Ikea-Marketingchef: „Omnichannel ist keine Funktion, sondern eine Einstellung“

Das schwedische Möbelhaus Ikea befindet sich auf dem Weg vom stationären Händler zum Omnichannel-Anbieter, der den Einkauf überall möglich macht. Im absatzwirtschaft-Interview erläutert Heiko Klauer, Country Marketing Manager bei Ikea, die Omnichannel-Strategie des Möbelhauses
Heiko Klauer Country Marketing Manager von Ikea Deutschland

Von Peter Hanser

Herr Klauer, zurück ins Jahr 2010 und zu den damaligen Erfahrungen eines Ikea-App-Nutzers. Sein Urteil: Enttäuschend, gleiche Bilder, gleiches Inhaltsverzeichnis und ohne größere Funktionen. Wenn sich der Kunde heute die App herunterlädt, wie könnte dann sein Urteil ausfallen?

HEIKO KLAUER: Das Urteil des heutigen App-Nutzers würde ich so zusammenfassen: Einfach, hilfreich, bietet einen Mehrwert, insbesondere beim Einkauf im Ikea-Store. Das entspricht dem, worauf wir im Rahmen unserer Ikea-App hinsteuern: die App als der digitale Einkaufsbegleiter im Ikea-Einrichtungshaus.

Das heißt, die App ist nicht als eigenständiger Kanal zu verstehen, sondern dient der Unterstützung des stationären Einkaufs? 

Ganz genau. Wir haben gerade die neu entwickelte Ikea-App aktiviert. Die App wird verschiedene Ausbaustufen haben. In der ersten Stufe verfügt sie schon über wichtige Funktionalitäten wie das Speichern eines Einkaufszettels, den Abruf von Informationen oder die Orientierung im Einrichtungshaus. Der Fokus der App liegt damit eindeutig auf dem Mehrwert beim Einkauf im Einrichtungshaus.

Aber beinhaltet eine Omnichannel-Strategie nicht den Verkauf über alle Kanäle? 

Wir entwickeln uns Schritt für Schritt immer mehr in den Bereich Omnichannel. Wir haben den stationären Bereich, die Kunden können online kaufen, wir sind gerade im Rollout von Click and Collect, also der Möglichkeit, online zu bestellen und die Waren im Einrichtungshaus abzuholen. Wir haben Pick-up-Points, die wir zukünftig anbieten werden, bis hin zu Bestell- und Abholstationen, die weitere Services anbieten. Im nächsten Jahr wird es eine erste Station im Raum Bodensee geben.

Wir fügen die verschiedenen Kanäle zusammen. Das ist das, was wir und Omnichannel-Anbieter unter Omnichannel verstehen: Die Kunden haben einfach die Wahlmöglichkeit zwischen diesen verschiedenen Kanälen.

Welches sind bei dieser Zusammenführung der Kanäle die größten Herausforderungen? 

Natürlich sind die IT-Voraussetzungen immer wieder eine Herausforderung. Und es ist natürlich Neuland, das wir betreten, auf dem wir Erfahrungen sammeln müssen, wie sich die Verbraucher tatsächlich in den einzelnen Kanälen verhalten.

Ikea experimentiert schon mehrere Jahre mit Katalog, Internet und Mobile. Welche Learnings haben Sie in diesem Zeitraum gemacht? 

Zum einen muss man wirklich ausprobieren und sehr intensiv mit den Daten arbeiten, das heißt immer wieder zu überprüfen, ob unsere Annahmen richtig waren. Wir arbeiten bei Ikea mit dem Modell der Consumer-Decision-Journey, weshalb es für uns zum anderen eine ganz wichtige Erfahrung war, entlang der Consumer-Decision-Journey zu arbeiten und in dieser zu denken. Ein wesentliches Learning war, dass wir ganz stark in Prozessen denken müssen.

Welche Funktionen haben die einzelnen Kanäle Mobile, Internet, Katalog, Store? 

Die sind natürlich sehr vielfältig. Der klassische Ikea-Katalog ist auf der einen Seite ein Kanal, der sehr stark inspiriert, indem wir viele Heimeinrichtungslösungen zeigen. Und wenn der Kunde eine Lösung gefunden hat, kann er sich letzten Endes seinen Einkaufszettel vorbereiten. Auf der anderen Seite ist der Katalog Informationsgeber über die Services, die wir anbieten. Das Gleiche gilt für ein Einrichtungshaus. Das Einrichtungshaus hat die Aufgabe, zu inspirieren. Auf der anderen Seite ist es natürlich der Point of Sale. Dort geht es um die Frage, wie wir den Kunden unterstützen können, damit er seinen Einkauf abschließen kann.

Welches ist der wichtigste Touchpoint für Ikea? 

