Hersteller umgehen den Großhandel

Der Eigenanteil des Großhandels an pharmazeutischer Distribution sinkt von 75 Prozent auf 40 Prozent. Die internationale Strategie- und Technologieberatung Booz Allen Hamilton spricht von einem Umbruch in Europa, insbesondere in Deutschland.

Wie die Berater berichten, überdenken die global agierenden Arzneimittelhersteller aktuell grundsätzlich ihre europäischen Vertriebsstrategien und justieren ihre Distributionskanäle neu. Beispiele sind hier das so genannte Free-Pricing-Modell im spanischen Markt und die Direct-to-Pharmacy-Strategie (DTP), mit der internationale Player in Großbritannien agieren. Durch diese Neuorientierung der Pharmakonzerne gerate der Arzneimittelgroßhandel auch in Deutschland zunehmend unter Druck, sein Geschäftsmodell anzupassen, urteilen die Experten.

Die internationale Strategie- und Technologieberatung Booz Allen Hamilton schätzt, dass mehr als die Hälfte der heute über den
Großhandel vertriebenen Pharmazeutika mittel- bis langfristig direkt von den Herstellern an die Apotheken vertrieben wird. Vom
europäischen Umsatzvolumen von 136 Milliarden Euro (2006) werden aktuell knapp 75 Prozent über den Großhandel an Apotheken, Krankenhäuser und dispensierende Ärzte vertrieben. „Dieser Anteil könnte sich auf weniger als 40 Prozent reduzieren. Schon heute ist DTP ein bewährtes Vertriebsprinzip, insbesondere für biotechnologische Spezialprodukte mit speziellen Anforderungen an die Logistikkette, etwa wenn eine durchgehende Kühlung erforderlich ist. Pharmaunternehmen denken nun verstärkt darüber nach, ihr gesamtes Portfolio auf diesen Vertriebskanal umzustellen“, heißt es in der Booz Allen-Analyse.

Der Report basiert auf einer Befragung von Top-Führungskräften der größten europäischen Pharmakonzerne. Hier sprach sich mehr als jeder Dritte für eine starke Ausweitung des Distributionskanals DTP aus, insbesondere für Massenarzneimittel und Generika. Die Quintessenz: „Der Druck auf die Großhändler, ihre Kompetenz im Bereich Logistikservices weiter auszubauen, nimmt sukzessive zu“, sagt Peter Behner, Geschäftsführer von Booz Allen Hamilton. Einige der befragten Pharmakonzerne sind schon in konkreten Vorbereitungen, ihre direkten Vertriebskanäle zu stärken.

„Sicherlich sind Großhändler auch beim Wechsel zu DTP weiterhin bei den Lieferungen involviert. Allerdings ändert sich ihre Rolle im Vertriebsprozess grundlegend“, berichtet Behner. Das Produkteigentum gehe vom Hersteller direkt auf die Apotheke über. Dabei agiere der Großhandel in erster Linie als „Distributionsdienstleister“. Dieser werde nach erbrachter Leistung und nicht mehr proportional zum bewegten Umsatzvolumen entlohnt. Vor allem, weil es absehbar zu mehr Rabattverträgen mit Krankenkassen kommt, denken Pharmaunternehmen darüber nach, verstärkt DTP einzuführen. „Die Branche ist dabei, die Grundlagen für innovative Vertriebskonzepte zu legen, um den sich nicht nur in Deutschland verändernden Regulatorien begegnen zu können“, resümiert Isabella Erb-Herrmann, Mitglied der Geschäftsleitung Booz Allen Hamilton.

DTP sei ein effektiver Vertriebskanal, heißt es in der Booz Allen-Untersuchung. DTP unterstütze auch die Sicherheit der Patienten. Sofern Apotheken Produkte nur über diesen Kanal bezögen, verringere sich das Risiko, dass Arzneimittelfälschungen bis zur Apotheke gelangen. Das Umfeld für eine Apothekendirektbelieferung werde insbesondere vor dem Hintergrund des erwarteten Umbruchs in der deutschen Apothekenlandschaft positiv beeinflusst. „Wenn Apothekenketten ab voraussichtlich 2009 auch in Deutschland möglich sind, können Pharmaunternehmen einfacher flächendeckende Belieferungsverträge abschließen“, prognostiziert Booz Allen-Expertin Erb-Herrmann.

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