Manomama-Gründerin Sina Trinkwalder: „Jeder Kunde hat ein Recht auf saubere, unblutige Ware“

Mit Manomama hat Unternehmerin Sina Trinkwalder die erste ökosoziale Bekleidungsproduktion der Textilbranche gegründet. Mittlerweile beschäftigt die ehemalige Werbeagenturchefin in Augsburg mehr als 100 Näherinnen – überwiegend Frauen über 50 Jahre, Alleinerziehende oder Migranten. Ihr „social Business“ sieht sie als gesellschaftspolitisches Statement für gemeinhin Chancenlose. Die Gier und das Marketing traditioneller Modefirmen und das Greenwashing von Konzernen geißelt die geläuterte Kreative: „Ich halte in der Wirtschaft, insbesondere in der Werbung, einen völligen Umbruch für zeitgemäß. Es gilt, mehr in die Wertschöpfung statt in die Marke zu investieren.“ Mit der nachhaltig wirtschaftenden Gründerin sprach absatzwirtschaft-Redakteur Thorsten Garber nach einem Rundgang durch die florierende Fertigung.

Frau Trinkwalder, welche Klientel für ökosoziale Bekleidung gehört zu Ihrer Zielgruppe – und was will sie speziell?

SINA TRINKWALDER: (schmunzelt) Ach, ja – diese ewige Frage nach Marktorientierung und Kundensicht. Gehen wir doch mal ausnahmsweise davon aus, was ich als Unternehmerin will: Jeder Kunde hat ein Recht auf saubere, unblutige Ware. Das ist doch auch eine griffige Positionierung, nicht wahr?! Zu unserer Zielgruppe gehört ein breites Spektrum an Kunden: Auch Hartz-IV-Empfänger sparen monatelang für unsere Jeans, und ein Reicher hat schon mal fünf Stück auf einmal bestellt. Zielgruppen-Definitionen finde ich heute mittlerweile sinnfrei. Die klassische Clusterung funktioniert nicht mehr. Heutige Milieus passen einfach nicht mehr in vorgefertigte Schubladen. Kunden bekommen immer mehr Möglichkeiten.

Wodurch sich ihre Einstellungen schneller ändern, sie unberechenbarer werden und was für die Manomama-Zielgruppen bedeutet?

SINA TRINKWALDER: Genau. Sie sind Orchideenthemen-orientiert. Es gibt keine Grundeinstellung, sondern viele Detaileinstellungen. Sie finden Zwangsarbeit schlecht, aber Ikea geil. Völlig inhomogen. Meine Menschen gehören zu einer Zielgruppe, die sauber kaufen wollen. Dafür benötigen sie selbstverständlich genug Geld. Unsere Jeans kostet derzeit 119 Euro, anfangs aber noch 148 Euro. Je mehr wir produzieren desto günstiger können wir im Preis werden. Dieser Skalierungseffekt tritt schließlich auch bei uns ein. Deshalb kostet unsere Jeans ab Juli nur noch 99 Euro. Das klassische T-Shirt bekommt man auch bei uns für 19 Euro. Ein T-Shirt für 2,99 Euro wie bei Kik geht eigentlich gar nicht, denn ein Kilogramm konventionelles Baumwollgarn liegt derzeit bei 2,60 Euro. Also funktioniert das nur mit
subventionierter Baumwolle wie in den USA. Dort kaufen Modefirmen ein, um die Baumwolle dann in Asien weiterverarbeiten zu lassen.

Bei Ihrer Preiskalkulation und -gestaltung und der Verwendung des Umsatzes pro Kleidungsteil legen Sie Wert auf Transparenz. Welchen Effekt erzielen Sie mit diesem ungewöhnlichen Vorgehen?

TRINKWALDER: Völlige Glaubwürdigkeit. Und (lacht): Uns hat noch nie jemand nach einem Rabatt gefragt. Wir werden in puncto Transparenz noch tiefer gehen – bis hin zum Faden. Textilien sind bis heute total intransparent. Auf unsere Weise bekommen sie ein Gefühl für den Preis.

