Hello Austin, Goodbye, Smartphone: Wie das Digital-Festival SXSW Jahr für Jahr die Zukunft vorweg nimmt

Wer wissen will, wie die Digitalisierung unser Leben weiter verändern wird, kommt an Texas nicht mehr vorbei – ausgerechnet. Zwischen Ölfeldern und Rinderfarmen tummeln sich einmal im Jahr Nerds und Visionäre in der Hauptstadt Austin, wo die Digital-Sause South by Southwest einen Blick in die Zukunft eröffnet. Das Festival hat eine derartige Strahlkraft, dass sich hier immer mehr Startups ansiedeln und Austin bereits als Mini-Silicon Valley gilt.
Digitale Kultveranstaltung SXSW, MEEDIA-Reporter Marvin Schade: Beziehungsstatus auf "Es ist kompliziert" geändert

Nach Jahren des ungebremsten Enthusiasmus‘ wurde bei der diesjährigen Ausgabe der SXSW auch Ernüchterung und Skepsis spürbar: Sind digitale Plattformen wie Facebook, Google oder Amazon zu mächtig? Werden Blockchain-Technologien das ändern oder braucht es Regulierung? Und wie gefährlich kann künstliche Intelligenz für die Gesellschaft werden? Wie dunkle Wolken lagen diese Themen über dem Festival.

Als die Ideengeber die South by Southwest 1986 als Kultur-Festival ins Leben gerufen haben, waren sie sich wohl kaum im Klaren darüber, dass im beschaulichen Austin irgendwann mal deutlich mehr gespielt wird als Musik. Rund 33 Jahre später ist die Stadt mit rund einer Million Einwohner nicht mehr nur Hotspot für die Musik- und Filmbranche – es ist der Ort, an dem die Zukunft vorweggenommen wird. Mitten im republikanisch geprägten Texas versammeln sich zwischen Ölfeldern und Farms einmal im Jahr Menschen, die man eher an der Westküste erwarten würde: Nerds und Visionäre, bewaffnet mit Smartphones im Jutebeutel, prägen das Stadtbild.

In Austin wird Zukunftsmusik gespielt, und wer Teil davon sein will, pilgert hier her. Zwischen altbekannten Musik-Clubs platziert sich das Silicon Valley genauso wie deutsche Konzerne, die dem lässig-coolen Image der Tech-Konzerne nacheifern. Daimler, Bose, SAP oder auch zahlreiche deutsche Startups: Sie alle wollen dabei sein. Die „South by“, wie Insider das Festival nenen, ist auch zum Magnet für Hollywood- und Politstars geworden – nach Barack Obama enterten in diesem Jahr Größen wie Bernie Sanders oder Arnold Schwarzenegger die Bühne.

Austin markiert die „digitale Standortbestimmung“, wie Fans schwärmen, gemixt mit Themen aus Kunst, Musik und Politik ist die SXSW, zu dem über zwei Wochen hinweg rund 400.000 Menschen erwartet werden, hat das das Festival internationalen Einfluss und ist auch in Deutschland zum Vorbild für Events wie die Cebit in Hannover, das vergleichsweise kleine Reeperbahnfestival in Hamburg oder auch die neue me Convention von Daimler in Frankfurt geworden. Doch zeigen sich in den USA mittlerweile, so scheint es, auch Einflüsse aus Europa. Der Enthusiasmus verfliegt, die Stimmung dreht sich, Unbehagen wird spürbar, vor allem gegenüber großen Plattformen – mehr als nur eine Ära neigt sich Experten zufolge dem Ende.

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Allen voran gegenüber Facebook: „Es zeigt sich eine Stimmungsveränderung“, beobachtet Sebastian Matthes, stellvertretender Chefredakteur des Handelsblatt und gleichsam verantwortlich für die digitalen Produkte. „Facebook kann durch eine Algorithmus-Änderung Geschäftsmodelle von ganzen Branchen verändern oder in Richtung Abgrund schieben und viele Medienunternehmen fühlen jetzt gerade genau das“, unterstreicht er. Herausforderungen wie der Umgang mit Hatespeech, besonders aber mit Fake News, Propaganda und zusätzlich die Anfälligkeit für Manipulationen steigern den Druck auf das Unternehmen aus dem Silicon Valley. Darauf reagiert hat das Netzwerk mit den jüngsten Änderungen in seinem Newsfeed, in dem Nutzern wieder mehr Inhalte von Privatpersonen und weniger von offiziellen Seiten ausspielt werden sollen.

