Lieber Sein als Schein: Welche Marke bin ich?

Heute sind wir so frei wie nie, können viele Entscheidungen völlig selbstständig treffen. Aber auch viele Fehler machen. Der Druck steigt. Fragen über Fragen: Was muss ich bei der Auswahl meiner Arbeitgeber beachten? Wie präsentiere ich mich im Internet? Was ist überhaupt ein guter Lebenslauf?
„So sehe ich mich als Marke. Aber sehen mich so auch die anderen?“

Von Gebina Doeneke

Es gibt kein Entkommen, Flucht ist unmöglich: Egal, wo man gerade sitzt, steht oder geht, überall prasseln heute Ratschläge auf einen ein. Jeder sagt uns, wie wir unser Leben noch besser führen könnten: Die Zeitschrift, zu der man selbstvergessen beim Arzt greift, verspricht sofort eine sportlichere Figur dank neuem Super-Work-out. Die eine App auf dem Handy piept, man solle gefälligst heute noch 980 Schritte gehen, die andere fordert, noch mehr Eiweiß reinzuschaufeln – und endlich mal auf das ganze Fett zu verzichten.   

Tausende Ratgeber kommen jedes Jahr auf den Markt. Alle tragen Titel wie „Fünf Schritte zum Erfolg“, „Sieben Wege an die Spitze“ oder „Zehn Geheimnisse des Glücks“. Was sollen wir noch alles tun, um schneller, schlanker, ordentlicher, erfolgreicher, gesünder zu werden? Seit Kurzem müssen wir auch noch immer achtsamer und biegsamer sein, dürfen bei all dem Stress die Work-Life-Balance und das Yoga nicht vergessen.

Unzählige Simplifyer, Trainer und Coaches versprechen uns, dass jeder alles erreichen, alles verbessern kann: Wohlbefinden, Figur, Beziehungen oder
Beruf. Anders als die Generation der vielzitierten 68er, die vor allem die Strukturen, die Verhältnisse, die Gesellschaft ändern wollten, sollen wir uns durch unseren starken Willen ganz allein selbst optimieren, müssen uns endlich nur aufraffen, eine bessere Version unseres alten Ichs zu werden.

Herrin und Magd in einer Person

Immerhin: Wenn es draußen noch dunkel ist, schreit keine Herrin mehr in meine Kammer, dass ich jetzt aufstehen und den ganzen Tag auf dem Feld schuften muss, um abends eine dünne Suppe und ein Brot zu bekommen. Ich bin auch nicht gezwungen, im volkseigenen Betrieb ein sozialistisches Plansoll zu erfüllen, sondern fühle mich nur verpflichtet, mich jeden Tag aufs Neue selbst zu motivieren, bin also erstmals in der Geschichte der Menschheit Herrin und Magd oder Herr und Knecht in einer Person.

Meines eigenen Glückes Schmied zu sein, ist bisweilen eine Bürde: Wir sind frei, aber manchmal auch überfordert. Dazu kommt der rasende technologische Wandel.  Die Schlagwörter Globalisierung und Digitalisierung fliegen uns um die Ohren – zum Beispiel hat Zalando gerade erst in der Marketingabteilung in Berlin 250 Stellen gestrichen: Die Aufgaben übernehmen künftig Algorithmen beziehungsweise künstliche Intelligenz. Arbeitsforscher gehen davon aus, dass Computer in Zukunft auch immer mehr klassische Jobs erledigen. Schon seit Langem verrichtet Kollege Roboter in den Fabriken die stupiden, weil immer gleichen Arbeiten am Fließband.

Arbeitswelt mit verheißungsvollen Chancen

Biografien wie die unserer Eltern, die früher oft nach Lehre oder Studium 30 Jahre bei der gleichen Firma oder einem großen Staatsunternehmen waren, gibt es immer weniger. Experten gehen davon aus, dass die klassischen festen Arbeitsverhältnisse wohl immer mehr verschwinden, stattdessen gibt es künftig mehr Selbstständigkeit, mehr kurzfristige Engagements.

Doch wer flexibel ist und seine Nische gefunden hat, für den eröffnet die veränderte Arbeitswelt auch viele neue Chancen – und neue Einnahmequellen. Es gibt so viele verheißungsvolle Möglichkeiten: Man kann zum Beispiel heute schon im Englischen Garten in München vormittags drei Stunden surfen und danach noch nachmittags ein paar Stunden vom Laptop aus im Park arbeiten – und das dank Slack oder Skype durchaus effizient. 

Bei vielen Prozessen ist man erstmals nicht mehr an einen Ort gebunden. Für Online-Dienstleistungen wie den Aufbau und die Betreuung von Websites oder die Pflege von Internet-Shops, sind heute schon viele als digitale Nomaden grenzüberschreitend unterwegs. So existiert zum Beispiel in Chiang Mai in Thailand seit Langem eine große internationale Gemeinschaft, darunter viele Deutsche, die dort gemeinsam für eine Zeit wohnen, arbeiten und von dort aus weltweit ihre Online-Geschäfte führen.

