„Ich habe den falschen Leuten vertraut“ – plagen Mark Zuckerberg Gewissensbisse?

Vorwürfe, Kritik, Abweisung – all dem muss sich Mark Zuckerberg seit Wochen aussetzen. Anlass sind unter anderem das Fake-News-Missgeschick während der US-Wahl 2016 oder der VR-Trip auf der verwüsteten Karibikinsel Puerto Rico. Jetzt gesteht sich Zuckerberg zum 14. Geburtstag seines Social Network auch noch öffentlich eigene Fehler ein. Plagen Zuckerberg etwa Gewissensbisse?
Hat die Kommunikationshoheit verloren: Facebook-Chef Mark Zuckerberg

Vergangene Woche hätte Zuckerberg allen Anlass gehabt, mal ordentlich die Korken knallen zu lassen– schließlich feierte sein (digitales) Baby seinen vierzehnten Geburtstag. Doch in Feierlaune scheint der CEO des fünftwertvollsten Unternehmens der Welt nicht gewesen zu sein. Indiz: Sein alljährlicher Geburtstagspost, der alles war, nur nicht positiv. So gestand sich der Konzernchef ein, über die Jahre fast jeden Fehler gemacht zu haben, den man sich vorstellen könne. „Ich habe Dutzende technische Fehler begangen und schlechte Deals abgeschlossen. Ich habe den falschen Leuten vertraut und talentierte Leute in die falschen Positionen gesteckt. Ich habe wichtige Trends verpasst und war bei anderen langsam. Ich habe ein Produkt nach dem anderen gelauncht, das gescheitert ist.“

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Manipulative Russland-Anzeigen sind größte Wunde

Warum so demütig? Grund könnte die immer schärfer werdende Kritik sein, die Facebook in den vergangenen Wochen wie eine Lawine überrollt. Ein entscheidender Auslöser waren sicherlich die von Russland gestreuten Fake News – und zwar während des US-Wahlkampfes vor zwei Jahren. 80.000 verdächtige Facebook-Beiträge erreichten 126 Millionen US-Amerikaner, und das vorwiegend in den am stärksten umkämpften Bundesstaaten Wisconsin und Michigan. Viele sind daher überzeugt, dass die Falschmeldungen erheblichen Einfluss auf das Wahlergebnis gehabt haben und Facebook der Demokratie schadet.

Das Problem mit gefälschten Nachrichten versucht Facebook inzwischen zu lösen. „Wir waren viel zu langsam, die schwarzen Schafe zu identifizieren, die die Plattform missbraucht haben.“ Falschmeldungen konnten sich deshalb in Windeseile verbreiten. „Wir arbeiten hart daran, diese Risiken zu neutralisieren „, schrieb der Facebook-Produktmanager Samidh Chakrabarti in einem Blog-Eintrag im Januar. Facebook wolle  10.000 Mitarbeiter einstellen, die hasserfüllte Inhalte löschen sollen.

Misstrauen wächst, sogar Hollywood macht sich Luft

Ob die Nutzer dann tatsächlich besser vor politischer Manipulation oder Falschmeldungen geschützt sind, ist jedoch fraglich und es verwundert nicht, dass viele Menschen sich gerade deswegen von Facebook lossagen. Für Aufsehen sorgte da unter anderem Hollywood-Schauspieler Jim Carrey, der wütend darüber ist, dass Facebook von den manipulativen Anzeigen auch noch finanziell profitiert. „Ich verkaufe meine Facebook-Aktien und lösche meine Facebook-Seite, weil Facebook von der russischen Einflussnahme in unserer Wahl profitiert hat und sie immer noch zu wenig tun, um es zu stoppen“, tat Carrey seinem Unmut auf Twitter kund.

Unilever setzt gesellschaftspolitisches Statement

Doch nicht nur einzelne Personen wollen sich dem Social-Sog entziehen, auch große Unternehmen sorgen sich um Hasskommentare und Fake News. Welche Konsequenzen diese Sorge haben kann, zeigt sich am Beispiel von Unilever. Der  – nach Procter & Gamble – zweitgrößte Werbetreibende der Welt kündigte an, Facebook, YouTube & Co. Werbegelder zu entziehen. „Wir können nicht weiter eine digitale Lieferkette unterstützen, die in ihrer Transparenz kaum besser als ein Sumpf ist”, zitiert das Handelsblatt Keith Weed, oberster Marketingchef von Unilever. Es sei nicht zu verantworten, in einem Werbeumfeld aufzutauchen, in dem Unilever-Kunden nicht mehr dem vertrauen können, was sie sehen. Klare Worte von einem Unternehmen, zu dem Marken wie Dove, Lipton und Ben & Jerry’s gehören. Wie ernst es dem Konzern ist, zeigt auch die ironische Werbekampagne für Dove in Großbritannien, bei der gewollt zweifelhafte Aussagen in sozialen Netzwerken gestreut wurden wie: „Das neue Dove-Deodorant erhöht Ihren IQ um 40 Punkte.” Der Hashtag #AlternativeFacts unter den Anzeigen löste die Fake-News auf.

