Gibt es die Software für das High-end-Marketing?

Mittlerweile finden Unternehmen Software-Angebote für nahezu alle Marketingrollen und -funktionen. Für kundenzentrierte Firmen steigt vor allem die Bedeutung der dynamisch-strategischen Prozesse.

von Irmtrud Munkelt

Das Spiel ist geübt: Ganz gleich, ob Analysten den Software-Anbieter Assetlink gerade als „Leader“ für das „Marketing Resource Management“ einstufen oder dessen Wettbewerber SAS als „Visionär“ unter den Angeboten für das „Enterprise Marketing Management“ ausweisen – sobald die Quartalsberichte der Experten erscheinen, stehen PR-Bataillone in der Hoffnung parat, mit den Ergebnissen für ihre Kunden zu punkten.

Der Werbedruck, mit dem Kunden in diesen Tagen lernen, welche Analysten welchen Anbieter wie einschätzen, wer sich im Quadranten der „Challenger“ bewegt, wer als „Visionär“ gilt oder „Nischenanbieter“ bleibt, ist nur ein Indiz für den hohen Stellenwert, den anspruchsvolle IT-Lösungen für Prozesse im Marketing einnehmen. „In Branchen wie der Pharmaindustrie oder dem Bankwesen gibt es mittlerweile Regularien, die von Unternehmen geradezu verlangen, Marketingprozesse und deren Ergebnisse zu dokumentieren“, begründet Bill Godfrey, Chairman und CEO bei Aprimo, allein juristisch, warum digitale Systeme heute in Marketingabteilungen einziehen.

Aber auch in dem Wunsch vieler Unternehmen, ihre Investments aus strategischer Sicht stärker zu bewerten, kann Godfrey eine Ursache für die Entwicklung erkennen: „Unternehmen und Vorstände können vom Marketing mehr verlangen. Das Marketing ist in der Lage, mehr zu leisten. Allerdings brauchen die Unternehmen ein System“, beschreibt er die neuen Möglichkeiten der Verantwortlichen, mit ausgebauter Infrastruktur Handlungsspielräume im Marketing zu erweitern.

Und die Suche nach Lösungen wird überall deutlich. Auf einer Kundenveranstaltung des Softwareanbieters Unica äußerten im Oktober vergangenen Jahres 240 Marketingexperten aus 19 Ländern, was sie allein für ihr Kampagnenmanagement erwarten: 64 Prozent der befragten Vertreter von Großunternehmen wie Procter & Gamble, ING, Vodafone, Nationwide Building Society, Sofinco, Airmiles oder Reed Business kündigten bei dieser Umfrage an, ihre Kampagnen künftig konsequenter on- und offline zu integrieren. 74 Prozent hatten vor, ihre Kundenkommunikation zu steigern sowie über die verschiedenen Kanäle gleichzuschalten.

Und bei einer Erhebung des Londoner Instituts Freedom Dynamics klagten selbst IT-affine Unternehmen wie Mobilfunkprovider über unzureichende Systeme und Schnittstellen: Generische Customer-Relationship-Management(CRM)-Systeme, fragmentierte Daten sowie ungeeignete Monitoring- und Reportingsysteme verzögerten die Vorbereitung von Kampagnen, verursachten Kostenüberschreitungen und sorgten für starke Abhängigkeiten von IT-Abteilungen.

Dabei gehört das Abstimmen von Systemen und Prozessen zu den Schlüsselprinzipien von Unternehmen, die den Kunden konsequent ins Zentrum ihres Marketing stellen. Mit dem Ziel, den Verbraucher in der Gesamtheit seiner Wünsche zu erkennen und Lebenswelten als soziale Muster zu erfassen, versuchen sie, mit Software Kaufwahrscheinlichkeit nach Kundensegmenten zu berechnen, Cross- und Up-Selling-Potenziale abzuleiten und das richtige Angebot zum passenden Zeitpunkt in den richtigen Kanal zu stellen.

Lösungen für „Kampagnenmanagement“, „Response-Optimierung“, „Churn- und Stornovorhersage“, „Credit Scoring“, „Web Analytics“, „Customer Experience“-, Standort- und Warenkorbanalysen, das Management von „Realtime Decision“ und „Marketing Performance“ sind nur einige der Angebote für das kundenzentrierte High-End-Marketing. „Wer Tiefenschärfe in das komplexe Gefüge zwischen Konsument und Produkt bringen will, muss mit mathematischer Gründlichkeit an die Arbeit gehen“, wirbt der Software-Anbieter SAS für das Veredeln von Daten, das den Kunden weiterbringt.

Wo liegen die Antworten für das Problem?
Nicht selten hindern diesen allerdings schon die Wortschöpfungen des kreativen Branchenmarketing. Liegt die Antwort seines Problems im „Marketing Campaign Management“? Im „Enterprise Marketing Management“? In der „Marketing Automation“? Oder vielleicht doch eher im „Marketing Resource Management“? Für mehr oder weniger komplexe Anwendungen, die den Umgang mit internen wie mit externen Marketingressourcen beschreiben, prägten Analysten vor Jahren den Begriff „Marketing Resource Management“.

MRM, so die Abkürzung für den derzeit weitgehend akzeptierten Begriff in der Software-Nomenklatur, umfasst Lösungen, die dem Marketer zunächst einmal helfen, Maßnahmen zu planen, zu gestalten und zu produzieren. Mehr oder weniger integrierte Module gelten als Vorstufe oder Teil eines „Enterprise Marketing Managements“, das sie, sozusagen „high-end“, in die Lage versetzt, alle Daten und Prozesse über eine Plattform zu steuern. In seiner besten Form gewährt es Echtzeiteinblicke in den Leistungsstatus, ein besseres Kundenverständnis, eine schnelle, effiziente und individuelle Kundenansprache sowie höhere Umsätze bei gleichzeitig reduzierten Kosten.