Vielfältige Geschäftsfelder im Marketing

Doch nicht nur die Arbeitsbedingungen, auch das Marketing selbst hat sich stark verändert: Man muss heute genauso kreativ sein wie früher, aber mittlerweile gibt es in dieser Branche viel mehr unterschiedliche, sich ergänzende Arbeitsfelder: Von der Suchmaschinenoptimierung über Social Media oder Customer-Relationship-Management bis zum Videodreh –  das Berufsfeld hat sich sehr erweitert. Datenanalysen und die Auswertung werden wichtiger, Ergebnisse sind immer genauer in Zahlen messbar, Werbemaßnahmen können im Halbstundentakt optimiert werden: Der Druck wird dadurch nicht kleiner.

Nun glauben dabei ja viele: Qualität setzt sich von alleine durch. Wer heute gut, flexibel und technisch auf der Höhe der Zeit ist, hat automatisch Erfolg und verdient viel Geld. Das stimmt so allein aber nicht: Gute Leistungen und technisches Know-how sind eher die Voraussetzung für den langfristigen Erfolg, aber keine Garantie. Manchmal kommt es im Leben auch einfach auf Glück und Zufälle an. Und, auch das eine ganz neue Aufgabe: Die Selbstvermarktung wird immer wichtiger. 

Besser kein Bier am Tresen

Was neudeutsch mit „Personal Branding“ überschrieben wird, heißt ja nichts anderes als „Marketing in eigener Sache“. Unsere Präsenz im Internet gewinnt an Bedeutung, sagen Karriereberater. Netzwerke wie Linkedin oder Xing sind nicht mehr wegzudenken. Aber Achtung: Jeder weiß, dass man sich bei Facebook oder Instagram nicht mit Bierglas in der Hand an den für alle einsehbaren Tresen ins Netz stellt. Schon ein kleiner Kommentar unter einen fremden Post kann für die Reputation bedenklich sein: Auch die Personalverantwortlichen in Firmen oder Headhunter nutzen mittlerweile sämtliche Plattformen. Fazit: Ich soll immer präsent sein, darf mir aber keinen virtuellen Ausrutscher leisten.

Doch die wichtigste Sache dabei ist natürlich nicht, wie ich mich im Netz zeige. Viel bedeutender ist die Frage: Wie gestalte ich mein reales Leben, also mein Leben in der Wirklichkeit jenseits aller digitalen Spuren? Heute scheint alles möglich, ich kann meine Familienbeziehungen völlig frei gestalten, mich scheiden lassen oder eben gar nicht heiraten. Auch beruflich habe ich sehr viele Freiheiten – gerade bei der Auswahl des Arbeitgebers. In Zeiten der Vollbeschäftigung in Deutschland steigt zugleich der Druck, dabei ja keine Fehler zu machen. Denn bei einer Fehlentscheidung ist man im Nachhinein immer nur selbst schuld, da hilft dann auch kein Jammern und ein nachträglich gekaufter Ratgeber.

Christian Pape, Gründer und Vorstand der Pape Personalberatung aus München, hat zum Beispiel beobachtet, dass sich viele Bewerber einfach nur einen Job aussuchen, dabei aber vergessen, im Vorfeld auch das Unternehmen sehr gezielt auszuwählen. „Mein Tipp ist es, nicht immer nur auf die Marktführer zu schauen“, so Pape. Oft kann man schließlich bei der Nummer zwei der Branche viel mehr bewegen, und das ist dann wieder gut für den eigenen Lebenslauf – und die online abrufbare Qualifikation.

Allerdings kommt es heute immer weniger auf den perfekten, geradlinigen Lebenslauf an, wichtig sind die erworbenen Fähigkeiten. Robert Neuhann,
Teamleiter für Recruitment bei Xing empfiehlt, eigene Schwerpunkte und die eigene Spezialisierung herauszustellen. Gerade Führungskräfte könnten nicht mehr alles wissen, denn das Wissen wandle sich zu schnell, sie sollten aber Ahnung von allen für das Marketing relevanten Bereichen haben. „Dann muss man aber auch aushalten, wenn die Mitarbeiter in ihren Spezialgebieten mehr können als man selbst“, so Neuhann. Wer sich verändern will, sollte seiner Ansicht nach viele Messen besuchen und viel Energie in die Pflege der eigenen Netzwerke stecken.