Facebook funktioniert wie eine Zigarette

Gesellschaftskritik kommt sogar von der amerikanischen Wirtschaft. So beklagte Salesforce-Chef Marc Benioff, dass Facebook süchtig mache, menschliche Schwächen ausbeute und deshalb wie ein Tabakkonzern reguliert werden müsse: „Sie machen süchtig, und sie sind nicht gut für einen.“ Auch viele Ex-Mitarbeiter kritisieren ihren ehemaligen Arbeitgeber, wie etwa Facebooks erster Präsident Sean Parker, der erklärte: „Facebook ist eine soziale Bestätigungsmaschine, genau die Sache, die ein Hacker wie ich entwerfen würde, weil sie sich die Verletzlichkeit der menschlichen Psyche zunutze macht. Die Erfinder – ich, Mark Zuckerberg und Kevin Systrom bei Instagram – haben das verstanden. Und wir haben es trotzdem gemacht“,  zeigt sich der Tech-Milliardär selbstkritisch, und erklärt weiter: „Facebook untergräbt die Produktivität in komischer Weise. Nur Gott weiß, was es mit den Gehirnen unserer Kinder anrichtet.”

Zu all dieser Kritik gesellt sich dann auch noch die fehlgeschlagene PR-Kampagne von Zuckerberg: ein VR-Trip für Oculus auf der verwüsteten Karibikinsel Puerto Rico, den das Techblog The Next Web als „Gipfel der Geschmacklosigkeit“ bezeichnete.

Reumütiger Geburtstagspost

Zuckerberg muss derzeit somit einiges einstecken. Da ist es nicht erstaunlich, dass er sein eigenes Werk im Geburtstagpost überdenkt. Im Grunde genommen passt der antidemokratische Fake News-Fauxpas und das Suchtpotenzial des Netzwerks gar nicht zu Zuckerberg, der sich privat als altruistischer Familienmensch inszeniert. So sorgte er Ende 2015 für viel Aufsehen, als er und seine Frau Priscilla Chan anlässlich der Geburt ihres ersten Kindes 99 Prozent ihres Vermögens in die Stiftung Chan Zuckerberg Initiative (CZI) steckten. Der Schwerpunkt ihrer Stiftung liegt auf den Bereichen Bildung, Bekämpfung von Krankheiten sowie dem „Zusammenbringen von Menschen” und dem ”Aufbau starker Gemeinschaften”.

Doch statt Lob hagelte es massenhaft Kritik: Die CZI ist keine traditionelle Stiftung, sondern eine LLC, eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Somit könne Zuckerberg – in den Augen der Kritiker – weiterhin lustig investieren. Die Stiftung sei nichts weiter als ein eigennütziger Finanztrick zwecks schöner PR. Lieber solle der Konzernchef seine Steuern zahlen, das wäre weitaus sozialer, so die Vorwürfe. Ob sie berechtigt sind?

Ist die Stiftung eine Akt moralischer (Selbst-)Lizensierung?

Urs Müller, Lecturer und Mitglied der Managerial Faculty an der European School of Management and Technology in Berlin, kann die Skepsis zumindest nachvollziehen: „Mark Zuckerberg als Mensch mag Gewissensbisse verspüren, man sollte allerdings nicht vergessen, dass ganz am Anfang von Facebook eine moralisch fragwürdige Handlung steht: Zuckerberg startete mit einer Seite, die er Facemash nannte.“ Dort wurden jeweils zwei Fotos von Harvard-Studenten nebeneinander gestellt und die Nutzer sollten beurteilen, welches der beiden Fotos ‚hotter‘ sei. Die Verletzung von Urheberrechten und  Privatsphäre sowie die Anziehung von Nutzern durch die Ausnutzung unserer niederen Instinkte begleite die Organisation daher von Beginn an. „Ich denke, dass die gemeinnützige Stiftung  da eher einem bekannten psychologischen Mechanismus entspringen dürfte, der sogenannten moralischen (Selbst-)Lizensierung: Menschen tendieren dazu, die eigene Moral in einer Art Konto zu bewerten. Vergangene gute Taten erlauben es uns, anschließend unmoralisch zu agieren. Umgekehrt steigt für uns der Druck moralisch richtig zu agieren, wenn wir uns in der Vergangenheit unmoralisch verhalten haben“, so Müller. Zusätzlich dürfte auch der Wunsch nach sozialer Anerkennung eine wichtige Rolle bei Zuckerbergs Spenden gespielt haben.