Marketing in rezessiven Märkten

Unternehmer und Investoren in Deutschland sind immer noch von der Illusion geprägt, dass es ständig bergauf geht. Fast hilflos sind daher die Reaktionen auf die derzeit verlangsamte Konjunktur. Kaum ein Unternehmen, das eine Strategie für das Handeln auf rezessiven Märkten hat. Hier ist ein Ansatz gefragt, der alle Bereiche des Unternehmens einbezieht.

Eine Frage vorweg: Wer hat Unternehmern und Investoren bei der Gründung ihrer Firmen eigentlich garantiert, dass es ständig bergauf geht? Diese Frage drängt sich auf, wenn man in die Unternehmen schaut und die
fast hilflosen Reaktionen auf eine verlangsamte Konjunktur erlebt. „Personalkosten runter!“ ist die am häufigsten zu hörende Parole. „Strukturen abbauen!“ steht im Ranking an zweiter Stelle. Mehr kommt selten. Vielleicht liegt es daran, dass wir über 50 Jahre Erfolg mit Wachstums-Strategien hatten und kaum ein Unternehmen eine Strategie für das Handeln auf rezessiven Märkten in der Schublade hat.

Daher möchte ich fünf Statements zur Diskussion stellen:

  • Auch temporär rezessive Märkte und Umsatzrückgang sind im Leben von Unternehmen etwas durchaus Normales.
  • Rezessive Märkte bedeuten allerdings eine völlig veränderte Ausgangslage.
  • Dieser veränderten Ausgangslage ist mit operativen Mitteln alleine nicht zu begegnen.
  • Auch Strategien wie „Mehr vom Gleichen“ aus der Wachstumsphase helfen nicht weiter.
  • Deshalb sind ein ganzheitlicher Ansatz sowie andere Strategien und operative Maßnahmen erforderlich.

Drei Entscheidungen stehen am Anfang:

  1. Zunächst muss auf der obersten Ebene eine eindeutige Entscheidung zur aktuellen Unternehmens-Strategie fallen: Wie soll auf die veränderte Lage reagiert werden?
  • Die Rezession akzeptieren hieße rationalisieren, Kosten senken und operieren mit temporär unzureichenden finanziellen Mitteln. Ziel: Halten der relativen Wettbewerbsposition.
  • Dagegen halten und den Stand des Unternehmens sichern, auch in einem rezessiven Markt,
    würde bedeuten, intensive und wirksame Kundenbindungs-Programme zu entwickeln und durchzuführen – bei bestehenden Kunden und Kundengruppen Reserven auszuschöpfen sowie den Grad der
    Bedürfnisbefriedigung zu steigern. Motto: Nicht die Preise senken, sondern die Leistung erhöhen. Sämtliche Anstrengungen im operativen Marketing und im Vertrieb sind zu intensivieren. Ziel ist es, die Wettbewerbsposition bei gleichbleibendem Umsatz im Verhältnis zur Konkurrenz zu verbessern.
  • Die Marktanteile im Restmarkt erhöhen würde ganzheitliche Aktionen aus dem Marketing und dem Verkauf erfordern. Die Geschäftsleitung müsste eine deutliche
    strategische Entscheidung für eine der
    drei Alternativen treffen: Verstärkte Marktdurchdringung, Markterweiterung oder
    Produktentwicklung? Der Aufwand beim Mitteleinsatz ist erheblich. Ziel:
    Verbesserung der zukünftigen Wettbewerbsposition in einer Zeit, in der alle
    nur an Abbau denken.
  • Das Marketing braucht ganz klare Vorgaben für die aktuelle Politik:

    Bei einer verstärkten Produktorientierung konzentriert sich die Vermarktung darauf, immer neue Kunden und Anwendungsgebiete für das Produkt zu finden – oder für neue Produkte. Bei einer verstärkten Kundenorientierung geht es darum, immer neue Problemlösungen und Dienstleistungen an die Kunden heranzutragen. Auf jeden Fall muss es aber heißen: Raus aus der unverbindlichen Produktion von Hochglanzprospekten und Anzeigen oder „Events“, hin zu einer eindeutigen und konsequent umgesetzten Politik! Das geht nur selten für beide Aufgaben gleichzeitig.

