Leistungsschutz, ja und? – Die Taliban, die Hehlerbande und der Qualitätsjournalismus

Mit martialischen Aussagen machen Geschäftsleitung und Vorstand der Axel Springer AG Front gegen Google. Die Netzgemeinde reagiert empört und echauffiert sich über ein Gesetz, das vermutlich gar nichts ändert. Im Gegenteil: Die Verleger werden herausfinden, wie wertvoll ihr Content wirklich ist. Und Google wird merken, dass geschickte Taktik auch etwas mit Fingerspitzengefühl zu tun hat.

Eine Glosse von Frank Puscher

Dieter Jirmann-Heidl trifft den Nagel auf den Punkt. „Wusste gar nicht, dass Springer jetzt komplett auf Comedy umstellt …“, postete er auf Facebook, als er auf Kress-Online gelesen hatte, dass Springer-Vorstand Döpfner im Interview mit der „Zeit“ Google mit einer Hehlerbande verglich.

„Das ist so, als würde eine Hehlerbande bei Amnesty International eine Menschenrechtspetition zur Verteidigung der freien Bürgerrechte beim Ladendiebstahl einreichen“, damit nimmt Döpfner Bezug auf eine Google-Werbekampagne, die sich zum Ziel gemacht hat, dem Google-Nutzer zu suggerieren, dass die Grundfeste von Meinungsfreiheit, Netzpluralismus und Demokratie gefährdet sind, wenn Google für die Darstellung von Inhalten, die andere verfasst haben, plötzlich bezahlen soll.

Annähernd zeitgleich stellte sich auch Springer-Geschäftsführer Keese den kritischen Fragen der Journalisten und verstieg sich zum Statement: „Google ist eine Art Taliban und wehrt sich gegen jede Art von Fortschritt.“ Sinnvollerweise wählte Keese das Branchenblatt Horizont, damit auch ja eine möglichst breite Netzabdeckung der Medienjournalie gewährleistet sei.

Ein Netzunternehmer sieht rot

Die Reaktionen ließen nicht lange auf sich warten. Ibrahim Evsan, Netzunternehmer und landauf, landab gerne gesehener Redner auf Onlinekongressen, sieht rot: „Die Zeitungen/Medien haben schon Muslime zu Terroisten gemacht (langer Bart/Thobe=Terrorist) und nun versuchen sie es auch mit Google.“

David Klett kommentiert dagegen: „In einem Land, in dem es keinen Qualitätsjournalismus mit einer vielfältigen, originellen und furchtlosen Berichterstattung mehr gibt, will ich nicht leben.“ Den Profilbildern nach könnte David Klett, Dr. David Klett sein, der die Unternehmensentwicklung bei Klett Lernen und Information leitet.

Netzvordenker und Journalistenprofessor Jeff Jarvis lässt sich zitieren mit: „Die Verleger erpressen Google“, und Frank Kemper, stellvertretender Chefredakteur des Branchenblattes Internet-World-Business leidet körperliche Schmerzen: „Leute, bei eurer überzeugten Selbstgerechtigkeit bekomme ich Schnappatmung“.

LSR – Lasst sie reden!

Und worum geht es bei dem ganzen Trubel? Um das Leistungsschutzrecht. Kurz gesagt: Die Verlage sind Urheber von Inhalten und wer diese Inhalte oder Teile davon auf eigenen Webseiten verwendet und dadurch Geld verdient, soll den Verlagen etwas abgeben. Google verwendet sehr viele dieser Inhalte und müsste entsprechend viel abgeben.

Soweit nicht sonderlich aufregend. Das meint auch der Bundestag und lässt vergangen Donnerstagnacht eine Handvoll Hinterbänkler über das Thema debattieren und zum Schluss kommt es – natürlich – in einen Ausschuss.

Und dort wird wie folgt diskutiert:

Parlamentarier 1, der Einfachheit halber G. genannt: „Wir verdienen gar kein Geld mit fremden Inhalten sondern nur mit unserer Werbung.“ (Grins)

„Eigentlich müssten die Verlage uns etwas bezahlen, weil durch unsere Links ja die User kommen“. (Hört, hört)

Parlamentarier 2, auch bekannt als V.: „Die meisten User kommen gar nicht zu uns sondern lesen gleich bei euch und zwar unsere hochwertigen Inhalte.“ (Aha)

G.: „Das ist dann eben Pech.“

V.: „Gar kein Pech, das ist eure Markmacht als Monopolist.“
G.: „Wir und Monopolist, nie, es gibt ja noch Y. und B., aber wenn wir so böse sind, dann sperrt doch eure Inhalte einfach.“
V.: „Wenn wir euch sperren, sperren wir alle“.
G.: „Welche alle? Wir sind doch Monopolist.“
V.: „Ach ja?“
G.: „Jetzt aber nicht spitzfindig werden. Informationen im Netz sind frei.“
V.: „Nee, den hochwertigen Qualitätsjournalismus verstecken wir jetzt hinter Bezahlschranken“.
G.: „Na siehste, dann verdienen wir doch beide“.
V.: „Ja schon, aber wir wollen mehr“. (Nu isses raus)
G.: „Wir auch“.