Es gibt nicht „den“ wichtigsten Touchpoint. Die Rolle der einzelnen Touchpoints innerhalb der Consumer-Decision-Journey muss klar sein. Es gibt Touchpoints, deren Aufgabe es ist, zu inspirieren und Aufmerksamkeit zu generieren. Und es gibt Touchpoints, die sind extrem wichtig, wenn es um das Vermitteln von Informationen geht, die der Kunde braucht, um seinen Einkauf abzuschließen. Dieses Zusammenspiel zu verstehen, das ist eine der Kernaufgaben im Omnichannel-Marketing.

Welche Bedeutung kommt der Augmented Reality für den Katalog zu? 

Augmented Reality werden wir in Zukunft innerhalb des Katalogs weiter ausbauen. Sie ist ein Teil der Ikea-Erfahrung, die ich als Kunde haben kann. Der weitere Ausbau hängt sehr stark von der Weiterentwicklung der technischen Möglichkeiten ab. Das wird ein Prozess sein. Augmented Reality ist sicherlich nicht der Grundpfeiler in einem Omnichannel-Marketing, aber eine zusätzliche Möglichkeit, die wir bieten.

Stehen die einzelnen Kanäle in Konkurrenz zueinander?

Im Omnichannel-Marketing ist es gerade als Händler ganz wichtig, die Kanäle nicht in Konkurrenz, sondern im Zusammenspiel zu sehen. Dabei können sich durchaus die Rollen, welche ein Kanal besetzt, verschieben. Aber letzten Endes muss die Summe der Teile den Mehrwert liefern.

In Leipzig hat Ikea eine Abholstation mitten in der Stadt eröffnet. Warum ist man in die Innenstadt gegangen? 

Die Entscheidung, in die Innenstadt zu gehen, basiert auf einer Analyse des Marktgebiets. Denn um zum Einrichtungshaus in Leipzig zu gelangen, muss ein Teil der Kunden weite Wege zurücklegen. Um näher an den Kunden heranzukommen, haben wir deshalb einen Pickup-Point, eine Abholstation, in der Innenstadt eingerichtet. Aber dabei handelt es sich um keine Innenstadtstrategie.

Bleibt es bei reinen Pickup-Stationen?

In Kanada laufen Projekte, bei denen Ikea in den Pickup-Stationen ein kleines Sortiment anbietet. Das wäre eine Chance, mit der Pickup-Station Ikea-Lifestyle zu vermitteln.

Das ließe sich grundsätzlich damit verbinden. Es ist aber immer eine Einzelfallentscheidung des jeweiligen Ikea-Einrichtungshauses. Es gibt nicht „die“ pauschale Antwort, wo eine Abholstation sein muss und welchen Umfang an Services wir anbieten. Die Entscheidung hängt von der Lage der Einrichtungshäuser, dem Marktgebiet und dem Markpotenzial ab. Und das wird für jede Abholstation im Einzelfall analysiert.

Bei dem Thema Click and Collect knirscht es noch bei vielen Anbietern in den Prozessen. Wie gelingt die Kanalverknüpfung bei Ikea? 

Es ist noch ein bisschen zu früh, um die Frage zu beantworten, weil wir jetzt gerade damit starten. Aber wir haben Click and Collect schon in mehreren Einrichtungshäusern getestet, um Erfahrung in den internen Abläufen und Prozessen zu sammeln. Von daher sind wir in diesem Bereich gut aufgestellt. Dieses Serviceangebot wird Teil unserer Kommunikation sein: Indem wir auf diese Servicemöglichkeiten hinweisen.

Dieses Zusammenspiel birgt auch Risiken. Wie viel des Umsatzes erfolgt schon über den Onlinehandel? Und wo liegt die Grenze, dass es für das stationäre Geschäft gefährlich werden könnte?

Im Moment gehen wir perspektivisch von einem Anteil von zehn Prozent aus, der über den Bereich Online generiert wird. Aber am Ende ist das wiederum eine gesamtheitliche Betrachtung. Ich kann den Onlinehandel in Konkurrenz setzen, aber ich kann auch das Zusammenspiel betrachten. Auch in Zukunft wird das Einrichtungshaus eine wichtige Rolle spielen – zum Beispiel kann das Ikea-Einrichtungshaus noch mehr Inspiration für Heimeinrichtung bieten. Hier werden wir weiter lernen, weil es keine Erfahrungswerte gibt.

Welche Konsequenzen ergeben sich aus dem Omnichannel-Handel für Ihre Marketingstrategie, Ihre Kampagnenplanung und die Abstimmung über alle Kanäle hinweg? 

Die zunehmende Komplexität ist definitiv eine Herausforderung im Marketing. Wir nähern uns dieser Komplexität über verschiedene Schritte. Zum Beispiel denken wir jetzt viel stärker aus der Consumer-Decision-Journey heraus und betrachten diese sehr differenziert. Ein Küchenkauf beinhaltet einen anderen Einkaufsprozess als der Kauf eines Sofas. Das hat wiederum Auswirkungen auf die einzelnen Kanäle und welche Informationen ich zur richtigen Zeit am richtigen Ort ausspiele. Diese Betrachtung der Consumer-Decision-Journey nach unterschiedlichen Sortimentsbereichen baue ich derzeit im Marketing aus. Auch zukünftig wird es weiterhin eine Ikea-Gesamtmarketingstrategie geben, aber sie wird viel differenzierter in der Betrachtung der Sortimentsbereiche und in einer Bewertung der einzelnen Touchpoints ausfallen. Das Ganze spiegeln wir in der internen Zusammenarbeit wider, indem wir uns prozessorientierter aufstellen. In den beiden vergangenen Jahren haben wir uns dahin entwickelt, Kommunikationsentwicklung genau aus dieser Sicht der Consumer- Decision-Journey heraus zu betrachten sowie abzustimmen und nicht mehr in den einzelnen Silos zu denken.