Viel Präsenz auf sozialen Plattformen empfiehlt auch Gudrun Herrmann, Leiterin der Unternehmenskommunikation bei Linkedin Deutschland, Österreich und Schweiz. Noch wichtiger als das Anschreiben oder der Lebenslauf sei es heute, auf allen sozialen Kanälen aktiv zu sein, Beiträge zu teilen, sich in Diskussionen einzumischen, um so Personalverantwortliche auf sich aufmerksam zu machen. Auch ein gutes, aktuelles Foto ist ihrer Erfahrung nach in Deutschland immer noch sehr hilfreich.

Peter Matz, der Geschäftsführer der Kreativagentur Loved in Hamburg, einer zu WPP gehörenden Thjnk-Tochter, setzt vor allem auf Vielfältigkeit in seinen Teams. Bei Loved existiert kein fester Kriterienkatalog, den Bewerber erfüllen müssen. Viele Berufsfelder im Marketing haben sich seiner Einschätzung nach professionalisiert – nur auf Seiten der Texter gebe es noch häufiger den Typus des Quereinsteigers. Bewerber packen laut Matz heute viel mehr in Lebensläufe als früher: „Da wird der einfache Thailand-Rucksackurlaub schnell zum interkulturellen Erfahrungsaustausch. Und das ehrenamtliche Engagement entpuppt sich als einfache Vereinstätigkeit.“ Einige schmückten sich in ihren Unterlagen auch mit großen Kampagnen, auf Nachfrage stelle man dann schnell fest, dass sie „halt in einem 30-köpfigen Team irgendwie auch ein bisschen mitgearbeitet haben“. 

Generell ist es ohnehin nicht ratsam, im Lebenslauf zu sehr zu übertreiben – oder im Drang zur Superselbstoptimierung gar etwas zu erfinden. Ist ja online alles sofort überprüfbar.

Nicht immer nur am Tischkicker

Stephan Löw, Geschäftsführer der Topos Personalberatung aus Hamburg, erhält aus der Marketingbranche immer noch sehr aufwendig gestaltete Lebensläufe: Da schicken Kreative blinkende CDs ein – wenn ihm manchmal auch einfach nur eine Word-Datei mit Lebenslauf auf DIN A4 gereicht hätte.

Seiner Beobachtung nach ist die Marketingbranche nicht wechselwilliger als andere, aber das hängt auch von der Unternehmenssparte ab: In der Automobilbranche sieht er immer noch eine große Loyalität der Arbeitnehmer. Für jüngere Generationen ist laut Löw zunehmend das Image einer Firma in der Gesellschaft wichtig, sie legen ihren Fokus gern auf grüne Energieunternehmen, beliebt sind auch junge Digitalfirmen – aber dann stelle der Neuling schnell fest, dass auch bei Facebook und Google hart gearbeitet wird: „Die stehen auch nicht immer nur am Tischkicker …“, so Löw. Für Marketingfachleute ist es seiner Meinung nach extrem wichtig, sich zu fragen: Identifiziere ich mich mit meinem Produkt? Welche Freiheit habe ich? Was kann ich bewegen?

Selbstreflexion sollte heute jeder mitbringen, speziell im Marketing müssen heute oft große Teams geführt werden. Da benötigten Führungskräfte Kompetenzen als Projektmanager und gute Kommunikationsfähigkeiten.

Auf das ehrenamtliche Engagement im Lebenslauf achten – nach amerikanischem Vorbild – heute vor allem neuere, hippe Unternehmen. Headhunter Löw empfiehlt, „schwierige“ Hobbys lieber ganz wegzulassen: Das gelte für die Jagd wie auch für das zeitintensive, politische Engagement. Christian Pape aus München warnt in dem Zusammenhang vor Extremsportarten, „Ausdauersport ist immer gut“, so Personalberater Pape.

Ab einer gewissen Karrierestufe sind dann aber die Hobbys im Lebenslauf ohnehin nicht mehr so wichtig. Stichwort Freizeit: Nun gibt es ja das Vorurteil, die Generation Y achte immer nur auf ihre Work-Life-Balance, sei nicht bereit, ordentlich ranzuklotzen.

Laut Löw sind Führungskräfte schon leistungsbereit: „Die wollen gerne arbeiten, aber das berufliche und familiäre Leben heute besser vernetzen.“ Heute schauten Manager genauer, wie sie den Ausgleich schaffen, beide Bereiche des Lebens sollten passen. „Wenn ich schon wechsle, will ich mich später in dem neuen Unternehmen auch wohlfühlen“, so das Fazit des erfahrenen Personalberaters.

Denn darum geht es ja schließlich immer: Um das Wohlfühlen, um die Balance des Lebens – und um das richtige Maß zwischen den Anstrengungen eines guten Berufs, der im Idealfall eine Berufung ist, und der Muße. Zeit, in der man vielleicht auch einfach mal nichts tut: weder für den Lebenslauf noch für die Selbstoptimierung.