„Wir sehen einen Wandel“, erklärt Bill Godfrey mit Blick auf die neue Rolle des Managers im Marketing. Gerade in der Position des Chief Marketing Officer beobachtet er in letzter Zeit mit zunehmender Tendenz Führungskräfte, die, betriebswirtschaftlich bestens ausgebildet, Prozesse präzisieren, strukturieren und rationalisieren. „Marken und Kreativität sind weiterhin sehr wichtig. Doch Manager im Marketing müssen auch Maßnahmen planen, organisieren, kontrollieren und finanzieren“, sieht der Aprimo-Chef vor allem den dynamisch-strategischen Prozess. „Auch wenn kein Unternehmen an die 100-Prozent-Marke herankommt“, relativiert der Experte angesichts der Bandbreite der Prozesse.

Das Branchen-Bonmot, nach dem Marketingverantwortliche 50 Prozent ihrer Ausgaben zum Fenster rausschmeißen und dabei nicht wissen, welche Hälfte ihres Budgets dies ist, sei zumindest teilweise richtig. Allerdings müsse eine hundertprozentig zuverlässige Lösung transparent machen, mit welchen Summen Marketers heute und morgen planen und wie sich ihre Ausgaben tatsächlich entwickeln. „Das sollte wasserdicht sein, ohne jede Abweichung“, macht er sich stark für ein Controlling, dem auch die Verfechter kreativer Freiräume kaum gute Argumente entgegenbringen.

„Wenn ein Drittel des Unternehmenswertes dem Goodwill in Form der Marke überlassen bleibt, lohnt es sich, wenigstens die Marketingaktivitäten und -ressourcen zu kontrollieren“, machen sich auch Romek Jansen und Frans Riemersma von Mrmlogiq in Amsterdam dafür stark, die weniger kreativen Bereiche des Marketing unter die Ägide digitaler Managementsysteme zu stellen. Für eine Präsentation anlässlich des Marketing Operation Management Symposium in London versuchten die Berater, Anbieter von Marketing-Resource-Management-Lösungen im Hinblick auf ihr Leistungsspektrum zu analysieren.

„Der gemeinsame Nenner, den wir unter allen MRM-Software-Anbietern fanden, ist der, dass sie sich alle MRM-Software-Anbieter nennen“, beschreiben sie lakonisch das nur schwer vergleichbare Angebot: 94 Prozent verfügten über Planungsfunktionen, etwa Kalender oder Ebenen für die Online-Zusammenarbeit, 90 Prozent arbeiteten mit Applikationen für ein „Content Management“ und 83 beziehungsweise 78 Prozent mit Programmen für das „Publishing“ und das „Reporting“.

Mehr als Bilder, Logos und Kundendatenbanken
„Wenn Sie anfangen, einen MRM-Anbieter auszuwählen, ist es wahrscheinlicher, dass Sie Funktionen für die planerische Arbeit finden, als dass Sie auf Lösungen für die Beschaffung stoßen“, schildern sie die bei den Anwendungen im Markt derzeit vertretene Gewichtung.
Für den Umgang mit dem Verbraucher fanden sie noch bei 63 Prozent der Anbieter Funktionen, gefolgt von solchen für „Channel Management“ (45 Prozent), „Ordering Management“ (43 Prozent), „Budget Management“ (41 Prozent), „Knowledge Management“ (29 Prozent) und „Production Management“ (25 Prozent).

„Obwohl das ‚Marketing Resource Management‘ vermutlich einer der meistbenutzten Begriffe in diesem Feld ist, gibt es keine allgemein akzeptierte Literatur darüber, was wir unter Marketing Resource verstehen“, machen Jansen und Riemersma auch das begriffliche Vakuum deutlich. Nicht selten kämen zunächst intuitiv Bilder, Logos oder Kundendatenbanken in den Sinn.
Tatsächlich aber decke Marketing Resource alles ab, was die Frage „Wer macht was mit welcher Technologie, welchem Budget in welchem Zeitfenster?“ beantworte.

Eine MRM-Strategie schließlich sehen die Experten in dem langfristigen Plan eines Unternehmens, über ein Marketing Resource Management die betrieblichen Leistungen im Marketing so zu verbessern und anzupassen, dass sie mit den Unternehmenszielen konform gehen. Damit MRM-Prozesse helfen, ein beträchtliches Maß an Zeit und Geld einzusparen, raten die Experten, zunächst die eigenen Abläufe zu überdenken. „Wenn Sie alles zusammengefasst und bereinigt haben und anschließend das standardisiert haben, was standardisier werden kann oder notwendigerweise standardisiert werden muss, dann – und nur dann – können Sie über automatisierte Prozesse nachdenken“, warnen sie, den zweiten Schritt vor dem ersten zu tun.

Nur wenige Anbieter bieten eine Funktionsbreite, die geeignet ist, alle Marketingrollen und -prozesse abzudecken, bewerten Analysten von Gartner in ihrem letzten Report das noch unausgereifte Angebot von Software für automatisierte Prozesse. Bei den meisten Dienstleistern machen sie „relativ gute Möglichkeiten für das Kampagnenmanagement“ aus, einfachere Lösungen seien weitgehend verbreitet. „Unternehmen, die Marketing-Resource-Management-Funktionen als Teil eines Enterprise Marketing Management wählen, haben es leichter, sich zu differenzieren“, befürworten sie immer noch den individuellen Weg.