Lateinamerika bleibt attraktive Region für internationalen Einzelhandel

Die Liste der vielversprechendsten Investitionsziele für den internationalen Einzelhandel führt Chile an und verdrängt Brasilien von der Spitzenposition auf Platz 5. Auf den Plätzen 2 und 3 stehen China und Uruguay, wie der „Global Retail Development Index 2014“ der Unternehmensberatung A.T. Kearney zeigt. An Bedeutung gewinnt Subsahara-Afrika: Mit Nigeria, Botswana und Namibia schafften es drei Länder unter die Top 30.

Untersucht wurde die Attraktivität von 30 Wachstumsmärkten für Handelsunternehmen. Lateinamerika behauptet sich als attraktive Wachstumsregion für internationale Handelsunternehmen und ist mit acht Ländern vertreten: Chile, Uruguay, Brasilien, Peru, Panama, Kolumbien, Costa Rica und Mexiko. Insgesamt gab es bei der Expansion in Wachstumsmärkte den Unternehmensberatern zufolge weniger Fehlschläge als in den letzten Jahren, da internationale Einzelhändler deutlich an Erfahrung gewonnen hätten. Neuer Druck komme vonseiten der regionalen Einzelhändler, die ihre räumliche Nähe als Wettbewerbsvorteil nutzen, um sich Marktanteile in benachbarten Märkten zu sichern.

Chile bietet wirtschaftsfreundliches regulatorisches Umfeld

Chiles Bruttoinlandsprodukt (BIP) wuchs im Jahr 2013 um 4,4 Prozent; dieses Wachstum wird sich laut A.T. Kearny-Studie voraussichtlich bis 2016 fortschreiben. Die Einzelhandelsumsätze betrugen im Jahr 2013 knapp 100 Milliarden US-Dollar und werden in den nächsten vier Jahren voraussichtlich um knapp 13 Prozent zulegen. Chile verfügt außerdem über einen vergleichsweise entwickelten E-Commerce-Markt. Sieben von zehn chilenischen Internetnutzern haben im Jahr 2013 bis zu sechs Onlinekäufe getätigt. Dr. Mirko Warschun, Partner bei A.T. Kearney und Leiter des weltweiten Beratungsbereichs Handel, ergänzt: „Investitionen in die Infrastruktur und ein wirtschaftsfreundliches regulatorisches Umfeld deuten ebenfalls darauf hin, dass der Handel in Chile weiter wachsen wird.“

Auch Subsahara-Afrika gewinnt weiter an Bedeutung. Mit Nigeria, Botswana und Namibia schafften es gleich drei Länder der Region unter die Top 30 des GRDI 2014. Warschun kommentiert: „Die Region Subsahara-Afrika bietet ein riesiges Potenzial für Einzelhandelsunternehmen. Über fünf Prozent Zuwachs beim Bruttoinlandsprodukt, steigende Haushaltseinkommen, die schnelle Urbanisierung und die wachsende Mittelschicht bieten hervorragende Rahmenbedingungen für expansionswillige Einzelhändler.“

Regionale Händler gewinnen an Bedeutung

Insgesamt gab es im vergangenen Jahr zwar auch einige rückläufige Entwicklungen – Walmart hat sein Portfolio in China und Brasilien reduziert, Tesco seine Aktivitäten in China zurückgefahren – doch die meisten globalen Einzelhandelsunternehmen drängen weiterhin in die Wachstumsmärkte. Warschun erklärt: „Unsere Studie hat gezeigt, dass die Unternehmen ihre Expansionspläne in den Wachstumsmärkten erfolgreicher umsetzen konnten als in den vergangenen Jahren. Als hilfreich erweist sich auch die zunehmende Verbreitung des E-Commerce. Dadurch können Anbieter einen Markt testen und die eigene Marke mithilfe von Online-Angeboten aufbauen, bevor sie die ersten Ladengeschäfte vor Ort eröffnen.“ Von dieser Entwicklung profitieren auch bereits deutsche Unternehmen, wie die Investition des Berliner Internetunternehmens Rocket Internet in den nigerianischen Onlineshop Jumia zeigt.

