Kretschmann über digitale Infrastruktur und die Abhängigkeit von Amazon & Co.: „Geld ist nicht das Problem“

Baden Württemberg möchte Vorzeigeregion in Sachen künstliche Intelligenz und Start-ups werden. Im Gespräch mit der absatzwirtschaft spricht Winfried Kretschmann, Ministerpräsident von des Bundeslandes, über die digitale Infrastruktur und Leuchtturmprojekte. Außerdem verrät der Grünen-Politiker, warum es die klügsten Köpfe künftig nach Tübingen ziehen könnte.
Winfried Kretschmann, Ministerpräsident von Baden-Württemberg (© © imago/Future Image)

Das Interview führte Frank Puscher

Herr Ministerpräsident, die Landesmittel fließen vor allem in acht Leuchtturmkonzepte, aber wäre es nicht wichtiger, die digitale Infrastruktur im Land zu verbessern?
Das Netz wird zügig ausgebaut. Das Problem wird gelöst, die Frage ist nur, wie schnell. Wir müssen Kabel legen, Masten aufstellen. Das machen wir mit maximalem Tempo. Die Bremse ist inzwischen, dass wir nicht genug Unternehmen haben, die das machen. Das Geld ist nicht das Problem. Das Tempo ist da, wir beschleunigen das so gut wir können. Wir haben im Wirtschaftsministerium eine Taskforce eingerichtet, die den drei Mobilfunkunternehmen – die ja eine Ausbauverpflichtung haben – bei der Standortsuche hilft. Oftmals scheitert es bei der Identifikation der richtigen Standorte. Da müssen wir noch besser werden.

Aber noch einmal: Ist es nicht wichtig, eine flächendeckende Digitalisierung des Landes voran zu treiben, statt nur Leuchtturmprojekte anzuschieben?
Man darf den zweiten Schritt nicht vor dem ersten machen. Unser Problem ist erstmal: Wir müssen das sichtbar machen. Alle reden nur über Berlin. Es geht darum, dass wir international sichtbar machen, dass hier im Land eine internationale Szene heranwächst. Wenn wir uns jetzt gleich im Land verteilen, entsteht diese Sichtbarkeit wieder nicht. Wenn man mal sichtbar geworden ist, dann kann man im zweiten Schritt den Leuten zeigen, dass wir auch unterschiedliche lokale Ökosysteme mit verschiedenen Clustern haben. Dann ist der richtige Zeitpunkt.

Wenn Sie sagen, Ihnen fehlen die Unternehmen zum Mastenbauen und Kabelverlegen: Plädieren Sie für weitere Ausbaugarantien, die an die Versteigerung der 5G-Lizenzen geknüpft werden?
Ich plädiere für eine Lösung, die die Netzbetreiber einerseits verpflichtet, möglichst schnell und möglichst flächendeckend auszubauen und ihnen andererseits auch die finanzielle Kraft dazu lässt.

Die Abhängigkeit von den großen amerikanischen Plattformen – auch in Sachen KI – ist enorm. Amazon ist Hauptverantwortlicher für die Probleme des Einzelhandels vor allem in Städten von der Größe Tübingens. Warum freuen sich alle so, dass die im Cyber Valley mitmachen? Sollte man nicht argwöhnisch sein?
Amazon ist eines von derzeit sieben Partnerunternehmen in der Cyber Valley Initiative. Amazon sucht die Zusammenarbeit mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern im Cyber Valley, weil hier führende Expertinnen und Experten in den Bereichen künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen tätig sind. Im Gegenzug begrüßen die Cyber Valley-Partner das Engagement von Amazon, da das Unternehmen selbst ambitionierte KI-Forschung betreibt.

Bosch hat soeben Pläne veröffentlicht, dass man in den nächsten drei Jahren 3.000 neue KI-Experten einstellen will. Wo sollen die herkommen? Sehen Sie Mängel im Bildungssystem?
Klar. Das ist eine ganz neue Richtung, die jetzt erst entstanden ist. Wir haben eingeführt, dass in allen weiterführenden Schulen Informatik Pflichtfach ist. Medienerziehung beginnt bereits ab der ersten Grundschulklasse. Man sieht, dass wir da den Schwerpunkt aufgenommen haben. Aber da das seine Zeit braucht, um zu wirken, kommt es darauf an, dass wir um die besten Köpfe, die es in der Welt gibt, auch werben. Im Cyber Valley ist das bereits gelungen.

Was sollte die besten Köpfe der Welt dazu bringen, nach Tübingen zu gehen und nicht nach San Francisco oder Tel Aviv?
Mit den Gehältern, die wir auch zum Beispiel im Öffentlichen Dienst bezahlen können, kommt man da nicht immer weiter. Aber wir können gute Bedingungen schaffen: Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Sicherheit, gute Umgebung, super Freizeiteinrichtungen, aber auch kostengünstiges Wohnen. Im Vergleich zum Silicon Valley ist das hier eine paradiesische Welt, was das Umfeld angeht. Davon schwärmen die Leute, die wir hierher geholt haben. Im internationalen Wettbewerb um Talente sind wir mittendrin, da mischen wir mit. Wir können nicht warten, bis die nachwachsen. Wir müssen uns jetzt richtig reinhängen, um beste Bedingungen für die nächste Generation von Unternehmern zu schaffen. Denn schon in wenigen Jahren werden wir eine andere Wirtschaft haben, als heute Und bisher weiß keiner, wie die aussieht.

 

Einige Nachfragen wurden nachträglich per E-Mail gestellt.