Viele Medien haben ihren Beziehungsstatus zum langjährigen Partner deshalb auf  „Es ist kompliziert“ umgestellt. Ihnen droht ein Verlust der Sichtbarkeit im wichtigen Vertriebskanal für Inhalte. Aus der Perspektive der Medienmacher ist das auf Fake News die falsche Antwort. Hinzu kommt eine in großen Teilen Frustration über die Möglichkeiten der Monetarisierung. Man fühlt sich bei der Entwicklung neuer Geschäftsmodelle im Stich gelassen.

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Auf der SXSW zu spüren bekam das Facebooks News-Chefin Alex Hardiman. Bei einer Podiumsdiskussion mit Journalisten wurde die ehemalige Managerin der New York Times hart angegangen. Für den Vorwurf des CNN-Journalisten Brian Stelter, Facebook habe das Geschäft mit Nachrichten nicht verstanden, gab es Beifall. Hardiman, zuvor als Produktchefin bei der New York Times tätig gewesen, versuchte zu beschwichtigen. Facebook suche das Gespräch und arbeite daran, die Beziehung zur Medienindustrie neu zu definieren, man wolle Qualität weiter fördern.

Statements wie diese werden von Beobachtern mittlerweile als inflationär empfunden. In der Wahrnemung verweigert sich Facebook einer weiterführenden Debatt. Im Anschluss an das Panels wird über die  Managerin als „lebende Pressemitteilung“ gespottet. Dem von Hardiman angesprochenen Entwicklungsprogramm für Publisher, für das Facebook drei Millionen US-Dollar bereitstellt, stellte Stelter die 13 Milliarden Dollar, die Facebook allein im vierten Quartal des vergangenen Jahres umgesetzt hat, entgegen.

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„Ich deute das Verhalten so, dass Facebook richtig Angst hat, reguliert zu werden“, sagt Daniel Fiene, Leiter für Digitalstrategien bei der Rheinischen Post. „Regulierung ist ein Wort, das hier ungewöhnlich häufig fällt.“ Gleich mehrmals sind neue Gesetzgebungen aus Europa und allen voran aus Deutschland ein Thema. So drohte Londons Bürgermeister Sadiq Khan förmlich mit dem in Deutschland nicht unumstrittenen Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG), das soziale Plattformen dazu verpflichtet, strafrechtlich relevante Inhalte innerhalb kürzester Zeit zu löschen. „Wenn die Technik-Unternehmen nichts tun, geht es uns vielleicht so wie Deutschland: Dann werden die Politiker vielleicht zu drastischen Maßnahmen gezwungen, die die Entwicklung der Technik behindern.“

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Diskutiert wird in Austin auch über die europäische Datenschutzgrundverordnung, die im Mai in Kraft treten wird. In den USA interpretiert man diese vor allem als Innovationshemmer im Wettbewerb, in dem künstliche Intelligenz (KI) von immer größerer Bedeutung wird.

KI zählte zu den großen Trendthemen auf der SXSW, die ersten 27 der insgesamt 225 von Webb erfassten Tech-Trends befassen sich mit Systemen, die einst klüger sein sollen als der Mensch und uns bereits heute mehr und mehr Entscheidungen abnehmen. Der Markt der Künstlichen Intelligenz wird mit Kapital geflutet. Allein China will in den nächsten drei Jahren mehr als 200 Milliarden US-Dollar in neue Technologien pumpen, allen voran die drei großen Konzerne Tencent, Baidu und Alibaba, denen Webb zufolge besondere Beachtung geschenkt werden sollte. „Die Entwicklung künstlicher Intelligenz ist unsere moderne Version eines Wettrüsten. Und im Jahr 2018 wird China den Grundstein legen, um der unangefochtene KI-Hegemon der Welt zu werden“, heißt es in ihrem Bericht. „Sind Daten das neue Öl, wird China mit seiner Online-Bevölkerung von 730 Millionen Menschen die Kontrolle über größte und möglicherweise wichtigste natürliche Ressource übernehmen – auch weil es keine Datenschutzgesetze hat, wie sie in anderen Ländern herrschen.“

https://youtu.be/5TMnH4foxM0

Ganz andere Gefahren erkennt jemand, der auch dank künstlicher Intelligenz bereits Millionen gescheffelt hat und darauf abzielt, die Menschen auf den Mars zu bringen: Elon Musk war der Star-Gast des SXSW. Überraschend tauchte der Tesla-Gründer und Raumfahrtunternehmer am Samstag als Sidekick auf einem Event der Serien-Macher von „Westworld“ auf

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Musk, der nicht unumstrittene Unternehmer mit großen Visionen aber auch großen Problemen (beispielsweise bei der Produktion des massentauglichen Tesla 3), wurde gefeiert wie ein Popstar. Im Moody Theater, wo sonst Bands und Stars wie Coldplay oder Lady Gaga auf der Bühne stehen, nutzte er seinen Auftritt um erneut vor künstlicher Intelligenz zu warnen: „Sie ist viel gefährlicher als Nuklearwaffen“, gab sich Musik nachdenklich. Maschinen werden irgendwann erkennen, dass sie der Mensch darin behindert, produktiver und effizienter zu werden, so sein Schreckenszenario. So könnten bald nicht mehr Regierungschefs, sondern künstliche Intelligenz darüber entscheiden, einen anderen Staat anzugreifen.