Wie haben sich die Prozesse verändert? 

Wir haben im Prinzip für jede Kampagne einen Prozessverantwortlichen, der eine Content-Abstimmung über alle Kanäle herbeiführt. Er bringt alle Spezialisten an einen Tisch und steuert den Prozess der Kommunikationsentwicklung. Das ist eigentlich der wesentliche Punkt. An dieser Stelle ist es egal, wo der Kollege sitzt oder welche Funktion er hat. Entscheidend ist, dass er über die richtigen Kompetenzen verfügt und dass wir ein gemeinsames Verständnis haben, wie wir Kommunikation entwickeln. Und diese Basis für das gemeinsame Verständnis bietet wiederum das Modell der Consumer-Decision- Journey, auf das wir immer wieder Bezug nehmen.

Machen Sie sich gelegentlich selbst auf die Consumer-Decision- Journey? 

Ja, machen wir. Wir gehen selber durch den Kaufprozess, den der Kunde gehen muss, um zu verstehen, wie es abläuft. 

Und wer vertritt die Stimme des Kunden in Ihrem Unternehmen?

Das ist ganz klar eine essenzielle Aufgabe des Marketings. Gerade durch die Entwicklung Ikeas zu einem Omnichannel-Anbieter bekommt die Sicht auf den Kunden einen ganz anderen Stellenwert, weil wir dieses Zusammenspiel der Kanäle verstehen müssen. Das ist ein Prozess, in dem wir uns gerade befinden – und das ist ein sehr guter Prozess.

Sie sprachen gerade die steigende Komplexität an. Wie hat sich der unternehmensinterne Koordinationsaufwand für Sortiment, Preise, IT und Logistik entwickelt?

Natürlich hat Omnichannel-Marketing eine hohe Komplexität. Aus der Sortimentsperspektive sehe ich sogar weniger Komplexität, weil wir versuchen, das gleiche Sortiment in allen Kanälen anzubieten. Bei den Preisen sehe ich keine Auswirkungen. Was wir nicht machen, ist den Service wie Click and Collect kostenlos anzubieten. Das ist Teil unserer Omnichannel-Überlegung. Die Investitionen in die IT sind schon erheblich.

Konnten mit der Omnichannel-Strategie neue Kunden gewonnen oder mehr Umsatz pro Kunde generiert werden? 

Ja, davon bin ich überzeugt. Wir wissen, dass heute für verschiedene Kunden der Faktor Zeit ganz wichtig ist und die Einkaufshäufigkeit im Bereich Non-Food rückläufig ist. Insofern bin ich davon überzeugt, dass gerade im Omnichannel-Ansatz eine sehr große Chance für Ikea liegt, neue Kunden anzusprechen oder Kunden wieder zu aktivieren, weil wir eine bessere Zugänglichkeit zu dem gesamten Angebot von Ikea bieten. Im letzten Geschäftsjahr konnte Ikea in allen Bereichen wachsen – im Bereich Online sowie im Einrichtungshaus. Von daher ist es wichtig, die Channels nicht in Konkurrenz, sondern in der Ergänzung zu sehen. Das ist das A und O.

Und wer ist für die Omnichannel-Strategie verantwortlich? 

Omnichannel ist eine Gesamtverantwortung im Unternehmen. Es ist keine Funktion, sondern eine Einstellung. Wenn man Omnichannel über Funktionen abbildet, wird das nicht funktionieren, weil man in Prozessen denken muss. Wenn man den Kunden in den Mittelpunkt stellt und fragt, wie und über welchen Kanal er einkauft und wie die Kanäle zusammenspielen, dann kann es nicht die Funktion oder die Abteilung geben, die dafür verantwortlich ist. Selbstverständlich sind wir im Marketing ein Treiber von Omnichannel, aber beispielsweise hat die IT oder der Customer-Service die gleiche Verantwortung.

Seit Januar 2014 ist Heiko Klauer Country Marketing Manager von Ikea Deutschland. Er verantwortet die Bereiche Marketingstrategie, Werbung, klassische Marken- und Aktivierungskommunikation, digitale Kommunikation, CRM und Media-Strategie sowie das lokale Marketing der Einrichtungshäuser in Deutschland. Zuvor war Klauer in leitenden Marketingpositionen unter anderem bei Neckermann.de, Levi Strauss, Unilever sowie Coca-Cola tätig.