Kommunikation auf schmalem Grat

Führen Ethno-Kampagnen zu einer Stigmatisierung, oder werden Migrationszielgruppen in der Werbung zu stiefmütterlich behandelt? Weniger Pauschalismus, mehr Pragmatismus ist gefragt.

von Max Bücker

Das duftet nach großer Zielgruppe und guten Geschäften: An 15,3 Millionen Menschen und somit rund 20 Prozent der Bevölkerung in Deutschland wendet sich das Ethnomarketing. Sie haben einen „Migrationshintergrund“, also ausländische Wurzeln. Rund ein Drittel der zugewanderten Mitbürger stammen aus der Türkei, der russischen Föderation und Polen.

Wenn man diverse Marktstudien von Agenturen und Mediadaten von einschlägigen Publikationen und Sendern näher betrachtet, ergibt sich beispielsweise folgendes Bild: Etwa drei Millionen türkischstämmige Menschen leben hier, bilden rund 700 000 Haushalte und entwickeln eine Kaufkraft von 20 Milliarden Euro, was derjenigen des Saarlandes entspricht. Die Zielpersonen sind im Schnitt seit 21 Jahren in Deutschland und im Durchschnitt 34,6 Jahre alt. Und, ganz wichtig: Türken gelten als sehr markenbewusst und werbefreundlich.

Doch dieses ungeheure Kundenpotenzial wird von der Werbewirtschaft noch immer stiefmütterlich behandelt. So jedenfalls lautet verkürzt gesagt die Botschaft, die vielfach aus spezialisierten Agenturen nach draußen dringt. Zu diesem Schluss kommt Volker Nickel, der nicht Ethnomarketing an sich, sehr wohl aber das bisweilen darum entfachte Trommelfeuer kritisiert. „Es grassiert Pauschalismus“, stellt der Sprecher des Zentralverbands der deutschen Werbewirtschaft (ZAW) fest. Es werde „geclustert“, dass die Marketingwände wackeln – bis die Bürger übersichtlich in Segmente gegliedert seien. Ein prinzipielles Problem, das auch im Marketing mit Migrationsgruppen deutlich in Erscheinung tritt. Nickel: „Türken als ,ethnische Typen‘ zu gewichten, die nach einem festen kulturellen Muster handeln, entspricht nicht den realen Verhältnissen.“

Der Grat erfolgreicher Kommunikation ist schmal, denn Werbung mit ethnischen Elementen fordert den Vorwurf heraus, die Zielgruppe zu klischieren. Zumal Untersuchungen belegen, dass etwa Türken in Deutschland zum Großteil Werbebotschaften in deutscher Sprache gut verstehen. Sehr wohl bietet Ethnomarketing interessante Formen der Marktsegmentierung und des Zielgruppenmarketings, doch es fehlt laut Nickel an Forschung, „wie man einer nahen Gefahr entkommt: dem Abgleiten vom Ethnomarketing zum Ghettomarketing.“

Erfolgreiches Ethnomarketing schafft es, Kundengruppen an sich zu binden. Eine wichtige Voraussetzung dafür sei, dass „die Kommunikation mit ihnen Wertschätzung ausatmet“, sagt Nickel. Die Liste der Unzulänglichkeiten und Fettnäpfchen im Ethnomarketing ist lang: semantische Diskrepanzen bei Übersetzungen, fehlendes Wissen über kulturelle, mentale und emotionale Besonderheiten, verpasste Chancen (zum Beispiel greifen Unternehmen bislang nur vereinzelt Feiertage wie das Ramadan-Fest der Muslime in ihrer Kommunikation auf). Daher raten Experten dringend dazu, im Vorfeld von Ethnomarketingmaßnahmen eine „Kulturanalyse“ zu machen. Guter Wille schützt schließlich vor brisanten Situationen nicht, wie das Beispiel der niederländischen Telekommunikationsfirma KPN zeigt. Sie gab zum 75. Jahrestag der türkischen Republik eine Telefonkarte mit dem Porträt von Staatsgründer Kemal Atatürk heraus, bedachte aber nicht, dass sie dadurch bei Kurden auf hohe Reaktanz stoßen würde.

In Deutschland versucht sich eine ganze Reihe von Unternehmen im Ethnomarketing, etliche von ihnen verfügen über jahrelange Erfahrung. Zum Beispiel E-Plus, das im Oktober 2005 mit Ay Yildiz die erste Mobilfunkmarke für türkischstämmige Mitbürger startete. Seither wurden etliche Kampagnen über zahlreiche Kanäle gefahren, die Marke hat sich in der Zielgruppe verankert und geht jetzt einen Schritt weiter. Seit Ende vergangenen Jahres ist Ay Yildiz mit einem eigenen Shop-in-Shop-Konzept in mehreren deutschen Großstädten präsent. Ziel ist, den persönlichen Kontakt zu vertiefen, Kunden noch kompetenter zu beraten und die durch einen hochwertigen Auftritt zu stärken.

