen und ein maustaugliches Windows herstellen, dass Windows 7 ähnelt und doch über die neuen Funktionen verfügt, zum Beispiel über den integrierten Virenscanner, die Fernwartung, die Profilsynchronisation oder die App-Architektur.

Bestehende Apps auf Windows 8 umschreiben lassen

Was die meisten Kommentatoren bislang aber übersehen haben ist, dass das Metro-Design erstmals App-Entwicklern die Möglichkeit gibt, auf dem Desktop des Nutzers zu landen. Der Installationsprozess ist so schlank, wie auf dem Smartphone oder iPad. Die Metro-Kacheln sind in der Lage, direkt Informationen anzuzeigen oder über neue Mails, Kommentare etc. zu informieren, ohne dass der Nutzer die Abwendung öffnet.

Das Marketing sollte Vollgas geben und schnell die bestehenden Apps auf Windows 8 umschreiben lassen. Noch ist der Windows-Store nicht überfüllt. Wer keine eigene App hat könnte auf die Idee kommen via App-Sponsoring in die Dauerkommunikation mit Endnutzern zu treten. Man stelle sich eine kostenlose Textverarbeitungs-App vor, die oben links anstelle des Windows-Logos den Schriftzug von MontBlanc trägt und über Gamefication und Social Media auch noch Kontakt zum Markenuniversum des Füller-Herstellers hält.

Es bleibt dabei: Windows 8 ist ein wichtiger Meilenstein für Microsoft, aber längst nicht der letzte Pfeil im Köcher. Und so weit ab vom Ziel ist er nicht gelandet. Und was das Image angeht: Apple und Google geben sich gewaltig Mühe, so böse zu erscheinen, wie Microsoft in den Neunzigern war. Vielleicht tut es dem Balmer-Unternehmen ja gut, mal eine Zeit lang als Underdog da zustehen. Als 80-Milliarden-Umsatz-im-Jahr-Underdog.