Merger: Eine kulturelle Integrationsaufgabe

Unternehmensberatungen dringen ins Marktumfeld der Agenturen ein, es herrscht Kauflaune: IBM Interactive Experience (IBM iX) kauft Aperto und Ecx.io, Deloitte Digital kauft Heat, PricewaterhouseCoopers LLP plant die Übernahme digitaler Kreativagenturen in Europa und Asien. Diese jüngsten Offensiven der großen Beratungsfirmen sind als höchst sinnvoll anzusehen
Wolf Ingomar Faecks (© SapientNitro)

Digitalagenturen verfügen über eine gute technische Grundaufstellung und bekommen durch Übernahmen eine massive Skalierungsumgebung dazu, die es erlauben könnte, Großprojekte stärker international zu liefern. Außerdem erhalten sie hochkarätige Zugänge zu Kunden der Beratungsfirmen. Auch die bis dato schwache Marktrelevanz im digitalen Kommunikationsgeschäft sollte sich für die Beratungsfirmen durch Agenturkäufe erheblich erhöhen. Gut für beide Seiten.

Gelingt es, die Kulturfrage zu lösen?

Eine Frage stellt sich allerdings: Passen Beratungen und Digitalagenturen kulturell zusammen? Das muss sich erst zeigen. Wenn es Beratungen und Digitalagenturen nicht gelingt, die Kulturfrage zu lösen, können sie vielleicht finanziell erfolgreich sein, aber sie bleiben auf derselben Entwicklungsstufe stehen.

Traditionell liegt der Fokus von Agenturen stärker auf Gestaltung und Implementierung, während Beratungen meist auf einem vorgelagerten, strategischen, prozessualen und finanziellen Level operieren. Analytisches Denken und strukturierende Arbeitsweisen stehen bei Beratungen im Vordergrund. Agenturen hingegen sind geprägt von einer Hands-on-Mentalität und agilen Arbeitsweisen, was seinen Ursprung in der Komplexität der Aufgabenstellungen hat, die meist deutlich interdisziplinärere und heterogenere Teams voraussetzt.

Change-Agents benennen

Um integrierte Services zu schaffen, Kollaboration zwischen den Teams sicherzustellen und eine Paralysierung des kleineren Partners zu vermeiden, bietet es sich an, darauf zu bestehen, zu Beginn der Partnerschaft eher ein Assoziierungsmodell anzustreben. Es belässt beiden Seiten ihre Unabhängigkeit, ermöglicht aber durch integrative Maßnahmen ein gegenseitiges Kennenlernen und Sich-Annähern.

Das Benennen von Change-Agents auf beiden Seiten, die die jeweiligen Unterschiede des anderen analysieren und weitergeben, hat sich bewährt, genauso wie das selektive Aufbauen von Pionier-Teams, die erste gemeinsame Erfahrungen in Kundenprojekten sammeln und diese dann intensiv auswerten und kommunizieren. Das bringt einen erheblichen internen Change-Aufwand mit sich und braucht auf beiden Seiten eine Kultur der Lernbereitschaft, der Flexibilität und des Experimentierens.

Strategische Partnerschaften werden wichtiger

Die Gefahr bei Integrationen, der rein funktionalen und finanzorientierten Sicht untergeordnet zu werden, ist allein auf Grund der erheblichen Größenunterschiede und des Machtgefälles immens. Um weiterhin marktfähig und selbständig zu bleiben, müssen Agenturen sich zukünftig noch stärker auf ihre Kernkompetenzen und ihren Wettbewerbsvorteil fokussieren, der in ganzheitlichen, Customer Experience-getriebenen Kommunikations- und Engagement-Lösungen liegt, die aus dem Markenverständnis heraus entwickelt werden. Hierbei dient die Technologie-Komponente als Enabler und nicht als funktionaler Selbstzweck.

Agenturen müssen sich hier als strategische Berater und gleichberechtigte Sparringpartner etablieren. Dies bedeutet den Ausbau ihrer Beratungs-, IT- und Technologiekompetenzen durch interne Ausbildung oder Outsourcing, um neben Beratungen als strategische Partner wahrgenommen zu werden. Auch werden intelligente strategische Partnerschaften und Netzwerke zunehmend an Bedeutung gewinnen.

Von Digitalagenturen lernen

Heute werden Innovationskraft und -geschwindigkeit, Flexibilität und das Verlassen eingefahrener Wege zum überlebensnotwendigen Imperativ. Beratungen können hierbei entscheidend von Digitalagenturen lernen: Durch die Customer Experience getriebene Nähe zum Konsumenten können Digitalagenturen helfen, klassische Beratungsprojekte um die Experience-Aspekte anzureichern und so relevantere Produkte, Prozesse oder Lösungen entwickeln, die nicht allein technischen, funktionalen oder finanziellen Ansprüchen genügen. Auch das Verständnis, welche Rolle Kommunikation im digitalen Raum zum Beispiel im Umfeld einer E-Commerce-Lösung spielen kann, werden Digitalagenturen in die Partnerschaft einbringen.

Die nächsten drei bis fünf Jahre werden hinsichtlich Übernahmen spannend bleiben und wir werden sicher den einen oder anderen Dienstleister schwach werden sehen im Anblick der wirtschaftlichen Verlockung einer Übernahme. Auch Kooperationen beziehungsweise Netzwerke können immer wichtigere Synergiepotenziale bieten. Hinzu kommt das steigende Interesse von Unternehmen, Expertise aus einer Hand zu kaufen. Wir werden daher zukünftig sowohl vermehrt Zusammenschlüsse von Beratungen mit Agenturen sehen als auch Zusammenschlüsse von Digitalagenturen zu eigenen Netzwerken.

Neue Dynamiken im Start-up-Umfeld

Ein ebenfalls spannender Trend, der sich abzeichnet und erfolgsversprechend ist, ist der Zusammenschluss mit beziehungsweise die Akquisition von Start-ups. Hier werden in den nächsten Jahren neue Dynamiken entstehen. Sowohl Beratungen als auch Agenturen werden von der spielerischen, iterativen und experimentellen Arbeitsweise von Start-ups lernen können und so ihre Technologieexpertise vertiefen und ihre Innovationsfähigkeit steigern. Die Verbindung von spezifischer Branchenkenntnis, Konsumenten-Know-how und digitaler Expertise klingt nach einem erfolgsversprechenden Modell.

Zum Autor: Wolf Ingomar Faecks ist Geschäftsführer und Vice President SapientNitro Kontinentaleuropa und Präsident des Gesamtverbandes Kommunikationsagenturen GWA.