Ein weiteres Ergebnis der Studie: Regionale Einzelhändler entwickeln sich zu wichtigen Playern in Wachstumsmärkten, weil sie ihre räumliche Nähe als Wettbewerbsvorteil nutzen, um sich Marktanteile in benachbarten Märkten zu sichern. So verfolgen die chilenischen Unternehmen Falabella und Cencosud aggressive Wachstumspläne mit dem Ziel, ihre Präsenz in ganz Lateinamerika auszubauen. Weitere Beispiele sind LuLu Hypermarkets und Majid Al Futtaim aus den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE), die in der gesamten Golfregion expandieren. Die südafrikanischen Unternehmen Shoprite und Woolworths gehörten zu den ersten Anbietern, die mit der Expansion nach Nigeria, Botswana und Namibia auf den Bedarf an modernen Einzelhandelsangeboten in der Subsahara-Region reagiert haben.

Studien-Ergebnisse für die einzelnen Regionen

Süd- und Lateinamerika

Viele Länder Süd- und Lateinamerikas sind mit ihrer wachsenden Mittelschicht ein lukrativer Markt für Handelsunternehmen. So konnte die Region ihre Führungsposition im Global Retail Development Index 2014 behaupten und ist mit drei Ländern unter den Top 5 vertreten. Dazu gehören Brasilien (5) mit seinem riesigen Markt, Chile (1) mit einem anspruchsvollen Markt mittlerer Größe und interessante kleine Märkte mit steigendem Wohlstand wie Uruguay (3), die besonders für Luxusmarken interessant sind. Während einige Länder der Region noch mit wirtschaftlichen und politischen Schwierigkeiten zu kämpfen haben, hat die wirtschaftliche und politische Stabilität in den führenden Ländern das Vertrauen von Verbrauchern und Investoren gestärkt. Handelsunternehmen finden somit ein zunehmend positives Umfeld vor.

In Süd- und Lateinamerika gewinnen internationale Handelsunternehmen immer mehr an Boden in stark umkämpften Märkten, wo sie mit lokalen und regionalen Marktführern konkurrieren. Am intensivsten ist dieser Wettbewerb außerhalb der Hauptstädte, wo sich neue Märkte entwickeln, weil die Verbraucher nach modernen Retail-Formaten verlangen.

Ende Juli 2014 startete der Outdoor-Hersteller Jack Wolfskin mit einem ersten Laden in Chile und plant, in Zusammenarbeit mit dem Vertriebspartner Heightsport die Expansion in Südamerika auszuweiten. Das Modeunternehmen Gerry Weber hat im letzten Herbst gemeinsam mit einem Partner sein erstes Geschäft in Chiles Hauptstadt Santiago de Chile eröffnet.

In Brasilien will unter anderem der Hamburger Betreiber von Einkaufszentren, ECE, wachsen. Für 240 Millionen Euro übernimmt er eine Beteiligung an dem internationalen Shoppingcenter-Spezialisten Sonae Sierra, der vor allem in Brasilien mit Einkaufszentren aktiv ist.

Subsahara-Afrika

Der afrikanische Markt ist gekennzeichnet durch starke regionale Unterschiede. Im Westen, der bevölkerungsreichsten Region des Kontinents, konnten sich internationale Unternehmen wie Walmart und Carrefour etablieren, indem sie Verbraucher mit mittlerem und hohem Einkommen ansprechen, die markenbewusst sind und hohe Ansprüche hinsichtlich Komfort, Qualität und Vielfalt haben.

Der Osten hingegen ist weniger erschlossen und gewinnt zunehmend an Attraktivität, weil in den größtenteils informellen Märkten bisher wenige internationale Anbieter vertreten sind. In der Region dominieren lokale Händler wie beispielsweise Nakumatt in Kenia, Uganda, Ruanda und Tansania und bedienen alle Einkommensschichten.

Im Süden, der am besten entwickelten Region mit besserer Infrastruktur, hohen Einkommen und makroökonomischer Stabilität, verzeichnen südafrikanische Handelsunternehmen mit ihrer lokalen Präsenz und kulturellen Nähe das größte Wachstum. Regionale und lokale Anbieter dominieren auch das E-Commerce-Segment, insbesondere bei wohlhabenden Kunden.

Asien

In Asien gibt es viele Länder mit starkem Wachstum, die ideale Bedingungen für Handelsunternehmen bieten. Eine wachsende Bevölkerung, steigende Einkommen und die zunehmende Affinität zu modernen Handelsformaten führen zu rasant steigenden Umsätzen. Der moderne Einzelhandel ist auf dem Vormarsch, nicht nur in den großen Metropolen, sondern auch in kleineren Städten und weiter entfernten Regionen.