Sie glauben, damit der Geiz-ist-geil-Mentalität entgegenwirken zu können?

TRINKWALDER: Das kann ich am Beispiel belegen: Ein Kunde rief an, weil ihm unser Hemd mit 99 Euro zu teuer erschien. Ich habe ihn eingeladen, sein Hemd bei uns selbst zu schneidern. Nachdem er diese Arbeit kennengelernt hat kauft er von uns fünf Hemden pro Monat – zum angegebenen Preis.

Jeden Schnäppchenjäger werden Sie durch so einen aufwendigen Lernprozess aber nicht umerziehen können.

TRINKWALDER: Ja, leider sind gerade wir Deutschen durchaus bereit, horrende Preise für Autos zu zahlen, aber nicht für Lebensmittel oder Textilien. Also genug Geld in das zu investieren, was uns sonst unter Umständen sogar krank machen kann. Eigentlich sollten wir alle den Aufwand kennenlernen, der in den Qualitätsbetrieben dahintersteckt. Bei Lebensmitteln bekomme ich das gerade bei Bioland mit.

Als besonderen Service kommen Ihre Mitarbeiter auf Anfrage von Kunden auch zum Vermessen ins Haus. Welche Vorteile bringt dieser Aufwand?

TRINKWALDER: Auch das gehört zu unserer Art, hier unseren Kunden und Mitarbeitern mehr Wertschätzung zu vermitteln. Denn 20 Prozent dieser Verkaufsumsätze geht an die Manomamas und Manopapas, so nennen sie sich selbst. Wir nennen sie mobile Herzen. Sie geben Kunden wichtige Tipps etwa auch fürs Energiesparen beim Waschen. Nur zehn Prozent der Energie wird übrigens bei der Produktion unseres Kleidungsstücks aufgewandt, also 90 Prozent bei der Pflege. Zum größten Mist zähle ich Trockner, denn die verursachen Löcher, und energetisch sind sie eine Katastrophe. Jeans werden darin beispielsweise im Stoff immer dünner.

Ist Ihr Außendienst so modern wie andere Verkäufer unterwegs?

TRINKWALDER: Unser Außendienst hat kein iPad, wenn Sie das meinen. Unsere Mitarbeiter füllen nur den Bestellblock aus und beraten in Klamottenfragen. Auch im Außendienst gilt: Mehr auf die Mitarbeiter zu hören, was sie für ihre Arbeit brauchen und was nicht, halte ich für ratsam.

Können Sie in der Produktion auch so auf die Wünsche der Belegschaft eingehen?

TRINKWALDER: Tja, mal mehr und mal weniger. Eigentlich sollten die Näherinnen ganze Kleidungsstücke fertigen. Aber dagegen haben sie sich vehement gewehrt. Sie brauchten, weil zum Teil lange nicht richtig im Arbeitsleben verankert, erst einmal mehr Sicherheit. Ein einziger Arbeitsschritt gibt ihnen den nötigen Halt. Manche Mitarbeiterin bekommt schon ein Problem, wenn sich die Stofffarbe ändert. Das mag für Sie und mich schwierig nachvollziehbar sein. Aber Sinnhaftigkeit und Wertschätzung erhalten je nach Standpunkt eine andere Dimension. Für meine Mitarbeiter ist die Sicherheit der unbefristeten Stelle schon ein ganz großes Gut. Sie sind damit wieder Teil der Gesellschaft, können stolz ein Auto kaufen, was andere vielleicht nicht gerade öko finden, und sie lassen es im Urlaub mal so richtig krachen. (schmunzelt) Genauso wie während unserer Betriebsfeier, die erst nach drei Uhr morgens endete.

Der Mensch im Mittelpunkt als Philosophie bedeutet für Sie auch, dass Kunden als Werber für Ihr Unternehmen auftreten. Funktioniert das Empfehlungsmarketing?

