Lokaljournalismus, den Leser gestalten: Wie der Ansatz von Merkurist.de funktioniert

Durch das Internet können sich Medien entfalten wie nie zuvor. Das gilt für etablierte Marken ebenso wie für ganz neue Anbieter. Die zentrale Frage für sie alle lautet, wie sich aus Ideen ein tragfähiges Geschäftsmodell aufbauen lässt. Die absatzwirtschaft hat sich mit Publishern getroffen. In Teil 6 der Serie geht es darum, wie Merkurist.de neue Formen des Lokaljournalismus etabliert.
CEO Manuel Conrad (© Montage: absatzwirtschaft)

Vor vier Jahren ging Merkurist.de online. Eine Lokalzeitung, zunächst für Mainz, bald darauf für Wiesbaden und Frankfurt, die ohne Papier auskommt, aber ihre Leser intensiv einbezieht. Die können selbst Themen vorschlagen, auch Texte und Bilder hochladen. Ideen werden bei Merkurist zu „Snips“, also Schnipseln, um die sich die Redaktion kümmert. Das reicht von „Was ihr zum Rosenmontagsumzug wissen müsst“ über „Warum verkommt der Hauptbahnhof eigentlich so?“ bis zu „Wie geht es mit dem Mainzer Vapiano weiter?“.

„Fast jeder Mensch interessiert sich für das, was unmittelbar um ihn herum passiert.“

Der sogenannte O-ha!-Faktor, ausgedrückt in Prozent und auf der Seite stets sichtbar, spiegelt das Publikumsinteresse wider. Merkurist sei in Mainz „zum Medium mit Gewicht und Relevanz aufgestiegen“, sagt CEO Manuel Conrad, der das Start-up zusammen mit Meik Schwind gegründet hat. Inzwischen gibt es Lokalausgaben in Kaiserslautern, Ottweiler und Idar-Oberstein, zudem Partnerseiten in Ulm, Augsburg und Rhein-Selz. Conrad sieht sich in seiner Einschätzung bestätigt: „Fast jeder Mensch interessiert sich für das, was unmittelbar um ihn herum passiert.“

Auch der Ansatz, Leser direkt einzubinden, habe sich bewährt. „Sie wollen mitbestimmen, worüber berichtet wird, und ihre Erfahrungen, Fragen und Meinungen einbringen.“ Inzwischen haben sich alte und neue Zeitungswelt verbrüdert. 2017 stieg die Mediengruppe VRM („Mainzer Allgemeine“, „Wiesbadener Kurier/Tagblatt“) bei Merkurist ein, wovon sich Conrad engen Austausch, beflügelte Werbevermarktung und Rückenwind für die geplante Expansion verspricht.

Branche sperrt sich (noch)

Am liebsten möchte er das Modell Merkurist mit seinem Newsroom für Community- basierten Lokaljournalismus in allen 401 deutschen Landkreisen und kreisfreien Städten ausrollen. So schnell wie erhofft geht es gleichwohl nicht voran. „Die Veränderungsbereitschaft in der Branche“, stellt er fest, „ist viel niedriger, als ich erwartet habe.“

Die anderen Teile der Serie:

Teil 1: Ab geht die „Post“: Wie ein Chatbot den Online-Journalismus voranbringen soll

Teil 2: Vom „unbeschriebenen Blatt“ zur größten Arbeitgeber-Bewertungsplattform: Was Kununu so erfolgreich macht

Teil 3: Welect baut Online-Werbung ohne Nerv-Faktor

Teil 4: Readly, die Flatrate für Magazinleser: „Lesern geht es um ein möglichst attraktives journalistisches Angebot“

Teil 5: Finanztip.de und das Geschäftsmodell: „Wir machen den Verbraucher zur Macht.“

Weitere Artikel und Interviews gibt es in Ausgabe 04/19, die Sie hier bestellen können

Roland Karle (rk, Jahrgang 1966) schreibt über Marken & Medien, Beruf & Sport. Hat BWL/Marketing an der Uni Mannheim studiert, bei einer Tageszeitung volontiert und arbeitet seit 1995 freiberuflich. Er porträtiert gerne Menschen in Zeilen und Märkte durch Zahlen. Hang zum Naschkater und Volltischler. Im früheren Leben ein fröhlicher Libero.