„Ganz England ist stolz auf Rolls-Royce“

Konkurrenzlose Kavalierskarriere: Torsten Müller-Ötvös beschreitet in der BMW Group einen Berufsweg wie im Bilderbuch. Nach verantwortlichen Positionen in Vertrieb und Marketing für die Marken BMW und Mini führt er als Vorsitzender der Geschäftsführung nun das Tochterunternehmen Rolls-Royce Motor Cars. Über die Legende des Luxusautomobils, die anspruchsvolle Kundschaft, neue Zielgruppen und Märkte, Glamour-Marketing und Großbritanniens Wirtschaft sprach der CEO für den mobilen Mythos im Exklusiv-Interview.

Als relativ neuer Chef von Rolls-Royce: Wie wollen Sie das Wachstum in Wert und Menge für die nächsten Jahren entwickeln?

TORSTEN MÜLLER-ÖTVÖS: Konkrete Zahlen nennen wir bei Rolls-Royce nicht. Ich möchte die künftige Entwicklung gerne mit dem Begriff „bewusstes Wachstum“ umschreiben: Dazu zählt die Weiterentwicklung der Marke, der behutsame Ausbau der Modellpalette und langfristig die Einführung alternativer Antriebe. Wichtig ist mir, die Qualität an der Spitze zu halten.

Welche Länder sind künftig für Rolls-Royce besonders attraktiv, und über welche Vertriebskanäle wollen Sie die neuen Absatzmärkte aus- und aufbauen?

MÜLLER-ÖTVÖS: Nordamerika ist ein wichtiger Markt für uns. Von den 2 700 Fahrzeugen im Jahr 2010 haben wir 35 Prozent in die USA exportiert. China ist seit dem vergangenen Jahr schon unser zweitwichtigster Markt und hat damit Großbritannien abgelöst. Indien entwickelt sich beeindruckend, und in Russland wollen wir nach Moskau einen zweiten Standort eröffnen, vielleicht in St. Petersburg. Auch in Deutschland planen wir neben unseren Händlern in Köln und Dresden-Radebeul künftig mit zwei weiteren Standorten in Hamburg und München. Die derzeit 80 Händler werden wir weltweit sukzessive auf 100 Händler ausbauen. Dabei bleibt es. Das Händlernetz darf nicht zu dicht sein bei einer so exklusiven Marke.

Der kleinere „Ghost“ soll auch Käuferschichten unter Frauen ansprechen. Ist das die einzige neue Zielgruppe außerhalb Ihrer ursprünglichen?

MÜLLER-ÖTVÖS: Nein, mit der Einführung hat sich Maßgebliches geändert. Der Ghost hat vor allem jüngere Kunden erreicht. Im Schnitt sind die Käufer zehn Jahre jünger als beim Phantom. Wir reden über 30- bis 40-Jährige. Oft Selbstständige mit eigenen Unternehmen. Das sind interessante Menschen, die wir so vorher nicht als potenzielle Käufer gesehen haben. Ich würde sie als neue Weltenbürger bezeichnen. Sie repräsentieren eine andere Liga von Unternehmertum.

Brad Pitt und Angelina Jolie fuhren demonstrativ einen Toyota Hybrid. Wie groß ist die Gefahr, dass sich Reiche bewusst gegen Tradition beim Luxusauto entscheiden oder das Fahren eines Rolls-Royce womöglich sogar als dekadent verurteilen?

MÜLLER-ÖTVÖS: Natürlich können politische Statements wirken. Das Thema Nachhaltigkeit ist extrem wichtig für uns und unsere Kunden. Wir haben mit dem 102 EX den Startschuss für Alternativen zu aktuellen Antrieben abgegeben, denn nur wenn wir als verantwortungsbewusster Akteur in der Gesellschaft wahrgenommen werden, dann sind wir auch in ihr erfolgreich. Es ist erkennbar, dass Vermögende sehr bewusst mit dem Thema Luxus umgehen. Bill Gates und Warren Buffett sind mit ihren Stiftungen nur zwei Beispiele von vielen. Die meisten unserer Kunden leben Genuss und Verantwortung parallel. Charity ist in der Gruppe von Rolls-Royce-Fahrern stark verbreitet. Wir selbst engagieren uns auch in diesem Bereich.

Die Kommunikation mit potenziellen Kunden aus jungen Bevölkerungsschichten suchen Sie seit dem vergangenen Sommer über eine Fanpage auf Facebook und einen eigenen Kanal auf Youtube. Wie funktioniert das exklusiv über ein Allerweltsmedium?

MÜLLER-ÖTVÖS: Gut. Ich glaube auch, dass wir die Marke etwas breiter pflegen müssen, um das Ansehen in unterschiedlichen Gruppen hoch zu halten und die Relevanz sicher zu stellen. Wir arbeiten ja weiterhin mit Events und der persönlichen Ansprache.