V.: „Dann machen wir halt eine Kampagne“.
G.: „Wir auch“.
V.: „Das dürft Ihr gar nicht, Ihr seid keine Journalisten“.

G.: „Das ist dann eben Pech“.

Es meldet sich Parlamentarier 3 zu Wort und outet sich als Blogger: „Muss ich dann auch bezahlen, wenn ich zum Beispiel einen Artikel zitiere, in dem ich selbst von einem Verlag zitiert worden bin?“

G. und V. wenden langsam die Köpfe.
Parlamentarier 3: „Ich geh dann mal schnell einen Energydrink holen.“

Fazit: Was soll das?

Mittlerweile sind selbst die hartnäckigsten Verfolger des Live-Stream von der Ausschussdebatte weggenickt oder haben auf „The Voice of Germany“ umgeschaltet.

Was soll das? Ist es den Verlagen vorzuwerfen, wenn man versucht, die Content-Zitrone auf den letzten Cent auszupressen? Natürlich nicht. Allerdings wird der User entscheiden, für welche Inhalte er bezahlen will und es kann sein, dass der Qualitätsjournalismus im täglichen Redaktionsalltag nur einen ganz, ganz kleinen Platz einnimmt. Nachrichten – so viel steht fest – sind kein knappes Gut und der unterzeichnende studierte Volkswirt weiß, dass es dann keinen so guten Preis dafür gibt. Unterdessen befinden sich die Verlage in einem Gefangenendilemma: Wenn nur ein Burda, Spiegel, G&J, Handelsblatt oder vielleicht gar Springer ausschert und sich mit Google auf eine unentgeltliche Verlinkung einigt, müssen alle nachziehen.

Ist es Google vorzuwerfen, dass man sich um deutsches Urheberrecht oder das Pressegesetz nicht schert, solange sich keine Behörden finden, die dagegen vorgehen? Tatsächlich könnte aber gerade die aktuelle Lobby-Kampagne dann doch die Deregulierungsbehörden auf den Plan rufen um mal zu prüfen, welche publizistische Macht der Konzern wirklich hat. Man würde wohl posthum von einem Eigentor sprechen.

Ist es dem Blogger vorzuwerfen, dass er Angst hat, die wenigen Werbecent, die er durch Googles AdSense einnimmt auch noch mit den Verlagen teilen zu müssen. Und tut er das nicht, dann steht er mit einem Bein im Knast. Früher wäre ihm das nur einen Blogpost wert geworden, aber auch der gemeine Blogger hat inzwischen Familie und Zweitwagen. Übrigens sei der Mann beruhigt: § 51 und folgende des Urhebergesetzes sehen vor, dass zitiert werden darf, wenn das Zitat einem „besonderen Zweck“ dient. Die Erläuterung eines Zitats oder die kritische Auseinandersetzung damit kann als solcher Zweck verstanden werden. Will sagen: Zitat im Blogpost mit dazu passendem Inhalt: Gut. Unkommentierter Newsticker in der Randspalte: Doof.

Bälle flach halten, dem Säbelrasseln zuschauen

Was bleibt also, liebe Netzgemeinde? Sollte es ein LSR geben, werden die Artikel der Redaktionen zu Markpreisen bewertet. Einerseits durch die Wirkung der Paywalls, andererseits durch das Conversion-Tracking von Google. Dann können wir endlich einmal fundiert darüber diskutieren, wie das Internet die Gesellschaft und deren Medien-Nutzungsverhalten beeinflusst.

Bis dahin: Bälle flach halten, Tüte Chips aufmachen und dem amüsanten Säbelrasseln der Informationsgiganten zuschauen. Da kommen tolle Weisheiten raus wie:

V.: „Döpfner geht davon aus, dass mit der Einführung der Bezahlschranke auch die Anzeigenpreise steigen werden, weil im Werbemarkt erfahrungsgemäß ein zahlender Leser mehr wert sei als ein nicht zahlender.“

Oder:
G.: „Das Gesetz macht es deutlich schwieriger, die im Internet verfügbaren Inhalte aufzufinden. Das hemmt die Produktivität der Wirtschaft, gefährdet Arbeitsplätze und wirft den Standort Deutschland im internationalen Wettbewerb zurück, zu Lasten von Innovationen und Investitionen.“

Oder:
Agatha Christie: „Ich konnte Journalisten nie leiden, ich lasse sie in meinen Geschichten immer sterben“.

Oder wir wählen die Guerilla-Variante, schalten das Internet aus und kaufen uns wieder Tageszeitungen, am besten amerikanische. Das würde die da oben ziemlich durcheinanderbringen.

– Frank Puscher –

P.S. Ich würde die Leser herzlich bitten, diesen Artikel weder zu teilen noch zu zitieren, da ich unautorisiert Zitate Dritter verwende, die ggf. ihr Leistungsschutzrecht gegen mich, Google und den Verlag geltend machen könnten. In Belgien haben sich die Zeitungsverlage mit dem Suchmaschinenriesen Google nach einem heftigen Kräftemessen inzwischen geeinigt: siehe internetworld.de.