  • Im härter werdenden Konkurrenzkampf werden die Antworten auf zwei Kundenfragen immer wichtiger: Warum soll ich gerade dieses Produkt kaufen und warum soll ich gerade mit diesem Unternehmen zusammenarbeiten? Das ist nicht alleine mit „Facts and Figures“ zu beantworten. Die „weichen“ Faktoren gewinnen explosionsartig an Bedeutung: Wer sind wir? Was bieten wir? Was wollen wir?
    • Wer sind wir?
      Ein leistungsfähiger Großbetrieb, der alle Probleme lösen kann? Oder ein
      Familienunternehmen, bei dem sehr persönliche Ansprachen die Regel
      sind? Sind wir verlässlich, zukunftsorientiert, kostenbewusst? Was erwartet
      einen Kunden bei uns? Spürbare Kundenorientierung? Wie zeigt sich das?
      Wie kurz oder lang sind die Entscheidungswege? Wie groß ist die Problemlösungs-Kompetenz?
    • Was bieten wir?
      Was können wir besser als die Wettbewerber? Was machen wir anders als diese, und zwar nicht nur bei unseren Produkten, sondern auch bei anderen Elementen, beispielsweise dem Vertrieb? Welche Added
      Values
      sind mit einer Partnerschaft mit uns verbunden?
    • Was wollen wir?
      Und zwar im wohlverstandenen Interesse unserer Kunden: Unabhängige,
      umfassende und fachlich hochstehende Beratung? Temporäre Allianzen
      zum beiderseitigen Nutzen? Betriebliche Probleme lösen?
      Unternehmerische Probleme lösen? Vor allem wollen wir Outside-In-Denken und nicht Inside-Out. Wie zeigt sich das?

    Die operative Ebene

    In der Produktpolitik wird es darum gehen, mit Hilfe der Portfolio-Technik unrentable Ertragspotenziale herauszufinden, dort – und nur dort – Mittel abzuziehen und erfolgreiche Ertragspotenziale (Produkt-Markt-Felder) zu unterstützen.

    In der Kundenpolitik das gleiche Vorgehen: Wo sind unrentable Kunden oder Kundengruppen ohne Entwicklungsmöglichkeiten zu finden? Dort kann man Strukturkosten abbauen und auf interessante Kunden oder Kundengruppen umlenken. Welche neuen Zugangswege zum Markt können wir erschließen? Alles war einmal neu: Selbstbedienung, Geld aus dem Automaten, Tiefkühl-Heimdienste, Tele-Shopping. Haben Unternehmen neue Ideen – und den Mut dazu?

    Vielleicht müssen die Entlohnungssysteme im Aussendienst umgestellt werden?

    Welche Kriterien ließen sich, statt der üblichen Umsatz-Provision, für den variablen Teil aufstellen? Wie gut ist das Steuerungssystem für den Aussendienst und wie konsequent wird es angewendet? Brauchen Ihre Kämpfer draußen im Feld in dieser schwierigen Zeit andere, eher emotionale Motivationsfaktoren? Wie steht es mit einem anderem Schulungsprogramm?

    Was sagt unsere Kundenstruktur-Analyse? Wer hat noch ungenutzte Reserven bei den kleinen Kunden? Wer bei den großen? Und in welchen Branchen? Was sagt eine Analyse der Auftragsgrößen und der Auftragshäufigkeit? Wo verschenken wir Chancen?

    Auch auf der Kostenseite gibt es mehr Möglichkeiten als nur die Personalreduzierung: Eine konsequente Sortiments-Analyse zum Beispiel. Desgleichen die Bereinigung der Kundendatei. Und ist es möglich, die Debitoren-Laufzeiten zu verkürzen und damit die Kapitalbindung und die Zinsbelastung zu verringern? Welche Dienstleistungen bieten wir an, ohne den Akzeptanzwert messbar zu erhöhen? Alles muss auf den Prüfstand.

    Und die Organisation? Ist sie noch streng hierarchisch gegliedert und schon nach Funktionen unterteilt? Das schnelle und konsequente Umschalten auf eine prozessorientierte Organisation führt zu Schlankheit und Schnelligkeit und damit zu weiteren Vorteilen, die sich im schwierigeren Markt nutzen lassen.


    Fazit

    Unternehmer haben in den vergangenen 200 Jahren zuerst gelernt, in den Kategorien von Umsatz minus Kosten gleich Ertrag zu denken. Dann kam die strategische Unternehmensplanung mit der individuellen Steuerung von Ertragspotenzialen ins Spiel. Letzter Schritt: Die ganzheitliche Denkweise, die die „Strategos“ auszeichnet. Rezessive Märkte erfolgreich zu bearbeiten heißt deshalb nicht ohne Grund: Von der Konkurrenz im Handeln zur Konkurrenz im Denken!



    Autor: Hans-Georg Lettau, Unternehmensberater München
    eingestellt am 20.01.2003