Kolumne: Mit Kulturwandel aus der Automobilkrise

Dass sich die Automobilbranche in einer schweren Krise befindet, ist nichts Neues und hat sich von langer Hand angekündigt. Nach wie vor ist jedoch unklar, auf welchem Weg die Führungskräfte ihr entgehen wollen. Die Herausforderungen sind komplex und vielseitig, die Pläne hinsichtlich ihrer Lösungen sicherlich auch.
Wolf Ingomar Faecks, Senior Vice President und Industry Lead Automotive/Manufacturing/Health EMEA/APAC, Publicis.Sapient

Fakt ist: Die Zeit drängt. Denn das Marktumfeld festigt sich zunehmend, ohne dass die Rolle der deutschen Autoindustrie deutlich wird. Negativ-Schlagzeilen wie die Verhaftung deutscher Top-Manager, verändertes Nutzungsverhalten der jungen Menschen, stagnierende Absatzzahlen in den Kernmärkten, starke Konkurrenz im Gebrauchtwagengeschäft – die Liste der Branchenherausforderungen ist lang und verlangt Unternehmenslenkern einiges ab. Denn während sich die Hersteller – die sogenannten Original Equipment Manufacturers (OEM) – in ihrer Rolle für den Kunden völlig neu erfinden müssen, steht gleichzeitig die Erschließung und Etablierung neuer Geschäftsfelder und Services auf der Agenda.

Kampf an zwei Fronten

Lange Zeit konnten die OEMs ohne direkten Kontakt zum Kunden ihrer Arbeit nachgehen und für die Zukunft planen. Diese wurden vom lokalen Autohändler versorgt und keiner sehnte sich nach dem anderen. Angekommen in Zeiten der digitalen Transformation sind OEMs nun aber gezwungen, ihren Kunden künftig das beste individuelle und personalisierte Angebot zu liefern. Allerdings fehlen den Herstellern aufgrund der bisherigen Distanz wichtige Kundendaten, die für die Entwicklung neuer Services und für eine Absicherung des aktuellen Kerngeschäfts notwendig wären.

Dennoch gilt es, langfristig neue Geschäftsfelder wie autonomes Fahren oder Elektromobilität zu erschließen. Nur wer sich hier langfristig am Markt differenziert und sein Geschäft profitabel gestaltet, wird sich behaupten. Best Practices aus den eigenen Reihen finden sich bis heute aber kaum.

Eine Krise, viele Baustellen

Neben der Frage, wie sich die Hersteller künftig stärker positionieren können, gesellt sich die Unsicherheit, mit welchem Herausstellungsmerkmal die deutsche Autoindustrie überhaupt noch glänzen kann. Verschiedene Studien prognostizieren bereits seit geraumer Zeit einen starken Rückgang der Fahrzeuge mit traditionellem Verbrennungsmotor. Tony Seba von der Stanford Universität sagt sogar voraus, dass im Jahre 2025 gar keine Fahrzeuge dieser Art mehr verkauft werden. Was aus Sicht der Umwelt hoffungsvoll klingt, wäre für den weltweit führenden Markt von hochtechnisierten Verbrennungsmotoren eine Katastrophe.

Darüber hinaus verändert sich die Bedeutung des Autos in der jüngeren Generation zunehmend. Was früher als Statussymbol galt, dient heute vielen nur noch als Mittel zum Zweck. Die Folge sind Sharing-Modelle und der gänzliche Verzicht aufs eigene Fahrzeug. Auch daraus entstehen stagnierende Absatzzahlen in Kernmärkten wie der EU und den USA. Aufstrebende chinesische Hersteller wie Byton & Co. bedrohen derweil die letzten Absatzräume.

Der Trend zum „Downsizing“ der Motoren sorgt währenddessen für niedrigere Margen und der Erfolg von Anbietern wie wirkaufendeinauto.de belegt, dass die Konkurrenz auch im

Gebrauchtwagengeschäft auf der Überholspur ist. Die Bereiche After Sales und Financial Services befinden sich ebenfalls auf wackeligen Beinen. So ist beispielsweise alleine der Anteil an Start-Ups im Bereich der Finanzierungs- und Leasinganbieter in den letzten Jahren um 65 Prozent gestiegen.

Kulturwandel als letzter Ausweg

Die Herausforderungen sind komplex und vielseitig. Unternehmenslenker müssen darum in der Lage sein, die gesamte Konzernorganisation zu adressieren und ohne viel Zeit- und Kostenaufwand nächste Schritte zu gehen. Das gelingt wiederum nur, wenn das Kerngeschäft eine agile Organisation und effiziente Abstimmungsprozesse zulässt und fördert. Während Unternehmen wie Tesla oder die junge Automobilindustrie aus China mit ihrem „Greenfield-Ansatz“ neue Geschäftsfelder und Services schnell und flexibel etablieren können, müssen Manager der deutschen Autobranche

immer noch traditionelle Konzernstrukturen überwinden und tief verwurzelte Arbeitsweisen berücksichtigen. Bleibt diese Diskrepanz bestehen, kann sich Deutschland langfristig im Kreise der internationalen Konkurrenz nicht behaupten.

Eine nachhaltige Veränderung wird nur funktionieren, wenn sie einhergeht mit einem Wandel innerhalb der unternehmensweiten Kultur. Dazu gehört auch, dass Mitarbeiter Fehler machen, eigenständig handeln und nach vorne denken dürfen. Lange Zeit beschränkte sich der Aktionsradius der mittleren Führungsebene jedoch lediglich auf die Vorbereitung für das nächste Gremium. Hier muss eine ganzheitliche Transformation in der Unternehmenskultur stattfinden und von oben nach unten transportiert werden. Führungskräfte, die immer noch nicht daran glauben, dass jener Wandel über den Weg aus der Krise entscheiden kann, überlassen den Mitbewerbern bereits heute das Zepter – beziehungsweise Lenkrad.