Auf der SXSW wird auch die Diskussion über Ethik und Moralvorstellungen in Bezug auf KI aufgenommen. Viele Fragen sind offen: Noch ist unklar, welche Auswirkungen es hat, wenn der Mensch die Maschinen mit seinen eigenen Wertevorstellungen füttert. Experten sind alarmiert: “Wenn ein Algorithmus gelernt hat, dass bisher vor allem weiße Männer Führungspositionen innehatten, darf er nicht automatisch Frauen oder Menschen mit Migrationshintergrund herausfiltern”, erklärte Designer Josh Clark. Der eine andere Perspektive in Datenschutzgrundverordnung einbringt. “In den USA ist die undenkbar. Also müssen wir freiwillig als Entwickler die Daten unserer Kunden achten.”

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Viele Unklarheiten beinhalten auch die Diskussionen über Blockchain-Technologien. Besondere Beachtung schenkten Festival-Teilnehmer dem Auftritt von Joseph Lubin, dem Co-Gründer von Ethereum. Lubin verfolgt nichts Geringeres als auf Basis der Blockchain eine neue Ära des World Wide Web zu definieren, die er Web 3.0 getauft hat. „Das Web 3.0 ist ein dezentrales Web mit dezentralem Speicher, dezentralem Computing.“ Blockchain-Technologien wird zugetraut, alle bislang bekannten Systeme und Industrien grundlegend zu verändern, auf Dienstleistungen wie das Bankengeschäft oder Händler als Zwischeninstanz zu verzichten.

Während die bekannteste Blockchain Bitcoin auf ersteres abzielt, will Lubin mit Ethereum unter anderem vergleichsweise junge Cloudgeschäfte revolutionieren und Daten auf privaten und dezentral aufgestellten, ungenutzten Speicherkapazitäten lagern. Wer Rechenkraft zur Verfügung stellt, soll in Form nicht kopierbarer Tokens bezahlt werden. Es ist nichts weniger als ein Angriff auf Tech-Riesen wie Amazon, Apple oder Google, aber auch für andere Industrien wie die Musikbranche wird Blockchain ein ernstzunehmendes Problem. Eine Lösung für eigene Vertragswerke soll es beispielsweise Musikern ermöglichen, ihre Kunst unabhängig von Plattenfirmen vertreiben und verwerten zu können. Das Geld würde damit direkt an die Urheber fließen.  Mit Ethereum könnte Lubin „mehr als digitales Gold“schaffen, urteilte zuletzt das Fachmagazin t3n

2018: Der Anfang des Ende des Smartphones

Der Blick in die Zukunft wirft auch die Frage danach auf, welche Rolle das Smartphone noch spielen wird. Zukunftsforscherin Webb hat in Austin nichts Geringeres als den „Anfang des Endes des Smartphones“ ausgerufen. Etwas mehr als zehn Jahre nach dem Launch des ersten iPhones werde der Bildschirm ausgedient haben – erneut der Grund: künstliche Intelligenz. Mit Sprach-Assistenten wie Amazons Echo oder Siri beginnt die Ära der Sprachsteuerung. Smarte Geräte erkennen ihre Eigentümer an ihren Stimmen oder – sofern kamerafähig – am Gesicht. In China hat Alibaba bereits Kassensysteme eingeführt, bei denen Kunden den Einkauf mit einem Lächeln abwickeln und den Bezahlvorgang abschließen können. Parallel testet Amazon den smarten Supermarkt, in der Gang zur Kasse gar überflüssig wird, weil Systeme den Einkauf bereits beim Griff ins Regal registrieren.

Ersetzt werde das Smartphone den Visionären zufolge von neuen Wearables wie smarten Ringen, Uhren, Kopfhörern und Brillen, die samt Augmented oder Virtual Reality neue Formen von Erlebnissen schaffen und Bedürfnisse erkennen sollen, bevor sie im Menschen aufkommen. Den Durchbruch erwartet Webb mit sinkenden Preisen, die Produkte massentauglich machen sollen. Für die die allermeisten Nutzer indes ist ihr Smartphone noch Dreh- und Angelpunkt ihres Kommunikationsverhaltens und ein Verzicht darauf unvorstellbar. Doch die „South by“ war ihnen immer schon um Jahre voraus.