Mehrere asiatische Länder konnten ihre Position im Index verbessern, angeführt von China, das auf den zweiten Rang zurückkehrte, Malaysia (9), das erstmals seit 2009 wieder in die Top 10 aufgestiegen ist, und Indonesien (15), das sich gegenüber dem Vorjahr um vier Plätze verbessern konnte. „Trotz eines langsameren Wirtschaftswachstums kommt heute kein Handelsunternehmen an China vorbei“, sagt Warschun. Der Einzelhandelsumsatz im bevölkerungsreichsten Land der Welt stieg 2013 um 13 Prozent (auf 3,7 Billionen US-Dollar), während das Vertrauen der Verbraucher weiter zunahm.

Beispielsweise investiert der Sportartikelhersteller Adidas nach wie vor in Flagship-Stores in China, auch wenn das Wachstum seines China-Geschäfts im Jahr 2013 auf dem niedrigsten Niveau seit drei Jahren lag. Der Anbieter von Golfbekleidung, Golfino, rechnet zusätzlich zu den bestehenden vier Stores in China für die Saison Herbst/Winter 2014 mit einer Verdoppelung der Points of Sale; pro Jahr sollen fünf bis zehn neue Läden hinzukommen. Das Bekleidungsunternehmen Marc O’Polo hat für China einen Master Franchise-Vertrag mit einem lokalen Partner unterzeichnet. Die Eröffnung des ersten Flagship-Stores ist für Herbst/Winter geplant.

Außerdem im Ranking vertreten sind Sri Lanka (18), Indien (20), die Philippinen (23) und Vietnam (28). Der Unterwäschehersteller Triumph hat im Dezember 2013 seinen ersten Flagship-Store in Neu Delhi eröffnet. Das Einzelhandelsunternehmen Metro will die Anzahl seiner Cash-and-Carry-Märkte in Indien bis 2020 von bisher 16 auf insgesamt 50 erweitern.

Naher Osten und Nordafrika

Der Nahe Osten ist ein dynamischer Markt für den Einzelhandel – mit einer wachsenden und jungen Bevölkerung, starkem BIP-Wachstum und steigenden Werten bei Verbrauchervertrauen und -ausgaben. Die Fußballweltmeisterschaft 2022 in Katar und die Weltausstellung Expo 2020 in Dubai sorgen für einen anhaltenden Boom bei Bau- und Infrastrukturprojekten. Von dieser Entwicklung profitiert auch der Einzelhandel.

Verbraucher in der Region Naher Osten und Nordafrika (MENA) werden immer anspruchsvoller und verlangen nach Einzelhandelsformaten, die besser auf ihre Anforderungen zugeschnitten sind und sich durch interessante, kreative Konzepte auszeichnen. Einige Märkte, besonders Dubai, sind zunehmend gesättigt, daher treiben lokale Entwickler die Expansion in der gesamten Region voran. Im Jahr 2013 haben weniger internationale Unternehmen den Markteintritt gewagt. Anbieter, die bereits in der Region vertreten sind, haben sich auf einen Ausbau ihrer Präsenz und das Wachstum lokaler Marken konzentriert. Laut Prognosen einer PayPal-Studie soll der E-Commerce-Markt in der MENA-Region von neun Milliarden US-Dollar im Jahr 2012 auf 15 Milliarden US-Dollar im Jahr 2015 wachsen.

Der Hersteller von Herrenmode, Olymp, hat bereits 2002 in Abu Dhabi einen ersten Monolabel-Store eröffnet und im März 2014 einen weiteren. Weitere Geschäfte in den Vereinigten Arabischen Emiraten sowie in Bahrain, Katar, Kuweit und Saudi-Arabien sollen folgen.

Zentralasien und Osteuropa

Zu den am höchsten eingestuften Ländern dieser Region gehören einige der interessantesten Kleinode im Global Retail Development Index. Länder wie Armenien (6), Georgien (7), Kasachstan (10) und Aserbaidschan (30) sind aufgrund ihrer geografischen Lage und des noch jungen Einzelhandelsmarktes für internationale Retail-Unternehmen sehr attraktiv. Am anderen Ende des Spektrums hat Russland (12) in der Rangliste einen großen Sprung zurück nach oben geschafft, weil das wirtschaftliche Potenzial des Landes die Risiken wettgemacht hat.

Der vollständige Report steht auf der Homepage des Beratungsunternehmens zum Download zur Verfügung (A.T. Kearny/asc)