TRINKWALDER: Ja, natürlich. Unser Empfehlungsmarketing bringt auch richtig tolle Storys hervor. Ein Kunde hatte sein Teil eine Nummer zu groß bestellt, aber es nicht zurückgeschickt, sondern verschenkt, um uns die Retoure zu ersparen. Diese Kosten wollen wir sowieso gering halten und haben deshalb die Aktion „Vermesse Dich!“ ins Leben gerufen. Aus den eingegangenen Briefen stellen wir sogar ein Buch zusammen. Klasse Fotos sind auch dabei (zeigt auf ihrem Smartphone einen Mann mit freiem Oberkörper), etwa dieses von einem Kunden, der sich im Büro vor seinen Kollegen vermessen hat. Wir sind also kein unpersönliches Unternehmen und deshalb empfehlen uns Kunden auch weiter.

Ihre Mitarbeiter verstehen Sie als Faustpfand. Ist anderen Unternehmern diese Einsicht zuletzt unter dem Druck der Globalisierung abhandengekommen?

TRINKWALDER: Leute kaufen doch letztlich unsere Bekleidung, weil das keine modische Fetzen sind. Vom dicksten Mann bis zur dünnsten Frau bekommen Kunden bei uns ihre Jeans. Wir diskriminieren auch niemanden durch Größen wie das zum Teil bei anderen Modelabels der Fall ist. Wir achten auf Transparenz hinsichtlich der regionalen Wertschöpfungskette und der sozialen Fertigung. Andere Unternehmen könnten das nicht, weil die Stücke ihrer Modelabel nur aus billiger Lohnfertigung kommen. Ich sehe grundsätzlich keine Kehrtwende im Umgang mit Mitarbeitern. Auch Work-Life-Balance gibt es nur für die Besten. Vieles in der Personalführung finde ich verlogen. Letztlich dient vieles von dem nur dazu, mehr Profit zu machen.

Gerne geißeln Sie Greenwashing. Welche besonders dreisten schwarzen Schafe gibt es hier aus Ihrer Sicht?

TRINKWALDER: Dazu gehört für mich die gesamte Automobilindustrie. Blue efficiency – da lache ich mich tot. Statt Green- würde es hier besser Bluewashing treffen. Auch Textilketten agieren ganz böse. H&M warb beispielsweise für extra weiche Mode wie Biobaumwolle. Was ein Quatsch! Viel Greenwashing betreiben auch viele vermeintliche Biohersteller, was treffender als Whitewashing bezeichnet werden muss, weil sie soziale Aspekte unter den Tisch fallen lassen. Die Chemieindustrie ist gar nicht so schlimm wie ihr Ruf, denn die wissen was sie tun und was bei ihnen rauskommt. Tees in Flaschen zu füllen ist idiotisch. Für jede Pampers einen Euro in Impfungen zu investieren klingt für mich nach Socialwashing. Auch Krombachers Biersaufen für den Regenwald mutet nach modernem Ablasshandel an, den ich absolut verwerflich finde.

Welche Widerstände und Chancen sehen Sie für eine neue Wirtschaft, in denen Unternehmen ehrlich und ethisch agieren?

TRINKWALDER: Ich sehe vor allem die Chance, zu ethischmoralischem Handeln zurückzukehren. Es wird höchste Zeit, das Auseinanderklappen der Gesellschaft zurückzudrehen. Widerstände dagegen gibt es natürlich auch dauernd. Kunden wollen grundsätzlich auch ungern auf etwas lieb Gewonnenes verzichten, selbst wenn sie dabei von unehrlichem und unethischem Wirtschaften profitieren. Letztlich leben sogar manche Non-Profit-Organisationen davon, dass andere nicht sauber Wirtschaften. Jeder kämpft für sich. Deshalb glaube ich auch nicht, dass sich die Wirtschaft ganzheitlich umdrehen lässt. Perspektivisch womöglich höchstens ein Viertel aller Unternehmen.