Was die Mediennutzung betrifft, so haben die Marktforscher von TNS Emnid in ihrer Studie „Türkische Mitbürger in Deutschland 2009“ herausgefunden, dass TV weiterhin eine dominierende Rolle einnimmt. „Fernsehen findet bei Türken immer noch stark im Familienkontext statt, und die Älteren sehen sehr viel häufiger türkischsprachige Angebote“, sagt Michael Voß, Senior Consultant in der TNS Emnid Medienforschung. Zudem bleibe das TV-Angebot auch für die jungen Migranten mit türkischem Hintergrund der Draht zu ihren Wurzeln in die Heimat. Bei den Jüngeren, also den 14- bis 29-jährigen Türken, fällt auf, dass sie erstens in viel geringerem Maße türkischsprachige Medienangebote nutzen und zweitens – was sich auch in der traditionell deutschen Bevölkerung zeigt – deutlich öfter online sind. Dabei nutzen die türkischstämmigen jungen Leute wie selbstverständlich deutschsprachige Internet-Angebote. TNS-Emnid-Medienforscher Jan Peter Glootz findet dafür eine nachvollziehbare Erklärung: „Für diese Zielgruppe ist das Internet vor allem auch ein Kommunikationsmedium, um mit Freunden und Bekannten, ob mit oder ohne türkische Wurzeln, in Kontakt zu bleiben.“

Islamic Banking

Ethnomarketing mal andersrum: Spätestens im März will die Kuveyt Türk Bank eine Zweigstelle für Finanzdienstleistungen in Mannheim eröffnen. Damit wäre in Deutschland erstmals eine Bank nach islamischem Recht aktiv. Angestrebt wird eine Lizenz als Vollbank, außerdem sollen Angebote und Filialnetz zunächst in Deutschland, danach in Europa erweitert werden.

Im islamischen Finanzwesen sind Zinsen verboten, doch Gebühren dürfen erhoben und bestimmte Sachmittelkredite vergeben werden. Religionsgelehrte müssen für jedes Finanzprodukt die Unbedenklichkeit bescheinigen. Nach Angaben des Zentralrats der Muslime fühlen sich drei Viertel der vier Millionen in Deutschland lebenden Moslems eng mit den islamischen Traditionen verbunden. Mindestens ein Fünftel ist laut Bank interessiert am islamischen Finanzwesen. Es sei nur eine Frage der Zeit, bis auch deutsche Banken das Islamic Banking für sich entdecken.

Mit Kopftuch und Gesetzbuch

Immowelt spricht die türkische Zielgruppe mit einer Ethnokampagne an. Dieses Motiv fiel aus dem gewohnten Rahmen: eine orientalische Frau mit Kopftuch, adrettem Business-Kostüm und Gesetzbuch, Boxhandschuhen unterm Arm und einem Kaktus in der Hand. Für ihre jüngste Werbekampagne – ausgestattet mit einem Etat in zweistelliger Millionenhöhe und in Szene gesetzt von McCann Erickson München – vertraute das Immobilienportal Immowelt.de darauf, die 2007 eingeführten „Wohntypen“ mit neuen Gesichtern zu zeigen.

Auf Plakatwänden, Citylights, Litfasssäulen in 45 Städten waren also ein Rocker und eine Stewardess zu sehen – und die eingangs beschriebene Frau mit türkischen Wurzeln. Sie gibt sich modern, selbstbewusst und zugleich ihre kulturellen Wurzeln pflegend. 15 Prozent der verbreiteten Werbemotive waren entsprechend auf Türkisch gehalten und wurden speziell in sechs Ballungsgebieten mit hohem Anteil an türkischstämmiger Bevölkerung plakatiert. Die Rückmeldung war positiv, die Kampagne wertet Immowelt-Vorstandsvorsitzender Carsten Schlabritz als Erfolg. „Wir haben die Aufmerksamkeit unserer Zielgruppe – gut integrierte Türken und Deutsche mit türkischen Wurzeln – geweckt und werden unser Ethnomarketing auf dieselbe Weise fortsetzen.“ Mit der Kampagne will Immowelt „auf die multikulturelle Realität reagieren und zeigen, dass wir uns als ein Portal für alle verstehen, die in Deutschland leben“, so Schlabritz.

Bei ethnischen Kampagnen sind erfahrungsgemäß Sensibilität, Behutsamkeit und Wissen um kulturelle Besonderheiten gefragt. Schließlich will man vermeiden, in Klischees zu verfallen oder zu überzeichnen. „Um ganz sicher zu gehen, haben wir für unsere Kampagne den Zentralrat der Muslime in Deutschland kontaktiert“, berichtet Schlabritz. Bei der Immobiliensuche im Internet gehen deutsche und türkische Interessenten ähnlich vor, also musste das Marketing über die klassische Kampagne hinaus nicht weiter differenziert werden. Doch durch die Ansprache auf den Plakaten in ihrer Muttersprache hat Immowelt bei der ethnischen Zielgruppe gepunktet. Schlabritz: „Das wissen sie zu schätzen.“