Und neben Ihrer Präsenz auf Poloturnieren oder Festspielen eignet sich das klassische Marketing nicht für Rolls-Royce?

MÜLLER-ÖTVÖS: In der klassischen Kommunikation hätten wir zu viele Streuverluste. Wir inserieren nur ganz selten, beispielsweise in Asien in Special Interest Magazinen.

Wie tragen Sie der Individualität Ihrer Kunden durch individuelle Kommunikation Rechnung – und das in jedem Land?

MÜLLER-ÖTVÖS: Hier hat Rolls-Royce den Vorteil, dass wir polyglotte Kunden ansprechen. Dadurch ist eine Regionalisierung nicht so wichtig. Meist sind unsere Kunden in mehreren Ländern aufgewachsen. Das erleichtert vieles. Entscheidend ist das klare Profil. Events für diese Zielgruppe gibt es überall auf der Erde. In Asien kommen wir dabei eher ostentativ daher, in Europa eher auf dezenten Wegen.

Kritiker bemängeln, legendäre Automarken wie Bentley, Jaguar oder Lotus seien gar keine reinen britischen Brands mehr, weil sie zu Konzernen im Ausland gehören oder durch ausländische Manager geführt werden. Rolls-Royce sei nicht nur eine der teuersten Automarken der Welt, sondern die deutscheste. Was entgegnen Sie?

MÜLLER-ÖTVÖS: Das kommt einzig darauf an, wie deutsch in diesem Zusammenhang gesehen und interpretiert wird. Unsere Produktion ist zu 100 Prozent britisch! Wenn das Deutsche für Qualität, Prozessoptimierung und Hightech-Engineering steht, dann passt das doch sehr gut zu Rolls-Royce. Ich glaube sogar, der deutsche Hintergrund hat bei der Wiederbelebung der Marke geholfen. Die Besten beider Nationen haben der Marke wieder den Glanz eingehaucht. Der Phantom wäre ohne die Unterstützung durch deutsche BMW-Kompetenz auch nicht möglich gewesen.

Großbritannien versucht derzeit, über innovative Unternehmen wie Dyson den Abschied als Industrienation rückgängig zu machen. Was trauen Sie diesem Land zu, und wovon können andere Nationen sogar lernen?

MÜLLER-ÖTVÖS: Ich bin ja Deutscher und kann die Vorgeschichte nicht wirklich beurteilen. Nach meiner Erinnerung war England aber immer extrem stark in guten Manufakturen. Dieses Land war schließlich auch der Vorreiter der Industrialisierung. Deutschland ist das Sinnbild für eine stabile, wettbewerbsfähige Industriestruktur. Hier sehen das mittlerweile auch ganz viele Entscheider so, dass man sich in einem Land nicht nur auf den Finanzsektor und Dienstleistungen konzentrieren darf. Die „Sun“ hat die Serie „Proud to be Britain“ aufgelegt, die sehr schön belegt, für wie viele Produkterfolge das Königreich steht. Ganz England ist deshalb auch stolz auf Rolls-Royce. Die Revitalisierung hat signalisiert: „Seht mal, was möglich ist!“. Wir haben im vergangenen Jahr ein Wachstum von 170 Prozent erzielt! In der Gesamtbetrachtung hat Großbritannien aber sicher noch einige Hausaufgaben vor sich – wie Deutschland übrigens auch.

Und was konkret?

MÜLLER-ÖTVÖS: Das beginnt bei der Infrastruktur. Das schnelle Schließen der Airports hier bei Wintereinbruch war nicht hilfreich. Da muss etwas geschehen. Zunächst geht es aber vor allem darum, wieder mehr innovative Unternehmen und Unternehmer hervorzubringen.

Ihr Wechsel zu Rolls-Royce vor rund einem Jahr nach 20 Jahren als treuer BMW-Manager kommentierten Medien nur als Zwischenstation auf dem Weg zurück in die Münchener Zentrale. Gefällt es Ihnen hier mittel- oder langfristig?

MÜLLER-ÖTVÖS (lacht): Rolls-Royce und die Gegend rund um meinen Arbeitsplatz hier in Goodwood gefallen mir sehr gut. Das passt auch langfristig. Aber letztlich liegt diese Entscheidung in München. Mein Teil hängt davon ab, wie erfolgreich ich meinen Job mache, den ich für einen der schönsten überhaupt halte. (Augenzwinkernd:) Fragen Sie mich einfach in drei bis vier Jahren noch einmal.

Das Gespräch führte Thorsten Garber.

Mehr über das Interview mit dem Chef der Luxusautomobilmarke Rolls-Royce lesen Sie in der aktuellen Ausgabe der absatzwirtschaft, Nr. 5-2011.

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