Wie viel Profit erzielen Sie aktuell – und worin investieren Sie den Gewinn?

TRINKWALDER: Wir erzielen zwar keinen Profit, haben das erste Wirtschaftsjahr aber schon mit einer schwarzen Null abgeschlossen. Ein paar Tausend Euro konnten wir schon in Maschinen investieren. Ich selbst beziehe seit drei Jahren kein Gehalt, aber ich brauche auch keins.

Welches Potenzial hat Ihr Modelabel für zusätzliche Warengruppen und Märkte?

TRINKWALDER: Ein riesiges Potenzial. Die entscheidende Frage lautet aber: Was können meine Menschen hier leisten? Grundsätzlich könnten wir unter dem Label Manomama aber auch Schuhe, Brillen oder Autos entwickeln. Textil und Accessoires allein bieten aber schon genug Wachstumsmöglichkeiten.

Was war der Auslöser, was ist der Treiber für Ihr Engagement bei Manomama?

TRINKWALDER: Die Geburt meines Sohnes. Das hat einen Schalter umgelegt. Es hat mir meine Verantwortung für mich und mein Tun bewusst gemacht. Der Treiber heißt Gerechtigkeit. Ich finde es nicht mehr gerecht, wie es in unserem Land zugeht. Als sozial Schwacher zu plärren, bringt’s nicht mehr. Aber auch als Starker nicht. Ich stelle mich auf die Seite der Schwachen, denn die schreien gar nicht mehr. Die täglichen Probleme meiner Mitarbeiter erden mich.

Fürchten Sie nicht, dass Ihr Weltverbesserer-Ansatz nur punktuell hilft, aber es um einen ganzheitlichen Ansatz und Wandel geht, was ein Wirtschaftsethiker jüngst die neue „blaue Ökonomie“ nannte?

TRINKWALDER: Wie geht denn ein Umbruch vonstatten? Einer geht vor und schlägt mit der Machete eine Schneise in den Dschungel. Dann folgen die anderen. Alle drücken heute die Transport- und Energiekosten sowie der Fachkräftemangel. Das sind doch auch gute Argumente für mein social Business. (lacht) Für manchen anderen Unternehmer bin ich vielleicht auch der rostige Nagel im Hintern, der mehr Antrieb verleiht.

Zum Abschluss dann bitte noch Ihr „Wort zum Sonntag“ in Kürze für Unternehmer, Politiker und Arbeitnehmer oder Arbeitslose.
TRINKWALDER: Aber gerne! An alle Unternehmer: Bitte werdet Euch endlich wieder Eurer Verantwortung gegenüber der Gesellschaft bewusst. Liebe Politiker, macht bitte was ihr immer tut: nichts. Lasst die anderen es richten, dann funktioniert es auch. Liebe Arbeitnehmer, habt mehr Mut und versetzt Euch auch mal in die Lage des Unternehmers – vielleicht ist er gar nicht der Ausbeuter, für den Ihr ihn womöglich 40 Jahre lang gehalten habt. An Unternehmer und Arbeitnehmer gerichtet: Sprecht und arbeitet im Betrieb miteinander – am besten auch mal ohne Gewerkschaft und Betriebsrat. Und liebe Arbeitslose, falls Ihr gesund seid, dann erhebt Euch endlich und entzieht Euch nicht aus Egoismus dem Generationenvertrag. In meinem Betrieb arbeiten derzeit nur drei Kerngesunde, alle anderen sind gehandicapt. Allen Beeinträchtigten kann ich eigentlich nichts raten, sondern nur das Beste wünschen. Grundsätzlich stehen bei Arbeitslosen etwa 20 Prozent Faule für die gesamten 100 Prozent. Von den 80 Prozent, die wollen, bekommen aber viel zu viele nie eine Chance, die ihnen Unternehmer geben müssten.

Mehr aus dem Interview mit Textilunternehmerin Sina Trinkwalder von Manomama lesen Sie in der aktuellen absatzwirtschaft-Ausgabe 7–8/2013.